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fabiansteinhauer · 2 years
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Antijuridismus
1.
Daniel Loick schreibt in seinem Buch Juridismus, in einem Zwischenfazit, allerdings einem Zwischenfazit am Schluss, dass es ein gutes und gelingendes Leben nur als Zusammenleben gäbe, weil der Mensch ein zoon politikon sei. Er verknüpft Gelingen, Leben, Mensch, das Zusammen und Politik. Das Leben muss nicht nur für den Menschen gut sein und gelingen, anderes lebt auch und anderes soll auch gelingen. Auch da, wo kein Leben kein Mensch ist, soll was gelingen. Aber der Grund dafür soll nach Loick beim Menschen liegen. Dafür soll es formale und soziale Bedingungen geben. In Bezug auf europäische Gesellschaften, schreibt Loick, würden solche Bedingungen durch die Dominanz eines hegemonialen Rechts untergraben, weil dieses Recht auf atomisierende Subjektivierungsprozesse angewiesen sei. Er legt im Detail dar, wie er das versteht, man müsste an anderer Stelle mehr dazu sagen. In dem Zusammenhang schreibt er, wie er den Begriff des Juridismus definiert:
Die Effekte dieses Subjektivierungsregimes, das also ein grundlegendes Hindernis eins guten und gelingenden Lebens darstellt, wurde unter dem Obergriff Juridismus zusammengefasst.
Seine Überlegungen sind insoweit antijuridisch, denn Loick sucht ein Recht, das den Juridismus überwindet und damit die Bedingungen menschlichen Gedeihens herstellt. Verkürzt: Juridismus ist schlechtes Recht. Recht soll eine, Loick sagt: die, originäre Sozialität des Menschen zu Geltung bringen. Loick ignoriert nicht, was bei Lévi-Strauss oder Viveiros de Castro als der anthropologische Geiz erscheint, also den Umstand, dass der Mensch verweigert, die Prädikate des Menschlichen über alle Wesen, unter anderem also auch über alle menschlichen Wesen zu verteilen. Nicht die Schafe, nicht die Löwen, nicht die Pilze und nicht die Sümpfe, nicht der Nebel und nicht die Steinlawine, nicht die Geister und nicht die Götter sollen menschliche Wesen sein, teilweise sollen sie richtiggehend unmenschliche Wesen sein. Sogar Menschen sollen unmenschlich sein, so wie bei Loick auch das bürgerliche, liberale, westliche Recht kein menschliches Recht sein soll. Obschon auch in der westlichen Moderne 'animiert wird', es dort auch Animismus gibt, etwa wenn bestimmte Kulturlandschaften oder eben bestimmte rechtliche Objekte menschlich ausgewiesen werden, hört der anthropologische Geiz bisher nicht auf. Im anthropologischen Geiz hält der Mensch nicht nur nicht alle Wesen, sondern sogar nicht alle menschlichen Wesen für menschlich.
Den anthropologischen Geiz ignoriert Loick nicht, ganz im Gegenteil. Am Recht der Staatsangehörigkeit und an den Zugängen zu Gesellschaften macht er das zum (ersten) Thema, das sei zu überwinden. Das ist ein Versprechen. Man wird sehen. Loicks Antijuridismus ist nicht der erste Antijuridismus. Aus römischer Sicht gilt z.B. schon eine Passage aus der Rhetorik, bei Cicero, als antijuridische Passage. Dort zitiert Cicero einen Satz, der schon alt sein und seinen Autor verloren haben soll: summum ius summa iniuria. Auch der Brief an die Römer, in dem Paulus oder 'Sekretär Tertius' von der Zeit nach dem Gesetz schreibt, hat antijuridische Passagen.
Pierre Legendre behauptet, die Effektivität und Attraktivität des römischen und später dazu noch römisch-katholischen Rechts läge gerade daran, dass es selbst schon Zugänge und Ausgänge verspreche. Das Recht sei nicht zuletzt deswegen attraktiv, weil es verspreche, loswerdbar zu sein. Man müsste an anderer Stelle mehr über die Geschichte und Theorie des Antijuridismus sagen. Loick schildert selbst schon ältere Juridismuskritik aus dem 19. Jahrhundert.
2.
Loick verwendet den Begriff des Juridismus für Trennungen, die dominant, hegemonial, atomisierend sind und die gutes und gelinges Leben hindern. Der Juridismus ist bei ihm ein Hindernis. Das schlechte Recht untergräbt Konditionen guten und gelingenden Lebens. Knapp gesagt: Loick verwendet den Begriff pejorativ. Ich verwende ihn anders, nicht total anders. Meine Forschung ist nicht antijuridisch, auch wenn sie einmal einem Juridismus oder einem Antijuridismus gilt. Ob die Atomisierung so beklagenswert ist und so mit Rechtsformen verknüpft werden sollte, die man privat nennt? Ist nicht die Teflonisierung des Beklagenswerte, und beschichtet es nicht auch das Politische? Ich verwende den Begriff Juridismus nicht unbedingt pejorativ, aber auch nicht gerne. Loick leugnet nicht, dass auch das Zusammenleben durch Trennungen geht und wie Loick knüpfe ich den Begriff Juridismus an Trennungen, anders gesagt an Operationalisierungen von Differenz, vor allem Operationalisierungen des Umgangs mit Differenz. Wie Loick leugne ich nicht, dass Trennungen verbindlich sein können. Kurz gesagt: das Verbindliche an Normen und Rechten ist, dass sie unterscheiden.
Seine Kritik trifft auch etwas, unter anderem daneben, aber nicht nur daneben. Wenn es das gibt, was Loick unterstellt, dominante, hegemoniale und gleichzeitig gutes und gelingendes Leben verhindernde Trennungen, dann würde ich sie nicht so eng an die Kategorien binden, an die Loick sie bindet und die er aus der Auseinandersetzung der Systemphilosophie und iherNachfolger mit dem bürgerlichen, liberalen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts heraus begreift. Da unterschätzt er vielleicht das, was Ladeur aus dem Liberalismus ableitet oder im Hinblick auf Ladeurs Methode vielleicht besser gesagt: auszappt, nämlich das Irritationspotential dieser Gesellschaften, einschließlich dessen, was sie alles verschlingen und ausspucken. Das ist sicher nicht nur anreichernd und bereichernd, aber das ist es auch. Es gibt Bereiche, in denen sich Lebensbedingungen verbessert haben, vor allem für menschliche Wesen, und die dabei von dem zehren, was Loick den Juridismus nennt. Um das sicher sagen zu können, fehlt mit philosophische Expertise, sprich: die Texte des 19. Jahrhunderts kenne ich mit ihren Entstehungsbedingungen zu schlecht. An anderen Stellen mehr dazu.
Juridische Vorgänge sind Vorgänge, die Differenzen operationalisieren und Recht mitmachen. Das kann entfernt geschehen, sie können räumlich und zeitlich entfernt Recht mitmachen, etwa weil ein Vorgang am anderen Ende der Welt oder im 14. Jahrhundert Recht mitgemacht hat. Recht mitzumachen kann heißen, dabei zu kooperieren, wenn Recht übertragen und geteilt wird. Es kann heißen, Recht widerständig und insistierend mitzumachen, dass muss nicht kooperativ sein. Das kann also sein, dass es heißt, Recht auf den Plan zu rufen, zu reizen, zu erleiden oder von ihm getroffen zu werden. Ein infamer Mensch macht Recht mit, Elon Musk macht Recht mit. Ich verwende den Begriff des Juridischen so, dass er mir möglicht, Fragen nachzugehen, die sich stellen. Und diese Fragen betreffen die Übertragung und Teilung von Recht in einer Welt, in der Recht multipel ist und es mehrfache Normativitätsregime gibt. Den Begriffen des Eigenen, der Selbstreferenz, der Ausdifferenzierung oder der Autonomie möchte ich ein letztes Wort nicht gönnen und ihre Schlüsselfunktion nicht hinnehmen. Muliplizität ist kein stabiler Zustand, sie ist auch voller Seitenwechsel, voller Trennungen und Austauschmanöver. Aus allem dem folgt die methodische Entscheidung, für die Vorgänge der Übertragung und Teilung nicht einen, sondern zwei Begriffe zu verwenden, also vom Juristischen und vom Juridischen zu sprechen. Dabei geht es nicht darum, die guten und die gelingenden Vorgänge und die Vorgänge, die nicht gut sind und nicht gelingen, groß zu trennen. Die beiden Begriffe 'juristisch' und juridisch' sind so verwechselbar, sie klingen so ähnlich, ihr Unterschied ist klein.
Wie Warburg interesse ich mich für ein (Ver-)Wechselwissenschaft, für Verstellungen und Verwandlungen wie etwa für Warburgs Idee der Inversionen (z.B von Trajans Gerechtigkeit), wie die Verwandlung von Gregor Samsa in einen Käfer oder von Achille Ratti in den Papst Pius XI, von einem Insektenkorb in eine Tiara oder von einer Fliegenklatsche in ein muscafugium, von Persern in Römer, von Oströmern in Weströmer. Nicht zuletzt für vage, d.i. verschlingendes und verschlungenes, sowie polares Recht, das alles Mögliche in Recht verwandelt oder sich in etwas anderes als Recht verwandelt. Da stellen sich Fragen. Nicht dass die Methode dazu nicht normativ sein soll, ganz im Gegenteil. Es gilt, Differenzen zu operationalisieren, den Umgang damit zu operationalisieren. Was man macht, soll man richtig machen.
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korrektheiten · 6 months
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Das Comeback der Sklaverei
Manova: »Zwangsarbeit interessiert in der liberalen Gesellschaft nur am Rande. Das Zusammenleben regeln von rechtlich freien Bürgern geschlossene Verträge, nicht von oben mit Zwang durchgesetzte Zucht und Ordnung. Wird Zwangsarbeit doch einmal angesprochen, geht es meist um illiberale Gesellschaften. Gern wird auf China und Russland gezeigt. Auch die Sklaverei in den amerikanischen Südstaaten und die Vernichtung durch Arbeit in Nazi-Konzentrationslagern wird mitunter erwähnt. Menschenhandel und Zwangsprostitution in den liberalen Gesellschaften der Gegenwart werden bevorzugt osteuropäischer Mafia und islamischen Clans angelastet. Die Opfer dieser Machenschaften sind dabei von untergeordnetem Interesse. Wichtiger ist die Botschaft: Liberale Gesellschaften können illiberale Praxis überwinden, müssen sich aber beständig der Bedrohung durch illiberale Kräfte erwehren. Wer glaubt, Selbstkritik gehöre zum Liberalismus, sieht sich getäuscht. Der eigene Illiberalismus wird im Eifer des Gefechts gegen die äußere Bedrohung gern übersehen. http://dlvr.it/SzHx0p «
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das-wissen-1 · 7 months
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Einleitung: Der Sozialstaat ist ein zentrales Konzept in vielen modernen Gesellschaften weltweit. Er stellt ein politisches und wirtschaftliches Modell dar, das darauf abzielt, den Bürgern soziale Sicherheit und faire Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewährleisten. Der Sozialstaat entwickelte sich im Laufe der Geschichte aus sozialen Bewegungen und politischen Reformen heraus und ist eng mit dem Wohlstand und der Stabilität von Gesellschaften verknüpft. In den unterschiedlichen Ländern gibt es verschiedene Modelle des Sozialstaats, die auf unterschiedlichen Prinzipien und Wirkungsweisen basieren. Die Modelle unterscheiden sich in ihrer Organisationsstruktur, ihren Finanzierungsmechanismen, ihren Leistungen und den zugrundeliegenden sozialpolitischen Ideologien. Einige Länder setzen auf ein umfassendes Wohlfahrtssystem, während andere eher auf eine Grundversorgung durch soziale Sicherungsmechanismen setzen. In diesem Artikel werden wir uns eingehend mit den verschiedenen Modellen des Sozialstaats sowie den Wirkungsweisen und Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, befassen. Die sozialpolitischen Modelle des Sozialstaats können in drei Hauptkategorien eingeteilt werden: den Liberalen Sozialstaat, den Konservativen Sozialstaat und den Sozialdemokratischen Sozialstaat. Jedes Modell hat unterschiedliche Ziele, Prinzipien und Vorgehensweisen, um soziale Sicherheit und Chancengleichheit zu gewährleisten. Der Liberale Sozialstaat basiert auf dem Prinzip der individuellen Verantwortung und begrenzten staatlichen Eingriffen in die sozialen Sicherungssysteme. Der Fokus liegt hier vor allem auf der Förderung der Eigenverantwortung und der individuellen Freiheit. Der Staat stellt Mindeststandards und Grundversorgung sicher, während der Markt und die individuellen Entscheidungen der Bürger für den Rest sorgen sollen. Dieses Modell findet sich vor allem in den USA und Großbritannien. Der Konservative Sozialstaat legt den Schwerpunkt auf die Erhaltung bestehender sozialer Strukturen und die Unterstützung der Familien. Der Staat hat hier eine regelnde Funktion und fördert die private Vorsorge und freiwillige Solidarität. Der Konservative Sozialstaat betont die Wahrung der sozialen Ordnung und Traditionen, und legt großen Wert auf die Förderung von Familien und Gemeinschaften. Deutschland und einige Länder in Europa wie beispielsweise Frankreich sind typische Beispiele für den Konservativen Sozialstaat. Der Sozialdemokratische Sozialstaat hingegen setzt auf eine umfassende soziale Absicherung und aktive staatliche Eingriffe in die sozialen Systeme. Der Schwerpunkt liegt hier auf der sozialen Gerechtigkeit und der Umverteilung von Ressourcen zur Gewährleistung gleicher Chancen für alle Bürger. Der Sozialdemokratische Sozialstaat zeichnet sich durch hohe Steuern und Abgaben aus und sorgt für eine umfassende soziale Absicherung seiner Bürger. Skandinavische Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark sind bekannt für ihr starkes sozialdemokratisches Modell des Sozialstaats. Unabhängig von ihrem spezifischen Modell stehen alle Sozialstaaten vor ähnlichen Herausforderungen und aktuellen Entwicklungen wie dem demographischen Wandel, der Globalisierung, der Digitalisierung und zunehmenden Ungleichheiten. Die langfristige Nachhaltigkeit der Sozialsysteme und ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Rahmenbedingungen sind von großer Bedeutung. Um die Effektivität, Fairness und Nachhaltigkeit der verschiedenen Sozialstaatsmodelle zu bewerten, werden in der wissenschaftlichen Literatur diverse Bewertungskriterien herangezogen. Dazu gehören beispielsweise die Auswirkungen auf die Armutsbekämpfung, die soziale Mobilität, die Arbeitsmarktintegration, die Geschlechtergerechtigkeit und die wirtschaftliche Stabilität. Zahlreiche Studien und Vergleiche zwischen den unterschiedlichen Modellen haben gezeigt, dass es kein einheitliches "perfektes" Modell gibt, sondern dass jedes Modell Stärken und Schwächen aufweist und an die spezifischen Bedürfnisse und Werte einer Gesellschaft angepasst sein muss.
Dieser Artikel wird einen vertieften Einblick in die verschiedenen Modelle des Sozialstaats bieten, ihre Wirkungsweisen untersuchen und kritisch diskutieren. Dabei werden sowohl die Chancen und Potenziale als auch die Herausforderungen und Grenzen der verschiedenen Modelle beleuchtet. Darüber hinaus werden aktuelle Debatten und Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Sozialstaat diskutiert und mögliche zukünftige Entwicklungen aufgezeigt. Grundlagen Der Sozialstaat ist ein politisches Konzept, das darauf abzielt, den Bürgern eines Landes soziale Sicherheit zu bieten. Dabei geht es um die Bereitstellung verschiedener Leistungen und Dienstleistungen, die darauf abzielen, die Lebensbedingungen und das Wohlergehen der Bevölkerung zu verbessern. Der Sozialstaat basiert auf dem Prinzip der Solidarität, bei dem diejenigen, die über ausreichende Ressourcen verfügen, dazu beitragen, diejenigen zu unterstützen, die sich in schwierigen Situationen befinden. Historischer Hintergrund Die Idee des Sozialstaates hat ihren Ursprung im 19. Jahrhundert, als eine Antwort auf die sozialen Verwerfungen der Industrialisierung. Die rasche Urbanisierung und die Ausbeutung der Arbeiterklasse führten zu sozialen Missständen, die von verschiedenen Philosophen und Politikern erkannt wurden. Einer der bedeutendsten Pioniere des Sozialstaates war der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, der in den 1880er Jahren verschiedene Sozialversicherungssysteme einführte, um den Arbeitern sozialen Schutz zu bieten. Ziele des Sozialstaats Der Sozialstaat hat verschiedene Ziele, die dazu beitragen sollen, die Lebensqualität und das Wohlergehen der Bürger zu verbessern. Dazu gehören unter anderem: Soziale Sicherheit: Der Sozialstaat soll den Menschen ein Mindestmaß an Einkommen, Unterkunft, Gesundheitsschutz und sozialer Unterstützung gewährleisten. Chancengleichheit: Der Sozialstaat soll sicherstellen, dass alle Bürger die gleichen Chancen auf Bildung, Beschäftigung und Aufstieg haben, unabhängig von ihrer sozialen oder wirtschaftlichen Situation. Armutsbekämpfung: Der Sozialstaat soll Maßnahmen ergreifen, um die Armut zu verringern und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Soziale Integration: Der Sozialstaat soll dazu beitragen, dass alle Bürger in die Gesellschaft integriert sind und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Sozialstaatliche Modelle Es gibt verschiedene Modelle des Sozialstaates, die sich in ihren Ansätzen und Ausprägungen unterscheiden. Die drei bekanntesten Modelle sind das liberal-konservative Modell, das sozialdemokratische Modell und das korporatistische Modell. Jedes Modell legt den Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte des Sozialstaates und hat verschiedene Vorstellungen von der Rolle des Staates. Das liberal-konservative Modell: Dieses Modell legt den Schwerpunkt auf individuelle Verantwortung und Selbsthilfe. Der Staat greift nur minimal in die soziale Sicherheit ein und setzt in erster Linie auf private Versicherungen und den freien Markt. Das sozialdemokratische Modell: In diesem Modell ist der Staat stark in die soziale Sicherheit eingebunden und gewährleistet umfassenden Schutz und Unterstützung für seine Bürger. Dabei werden die sozialen Leistungen über eine progressive Besteuerung finanziert. Das korporatistische Modell: Hier besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Staat, den Gewerkschaften und den Arbeitgebern. Der Staat überwacht und reguliert die soziale Sicherheit, während die Gewerkschaften und Arbeitgeber an der Gestaltung und Finanzierung beteiligt sind. Finanzierung des Sozialstaates Die Finanzierung des Sozialstaates erfolgt in der Regel durch verschiedene Quellen. Dazu gehören Steuern, Beiträge zu Sozialversicherungen, Darlehen und staatliche Zuwendungen. Die genaue Aufteilung und Finanzierung hängt vom jeweiligen Modell und den politischen Entscheidungen des Landes ab. Wirkungsweisen und Herausforderungen Der Sozialstaat hat eine Vielzahl von Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er trägt dazu
bei, Armut zu bekämpfen, soziale Sicherheit zu gewährleisten und das Wohlergehen der Bevölkerung zu verbessern. Gleichzeitig sind die Sozialsysteme mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, wie demografischen Veränderungen, steigenden Kosten und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Die Effektivität und Effizienz des Sozialstaates sind stark diskutierte Themen in der politischen Debatte. Untersuchungen und Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen hinsichtlich der Wirkungsweisen des Sozialstaates. Einige Studien argumentieren, dass ein starker Sozialstaat das Wohlergehen der Bevölkerung erhöht und soziale Probleme mindert. Andere Studien betonen hingegen die potenziellen negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft und individuelle Anreize. Merke Der Sozialstaat ist ein politisches Konzept, das darauf abzielt, den Bürgern soziale Sicherheit zu bieten und ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Die Grundlagen des Sozialstaates umfassen historische Hintergründe, verschiedene Modelle, Ziele, Finanzierung und Wirkungsweisen. Während der Sozialstaat als wichtiges Instrument zur Armutsbekämpfung und sozialen Integration angesehen wird, sind seine Wirkungen und Herausforderungen Gegenstand politischer und wissenschaftlicher Diskussionen. Es ist von entscheidender Bedeutung, den Sozialstaat weiterzuentwickeln und anzupassen, um den sich ändernden Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Quellen: - Bismarck, O. von. (1891). Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter. Reichs-Gesetz-Blatt, 27(1), 5-11. - Esping-Andersen, G. (1990). The three worlds of welfare capitalism. Princeton University Press. - Ferrera, M. (1996). The 'southern model'of welfare in social Europe. Journal of European social policy, 6(1), 17-37. - Korpi, W., & Palme, J. (1998). The paradox of redistribution and strategies of equality: welfare state institutions, inequality, and poverty in the western countries. American sociological review, 63(5), 661-687. - Pierson, C. (1996). The new politics of the welfare state. World politics, 48(2), 143-179. Wissenschaftliche Theorien zum Sozialstaat Der Sozialstaat ist ein bedeutendes Konzept und Thema in der politischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Zahlreiche wissenschaftliche Theorien wurden entwickelt, um die Modelle und Wirkungsweisen des Sozialstaats zu erklären und zu analysieren. Diese Theorien bieten einen wertvollen Einblick in den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Kontext des Sozialstaats und können dazu beitragen, die Effektivität und Legitimität verschiedener Sozialstaatsmodelle zu bewerten. In diesem Abschnitt werden einige der prominentesten wissenschaftlichen Theorien zum Sozialstaat vorgestellt und diskutiert. Liberalismustheorie Die Liberalismustheorie betrachtet den Sozialstaat im Rahmen der liberalen Ideologie, die Individualität, freie Märkte und begrenzte staatliche Intervention betont. Diese Theorie argumentiert, dass der Sozialstaat als Ergänzung zum freien Markt fungieren sollte, um soziale Gerechtigkeit sicherzustellen und Marktunvollkommenheiten zu korrigieren. Den Befürwortern der Liberalismustheorie zufolge sollte der Sozialstaat den Bedürftigen eine Basisversorgung gewähren, um Chancengleichheit zu gewährleisten und soziale Mobilität zu fördern. Sozialdemokratische Theorie Im Gegensatz zur Liberalismustheorie betont die sozialdemokratische Theorie den starken Einfluss des Sozialstaats auf die Reduzierung von Ungleichheit und sozialen Disparitäten. Diese Theorie legt den Schwerpunkt auf die Umverteilung von Ressourcen und die Bereitstellung umfassender sozialer Sicherungssysteme. Die sozialdemokratische Theorie argumentiert, dass ein gut ausgebauter Sozialstaat notwendig ist, um soziale Gerechtigkeit und Solidarität in einer Gesellschaft zu fördern. Marxistische Theorie Die Marxistische Theorie betrachtet den Sozialstaat im Rahmen der klassenkämpferischen Dynamik zwischen Arbeit und Kapital. Laut dieser Theorie dient der Sozialstaat in erster Linie den
Interessen der herrschenden Klasse, um soziale Unruhen zu verhindern und das kapitalistische System aufrechtzuerhalten. Die marxistische Theorie argumentiert, dass der Sozialstaat die Ausbeutung der Arbeitenden mildert, aber nicht ihre grundlegenden ökonomischen und politischen Bedingungen verändert. Neoinstitutionalismus Die neoinstitutionalistische Perspektive analysiert den Sozialstaat als Produkt institutioneller Arrangements und politischer Entscheidungsprozesse. Diese Theorie argumentiert, dass der Sozialstaat durch soziale Normen, Regeln und Vorschriften geformt wird, die von verschiedenen Akteuren wie Regierungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen geschaffen werden. Der neoinstitutionalistische Ansatz betont die Bedeutung von Pfadabhängigkeit und politischen Interessen bei der Gestaltung des Sozialstaats. Rational-Choice-Theorie Die Rational-Choice-Theorie analysiert das Verhalten von Individuen im Rahmen der Sozialstaatspolitik auf der Grundlage rationaler Entscheidungen und Kosten-Nutzen-Analysen. Diese Theorie geht davon aus, dass Individuen ihre Handlungen darauf ausrichten, ihre Interessen zu maximieren. In Bezug auf den Sozialstaat argumentiert die Rational-Choice-Theorie, dass Individuen die Vor- und Nachteile staatlicher sozialer Leistungen abwägen und ihre Entscheidungen entsprechend treffen. Gendertheorie Die Gendertheorie betrachtet den Sozialstaat im Zusammenhang mit Geschlechterungleichheiten und geschlechtsspezifischen Bedürfnissen. Diese Theorie argumentiert, dass der Sozialstaat einen erheblichen Einfluss auf die Geschlechterverhältnisse hat und dass geschlechtersensible Politik und Programme notwendig sind, um geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu überwinden. Die Gendertheorie untersucht auch die Auswirkungen des Sozialstaats auf die Aufteilung von Arbeit, die soziale Sicherheit von Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter. Diese wissenschaftlichen Theorien bieten verschiedene Perspektiven auf den Sozialstaat und seine Wirkungsweisen. Sie helfen dabei, die Komplexität des Sozialstaats zu verstehen und geben Anregungen für politische Entscheidungsträger und Debatten über die Weiterentwicklung und Reform des Sozialstaats. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Theorien sich ergänzen und sich nicht unbedingt ausschließen. Eine ganzheitliche Betrachtung des Sozialstaats erfordert die Berücksichtigung mehrerer theoretischer Ansätze, um ein umfassendes Verständnis und eine fundierte Analyse zu ermöglichen. Vorteile des Sozialstaats Der Sozialstaat ist ein politisches und gesellschaftliches Konzept, das darauf abzielt, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Er basiert auf der Idee, dass der Staat eine Verantwortung für das Wohlergehen und den Schutz seiner Bürger trägt. Obwohl der Sozialstaat in verschiedenen Ländern unterschiedlich gestaltet ist, gibt es eine Reihe von allgemeinen Vorteilen, die mit diesem Modell verbunden sind. 1. Armutsbekämpfung und soziale Sicherheit Ein wesentlicher Vorteil des Sozialstaats besteht darin, dass er Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und zur Bereitstellung von sozialer Sicherheit implementiert. Durch ein Netzwerk von sozialen Unterstützungssystemen wie Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung und Sozialhilfe ermöglicht der Sozialstaat Menschen, die in Not geraten sind, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Dies stärkt den sozialen Frieden, da Menschen weniger Angst vor existenziellen Risiken haben und somit in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt zu führen. Zahlreiche Studien zeigen, dass der Sozialstaat einen positiven Einfluss auf die Armutsbekämpfung hat. Eine Untersuchung des Europäischen Zentrums für Sozialforschung ergab, dass Länder mit einem starken Sozialstaat eine niedrigere Armutsquote aufweisen als Länder mit schwacher sozialer Absicherung. Eine solide soziale Absicherung verhindert nicht nur, dass Menschen in die Armut abrutschen, sondern kann auch dazu beitragen, dass sie aus der Armut herausfinden.
2. Förderung von Bildung und Chancengleichheit Ein weiterer Vorteil des Sozialstaats besteht in seiner Fähigkeit, Bildung und Chancengleichheit zu fördern. Durch die Bereitstellung von kostenlosen oder kostengünstigen Bildungseinrichtungen, wie Kindergärten, Schulen und Universitäten, ermöglicht der Sozialstaat allen Menschen den Zugang zu Bildung unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um sozialen Aufstieg und Chancengleichheit zu fördern. Indem der Sozialstaat Investitionen in die Bildung tätigt, stellt er sicher, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und ihre Talente zu entwickeln. Studien haben gezeigt, dass Länder mit einem starken Sozialstaat eine geringere Bildungsungleichheit aufweisen und eine bessere Bildungsqualität für alle bieten. 3. Stärkung der Arbeitsmarktfähigkeit Ein weiterer Vorteil des Sozialstaats besteht darin, dass er die Arbeitsmarktfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger stärkt. Durch Programme zur aktiven Arbeitsmarktpolitik, wie Umschulungsmaßnahmen und Weiterbildungsangebote, unterstützt der Sozialstaat Menschen dabei, ihre Fähigkeiten und Kompetenzen zu erweitern und sich an den sich ständig verändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen. Dies stärkt nicht nur die individuelle Arbeitsmarktfähigkeit, sondern trägt auch zur Stärkung der Wirtschaft bei. Eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) kommt zu dem Schluss, dass ein starker Sozialstaat langfristig zu höherem Wachstum und Produktivität beitragen kann, da er die Humankapitalbildung fördert und ein flexibles Arbeitskräftepotenzial schafft. 4. Förderung der sozialen Integration und des gesellschaftlichen Zusammenhalts Ein weiterer wichtiger Vorteil des Sozialstaats besteht darin, dass er zur sozialen Integration und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beiträgt. Indem er soziale Ausgrenzung und Ungleichheit reduziert, schafft der Sozialstaat eine solidarische Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt sind und die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Durch die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen fördert der Sozialstaat die soziale Integration und die Gleichstellung von Frauen und Männern. Studien haben gezeigt, dass Länder mit einem starken Sozialstaat eine höhere soziale Integration aufweisen und ein höheres Maß an sozialem Vertrauen haben. 5. Schutz vor Risiken und Krisen Ein weiterer Vorteil des Sozialstaats besteht darin, dass er den Schutz vor Risiken und Krisen gewährleistet. Durch seine soziale Sicherungssysteme trägt der Sozialstaat dazu bei, dass Menschen finanzielle Unterstützung erhalten, wenn sie mit unvorhergesehenen Ereignissen wie Krankheit, Arbeitsplatzverlust oder Invalidität konfrontiert sind. Dies ist besonders wichtig in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit oder Krisen, wie der aktuellen COVID-19-Pandemie. Studien haben gezeigt, dass Länder mit gut ausgebauten Sozialstaaten besser in der Lage sind, auf solche Krisen zu reagieren und ihre Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Merke Der Sozialstaat bietet eine Vielzahl von Vorteilen für die Gesellschaft. Er trägt zur Armutsbekämpfung und sozialen Sicherheit bei, fördert Bildung und Chancengleichheit, stärkt die Arbeitsmarktfähigkeit, fördert soziale Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt und gewährleistet den Schutz vor Risiken und Krisen. Diese Vorteile sind von entscheidender Bedeutung, um eine gerechte und inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die gleichen Chancen haben. Um diese Vorteile zu realisieren, ist es jedoch wichtig, dass der Sozialstaat auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen und evidenzbasierten politischen Maßnahmen basiert. Nur so kann er seine volle Wirkung entfalten und zum Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger beitragen. Nachteile oder Risiken des Sozialstaats Der Sozialstaat
ist ein politisches Konzept, das darauf abzielt, das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger zu fördern und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Die Idee des Sozialstaats beinhaltet die Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen für diejenigen, die sie benötigen. Obwohl dieses Konzept viele Vorteile mit sich bringt, gibt es auch Nachteile und Risiken, die berücksichtigt werden müssen. Kosten des Sozialstaats Ein Hauptnachteil des Sozialstaats ist die Belastung der öffentlichen Finanzen. Die Bereitstellung umfangreicher sozialer Dienstleistungen erfordert erhebliche finanzielle Ressourcen, die aus Steuergeldern finanziert werden. Dies kann zu einer übermäßigen Besteuerung führen, insbesondere für diejenigen, die bereits hohe Einkommen haben. Darüber hinaus können hohe Sozialausgaben zu Haushaltsdefiziten führen und die Staatsschulden erhöhen. Dies wiederum kann die wirtschaftliche Stabilität eines Landes beeinträchtigen und langfristige Auswirkungen auf das Wachstum und die Entwicklung haben. Abhängigkeit vom Sozialstaat Ein weiterer Nachteil des Sozialstaats ist die potenzielle Abhängigkeit der Menschen von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. Wenn der Sozialstaat großzügige Leistungen bietet, können einige Menschen in Versuchung geraten, diese Leistungen auszunutzen und sich auf staatliche Hilfe zu verlassen, anstatt ihre eigenen Anstrengungen zu unternehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dies kann dazu führen, dass Menschen weniger motiviert sind, Arbeit zu suchen oder sich weiterzubilden, da sie nicht die gleichen Anreize haben, wie wenn sie ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten müssten. Eine solche Abhängigkeit vom Sozialstaat kann langfristig zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und zum Verlust von Produktivität führen. Bürokratie und ineffiziente Verwaltung Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Sozialstaat besteht in der Bürokratie und der ineffizienten Verwaltung der sozialen Dienstleistungen. Umfangreiche Programme erfordern eine komplexe Verwaltungsstruktur, die oft mit bürokratischen Hindernissen verbunden ist. Dies kann zu Verzögerungen und Fehlern bei der Bereitstellung von Leistungen führen. Darüber hinaus können Verwaltungskosten und ineffiziente Prozesse zu einer Verschwendung von Ressourcen führen. Es besteht die Gefahr, dass Gelder, die für soziale Dienstleistungen vorgesehen sind, aufgrund von Korruption oder ineffizienten Verfahren nicht richtig genutzt werden. Dies kann sowohl die Wirksamkeit des Sozialstaats als auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Regierung beeinträchtigen. Fehlanreize und moralisches Risiko Ein weiteres Risiko des Sozialstaats sind potenzielle Fehlanreize und ein erhöhtes moralisches Risiko. Wenn staatliche Unterstützung großzügig gewährt wird, kann dies dazu führen, dass Menschen weniger Eigenverantwortung übernehmen und sich weniger um ihre finanzielle Situation kümmern. Sie können dazu ermutigt werden, risikoreiches Verhalten an den Tag zu legen oder weniger sparsam mit ihren Ressourcen umzugehen, da sie wissen, dass sie im Notfall staatliche Unterstützung erhalten können. Dies kann zu einer Überlastung des Sozialsystems führen und zu einer Verringerung der individuellen Verantwortung und Eigeninitiative führen. Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten Obwohl der Sozialstaat darauf abzielt, soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, kann er auch zu Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten führen. Der Zugang zu sozialen Dienstleistungen kann je nach sozialem oder wirtschaftlichem Status variieren. Besserverdienende Menschen haben oft Zugang zu besseren Gesundheits- oder Bildungseinrichtungen als Menschen mit niedrigerem Einkommen. Dies kann zu einer Verstärkung der bestehenden sozialen Ungleichheiten führen. Darüber hinaus können bestimmte Gruppen, wie beispielsweise Migranten oder Menschen mit Behinderungen, Schwierigkeiten haben, Zugang zu den ihnen zustehenden Leistungen zu erhalten. Dies
stellt eine weitere Herausforderung für die soziale Gerechtigkeit dar und erfordert eine kontinuierliche Überprüfung und Verbesserung des Sozialstaats. Wirtschaftliche Auswirkungen Ein weiterer Nachteil des Sozialstaats sind potenzielle wirtschaftliche Auswirkungen. Hohe Steuern und Sozialbeiträge können Unternehmen und Investoren abschrecken und zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Aktivität führen. Wenn Unternehmen mit hohen Lohnkosten konfrontiert sind, kann dies zu Arbeitsplatzverlusten oder zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in Länder mit niedrigeren Kosten führen. Darüber hinaus kann ein umfangreiches soziales Sicherheitsnetz zu einer Verringerung der Arbeitsanreize führen, da Menschen weniger motiviert sein könnten, Arbeit zu suchen oder in ihre berufliche Entwicklung zu investieren. Dies kann zu einer Verringerung der Produktivität und des langfristigen Wirtschaftswachstums führen. Demografische Herausforderungen Schließlich steht der Sozialstaat vor dem Risiko demografischer Herausforderungen. Eine alternde Bevölkerung kann zu einem Anstieg der Sozialausgaben führen, da immer mehr Menschen Rente, Krankenversicherung oder andere Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Gleichzeitig kann die Zahl der Erwerbstätigen, die in das Sozialsystem einzahlen, abnehmen. Dies stellt eine enorme finanzielle Belastung für den Sozialstaat dar und erfordert eine nachhaltige Finanzierung und Anpassung des Systems, um den demografischen Wandel zu bewältigen. Insgesamt gibt es eine Reihe von Nachteilen und Risiken im Zusammenhang mit dem Sozialstaat. Diese reichen von finanziellen Belastungen und Abhängigkeit vom Staat bis hin zu ineffizienter Verwaltung und Fehlanreizen. Es ist wichtig, diese Faktoren zu berücksichtigen und Strategien zu entwickeln, um mit ihnen umzugehen und den Sozialstaat weiterhin effektiv und gerecht zu gestalten. Anwendungsbeispiele und Fallstudien In diesem Abschnitt werden verschiedene Anwendungsbeispiele und Fallstudien im Zusammenhang mit dem Thema 'Der Sozialstaat: Modelle und Wirkungsweisen' betrachtet. Die folgenden Beispiele veranschaulichen die unterschiedlichen Aspekte und Auswirkungen des Sozialstaats auf das individuelle und gesellschaftliche Wohlergehen. Beispiel 1: Das skandinavische Modell Das skandinavische Modell gilt oft als Paradebeispiel für einen starken Sozialstaat. Länder wie Schweden, Norwegen und Dänemark haben umfassende soziale Sicherungssysteme etabliert, die eine hohe Lebensqualität für ihre Bürgerinnen und Bürger gewährleisten. Diese Länder investieren stark in Bereiche wie Bildung, Gesundheit und familienfreundliche Politik. Als Ergebnis haben sie niedrige Armutsraten, eine hohe soziale Mobilität und eine gute Gesundheitsversorgung für alle. Eine Studie des World Economic Forum zeigt, dass das skandinavische Modell positive Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Sie betont, dass der Sozialstaat in diesen Ländern zu einer höheren Lebenserwartung, niedrigeren Einkommensungleichheit und einer geringeren Arbeitslosigkeit beiträgt. Die Investitionen in Bildung haben zu einer hochqualifizierten Arbeitskräftebasis geführt, was die Wettbewerbsfähigkeit der Länder steigert. Beispiel 2: Der deutsche Sozialstaat Ein weiteres interessantes Anwendungsbeispiel ist der deutsche Sozialstaat. Deutschland hat ein umfangreiches soziales Sicherungssystem mit verschiedenen Leistungen wie Arbeitslosengeld, Krankenversicherung und Rentenversicherung etabliert. Diese Maßnahmen sollen den Bürgern helfen, soziale Risiken abzufedern und ein Mindestmaß an Lebensstandard zu gewährleisten. Eine Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass der deutsche Sozialstaat eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Armut spielt. Insbesondere die Sozialhilfe und das Arbeitslosengeld II haben sich als wirksame Instrumente erwiesen, um Menschen aus der Armut zu helfen. Die Studie zeigt auch, dass die soziale Absicherung in Deutschland zur Verringerung der Einkommensungleichheit beiträgt. Beispiel 3: Das bedingungslose Grundeinkommen in Finnland
Ein interessantes Fallbeispiel ist das Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in Finnland. Zwischen 2017 und 2018 wurde an eine Gruppe von 2.000 zufällig ausgewählten Arbeitslosen ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt, ohne Bedingungen wie Arbeitsverpflichtungen oder Vermögensprüfungen. Das Ziel dieses Experiments war es, zu untersuchen, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen Menschen dazu motivieren könnte, Arbeit aufzunehmen und wirtschaftlich aktiver zu sein. Die Ergebnisse zeigen, dass das bedingungslose Grundeinkommen keine signifikanten Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung hatte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren nicht mehr oder weniger geneigt, eine Beschäftigung aufzunehmen als diejenigen, die kein Grundeinkommen erhielten. Es gab jedoch einige positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie eine geringere finanzielle Belastung und ein geringeres Stressniveau. Beispiel 4: Der Einfluss des Sozialstaats auf die Gesundheitsversorgung Ein weiterer wichtiger Aspekt des Sozialstaats ist sein Einfluss auf die Gesundheitsversorgung. Länder mit umfassenden Sozialsystemen investieren oft mehr in die Gesundheitsinfrastruktur und bieten einen besseren Zugang zu Gesundheitsleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger. Eine Studie der World Health Organization verglich die Gesundheitssysteme verschiedener Länder und zeigte, dass Länder mit einem starken Sozialstaat tendenziell bessere Gesundheitsergebnisse aufweisen. Dies liegt daran, dass Investitionen in die Prävention, frühe Diagnose und Behandlung von Krankheiten dazu beitragen, gesundheitliche Probleme frühzeitig zu erkennen und zu bewältigen. Darüber hinaus ermöglicht ein allgemeiner Zugang zu Gesundheitsdiensten eine bessere Versorgung der Bevölkerung. Beispiel 5: Der Einfluss des Sozialstaats auf die soziale Mobilität Die soziale Mobilität ist ein wichtiger Indikator für die Chancengleichheit innerhalb einer Gesellschaft. Der Sozialstaat kann einen erheblichen Einfluss auf die soziale Mobilität haben, indem er den Zugang zu Bildung, Beschäftigungsmöglichkeiten und sozialer Sicherheit erleichtert. Eine Studie der OECD zeigt, dass Länder mit einem starken Sozialstaat tendenziell eine höhere soziale Mobilität aufweisen. Dies liegt daran, dass der Sozialstaat durch die Bereitstellung von Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten dazu beitragen kann, den Teufelskreis der Armut zu durchbrechen. Indem er benachteiligten Gruppen den gleichen Zugang zu Ressourcen und Chancen ermöglicht, kann der Sozialstaat dazu beitragen, die soziale Ungleichheit zu verringern und die soziale Mobilität zu fördern. Merke Die betrachteten Anwendungsbeispiele und Fallstudien verdeutlichen die verschiedenen Auswirkungen des Sozialstaats auf das individuelle und gesellschaftliche Wohlergehen. Das skandinavische Modell zeigt, wie ein umfassender Sozialstaat zu einer hohen Lebensqualität und geringen Ungleichheit führen kann. Das deutsche Sozialstaatsmodell hat sich als wirksames Instrument zur Armutsbekämpfung erwiesen. Das Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen in Finnland zeigt, dass ein solches Konzept das Wohlbefinden der Menschen verbessern kann, jedoch keine signifikanten Auswirkungen auf die Arbeitsmarktbeteiligung hat. Schließlich haben umfassende Sozialsysteme einen positiven Einfluss auf die Gesundheitsversorgung und die soziale Mobilität. Diese Fallbeispiele verdeutlichen, dass der Sozialstaat eine wichtige Rolle bei der Schaffung eines solidarischen und gerechten Gesellschaftssystems spielt. Durch Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit kann der Sozialstaat dazu beitragen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern und soziale Ungleichheiten zu verringern. Es ist daher wichtig, den Sozialstaat als Instrument zur Förderung des individuellen und gesellschaftlichen Fortschritts zu betrachten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Häufig gestellte Fragen 1. Was ist ein Sozialstaat? Ein Sozialstaat
ist ein politisches System, das darauf abzielt, das Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger zu fördern und soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Der Sozialstaat stellt verschiedene Sozialleistungen und soziale Sicherungssysteme bereit, um die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen und ihnen eine angemessene Lebensqualität zu ermöglichen. Dazu gehören beispielsweise das Rentensystem, die Krankenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die soziale Unterstützung und Bildungsförderung. Die genaue Ausgestaltung und der Umfang der Sozialleistungen variieren von Land zu Land. 2. Welche Modelle des Sozialstaats gibt es? Es gibt verschiedene Modelle des Sozialstaats, die sich in ihrer Ausrichtung und den angebotenen Sozialleistungen unterscheiden. Die drei bekanntesten Modelle sind der liberale, der konservative und der sozialdemokratische Sozialstaat. Der liberale Sozialstaat legt den Fokus auf individuelle Freiheit und Eigenverantwortung. Hier spielen private Versicherungen und die Förderung individueller Spar- oder Investitionsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Der Staat greift nur minimal in das soziale Sicherungssystem ein und überlässt es weitgehend dem Markt und der Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger. Der konservative Sozialstaat betont die Bedeutung von Familie, Gemeinschaft und Tradition. Hier stehen vor allem familien- und gemeindebasierte Unterstützungsstrukturen im Vordergrund. Der Staat unterstützt und fördert diese Strukturen, um soziale Sicherheit zu gewährleisten. Der sozialdemokratische Sozialstaat zielt darauf ab, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu schaffen. Der Staat nimmt eine aktive Rolle ein und bietet umfassende soziale Leistungen wie kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosenunterstützung und ein umfassendes Rentensystem an. 3. Wie werden Sozialleistungen finanziert? Die Finanzierung der Sozialleistungen erfolgt auf unterschiedliche Weise, abhängig vom jeweiligen Sozialstaatsmodell und der finanziellen Situation des Landes. In der Regel werden die Sozialleistungen jedoch aus den nationalen Einnahmen und Steuergeldern finanziert. Ein häufiger Ansatz ist die Umverteilung von finanziellen Ressourcen von Personen mit höherem Einkommen zu Personen mit niedrigerem Einkommen. Dies geschieht durch progressive Besteuerung und die Bereitstellung von Sozialleistungen für Bedürftige. Einige Länder finanzieren Sozialleistungen auch durch Sozialversicherungsbeiträge, die von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gezahlt werden. Diese Beiträge werden in separate Fonds eingezahlt und später zur Finanzierung der Sozialleistungen verwendet. Darüber hinaus können Staaten auch auf staatliche Schulden, internationale Hilfen oder staatliche Investitionen zurückgreifen, um die Sozialleistungen zu finanzieren. 4. Wie effektiv sind Sozialstaatsmodelle? Die Effektivität von Sozialstaatsmodellen kann je nach verschiedenen Faktoren unterschiedlich sein. Es gibt Studien, die zeigen, dass Sozialstaatsmodelle positive Auswirkungen haben können, wie z. B. eine Verringerung der Armut, eine bessere Gesundheitsversorgung, eine höhere Lebenserwartung und eine höhere Bildungsbeteiligung. Jedoch gibt es auch Kritik an der Effektivität und Nachhaltigkeit einiger Sozialstaatsmodelle. Einige argumentieren, dass zu großzügige Sozialleistungen zu einer Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung führen und Anreize zur Arbeitsaufnahme verringern könnten. Die Effektivität eines Sozialstaatsmodells hängt außerdem von der Umsetzung und Gestaltung der jeweiligen Sozialleistungen ab und davon, wie gut sie mit den Bedürfnissen und Anforderungen der Gesellschaft übereinstimmen. 5. Welche Herausforderungen gibt es für Sozialstaaten? Sozialstaaten stehen vor verschiedenen Herausforderungen, die sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt haben. Dazu gehören: Demografischer Wandel: Eine alternde Bevölkerung führt zu steigenden Kosten im Renten- und Gesundheitssystem, während die Zahl der Erwerbstätigen sinkt. Globalisierung:
Der verstärkte internationale Wettbewerb und die Migration stellen Herausforderungen für den Sozialstaat dar, da sie die Arbeitnehmerrechte und den Arbeitsmarkt beeinflussen können. Wirtschaftliche Krisen: In Zeiten wirtschaftlicher Instabilität können die Einnahmen des Staates sinken, was die Finanzierung der Sozialleistungen erschwert. Ungleichheit: Eine zunehmende Ungleichheit in der Gesellschaft kann den Zusammenhalt und die Effektivität des Sozialstaats gefährden. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Sozialstaaten ihre Modelle regelmäßig überprüfen und anpassen, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht werden. 6. Was sind die Vor- und Nachteile eines starken Sozialstaats? Ein starker Sozialstaat hat mehrere potenzielle Vorteile. Er kann die soziale Gerechtigkeit fördern, Armut reduzieren, den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung verbessern und den sozialen Zusammenhalt stärken. Ein gut funktionierender Sozialstaat kann auch die wirtschaftliche Stabilität und das Wachstum eines Landes unterstützen. Jedoch bringen starke Sozialstaaten auch Herausforderungen und potenzielle Nachteile mit sich. Dazu gehören hohe Kosten für die Finanzierung der Sozialleistungen, die möglicherweise zu hohen Steuerbelastungen führen können. Darüber hinaus könnten großzügige Sozialleistungen dazu führen, dass Menschen weniger motiviert sind, Arbeit aufzunehmen oder sich weiterzubilden. Es ist wichtig, die Vor- und Nachteile eines starken Sozialstaats abzuwägen und sicherzustellen, dass die Gestaltung und Ausführung der Sozialleistungen den Bedürfnissen und der finanziellen Situation des Landes angemessen sind. 7. Wie unterscheidet sich der Sozialstaat in verschiedenen Ländern? Der Sozialstaat kann sich erheblich von Land zu Land unterscheiden. Die Unterschiede liegen im Umfang der Sozialleistungen, der Finanzierung, der zugrunde liegenden Philosophie und der Art und Weise, wie sie in die politische und gesellschaftliche Struktur integriert sind. Einige Länder haben umfassende Sozialstaatsmodelle mit großzügigen Sozialleistungen, während andere einen weniger umfangreichen Sozialstaat haben und mehr auf individuelle Verantwortung setzen. Die Ausgestaltung der Sozialleistungen variiert auch je nach den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Landes. Beispiele für Länder mit einem starken und umfangreichen Sozialstaat sind die skandinavischen Länder wie Schweden und Dänemark. Diese Länder haben umfassende Sozialleistungen, ein hohes Maß an sozialer Sicherheit und eine starke Umverteilung von Ressourcen. Andere Länder, wie die USA, haben zwar auch Sozialleistungen, aber in geringerem Umfang und weniger umfassend. 8. Wie hat sich der Sozialstaat im Laufe der Zeit entwickelt? Die Entwicklung des Sozialstaats begann im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als Reaktion auf die sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Industrialisierung. Die Idee des Sozialstaats wurde von verschiedenen politischen Bewegungen wie der Arbeiterbewegung und den sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien vorangetrieben. Im Laufe der Zeit haben sich die Sozialstaatsmodelle weiterentwickelt und angepasst, um den sich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Neben der Ausweitung des Leistungsumfangs haben sich auch die Prinzipien und Philosophien des Sozialstaats verändert. Einige Entwicklungen umfassen die Einführung des Rentensystems, die Etablierung eines flächendeckenden Gesundheitssystems, die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Minderheitenrechte sowie die Betonung der Bildung als Grundrecht. Die Entwicklung des Sozialstaats wird weiterhin von gesellschaftlichen Veränderungen und wirtschaftlichen Herausforderungen beeinflusst. Kritik am Sozialstaat Der Sozialstaat gilt als grundlegende Institution vieler moderner Gesellschaften, die darauf abzielt, soziale Ungleichheiten zu mildern und allen Bürgern ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit zu garantieren.
Trotz seiner weithin anerkannten Vorteile und Errungenschaften ist der Sozialstaat jedoch auch immer wieder Anfeindungen und Kritik ausgesetzt. In diesem Abschnitt werden einige der wichtigsten Kritikpunkte am Sozialstaat analysiert und diskutiert. Dabei wird auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsergebnisse zurückgegriffen, um eine fundierte Diskussion zu ermöglichen. Effizienz und Kosten Eine zentrale Kritik am Sozialstaat betrifft die Effizienz und die mit ihm verbundenen Kosten. Gegner des Sozialstaats argumentieren, dass er ineffektiv sei und zu hohen Abgaben führe, die das Wirtschaftswachstum und die individuelle Freiheit einschränken. Sie behaupten, dass der Staat durch seine Sozialausgaben zu viel in ineffiziente Programme investiere und dadurch das Marktpotenzial und den Wohlstand beeinträchtige. Eine gängige Argumentationslinie ist, dass der Sozialstaat eine moralische Hazard darstelle, indem er Menschen dazu ermutige, passiv zu werden und keine Eigenverantwortung zu übernehmen. Kritiker behaupten, dass die Existenz des Sozialstaates den Anreiz mindere, sich selbst eine bessere Lebenssituation zu schaffen, und damit zu einem dauerhaften Zustand der Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung führe. Es gibt jedoch auch Forschung, die diese Argumente widerlegt. Eine Studie von Alesina und Glaeser (2004) hat gezeigt, dass es keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Wohlfahrtsstaat und dem wirtschaftlichen Wachstum gibt. Tatsächlich haben einige Länder mit einer starken sozialen Absicherung eine hohe wirtschaftliche Leistung erzielt. In Bezug auf moralische Hazard gibt es ebenfalls widersprüchliche Beweise. Eine Meta-Analyse von Winter-Ebmer und Zweimüller (1999) hat gezeigt, dass der Großteil der Menschen nicht entmutigt wird, Arbeit zu suchen oder zu arbeiten, wenn Sozialleistungen verfügbar sind. Langfristige Auswirkungen und Anreize Eine weitere Kritik am Sozialstaat betrifft die langfristigen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die individuellen Anreize. Kritiker argumentieren, dass der Sozialstaat die Dynamik des Arbeitsmarktes beeinflusst und einen negativen Einfluss auf Innovationen und Produktivität haben kann. Sie behaupten, dass großzügige Sozialleistungen Arbeitskräfte entmutigen könnten, in die Arbeitswelt zurückzukehren oder höhere Bildungsabschlüsse anzustreben. Tatsächlich gibt es einige Hinweise darauf, dass großzügige Sozialleistungen mit einem geringeren Arbeitsanreiz verbunden sein könnten. Eine Studie von Feldmann (2003) hat gezeigt, dass höhere Arbeitslosenunterstützungssätze mit längeren Arbeitslosigkeitsphasen verbunden sind. Auch eine Untersuchung von Auerbach und Kotlikoff (1998) deutet darauf hin, dass hohe Sozialausgaben das Arbeitsangebot reduzieren können. Allerdings gibt es auch Studien, die zu anderen Merkeen kommen. Eine Meta-Analyse von Cesarini und Lindqvist (2015) hat gezeigt, dass der allgemeine Konsens in der Forschung eine eher moderate Auswirkung der Sozialausgaben auf den Arbeitsanreiz ist. Der Sozialstaat könne auch positive Effekte haben, indem er Menschen dazu befähigt, in ihre Bildung und Gesundheit zu investieren, was langfristig zu höherer Produktivität führen könne. Bürokratie und Missbrauch Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt betrifft die Bürokratie und den Missbrauch im Sozialstaat. Kritiker behaupten, dass die Verwaltung der Sozialsysteme zu komplex und ineffizient sei. Sie argumentieren, dass dies zu hohen Kosten führe und dass betrügerisches Verhalten begünstigt werde. Es ist unbestreitbar, dass einige Sozialprogramme aufgrund ihrer komplexen Natur bürokratischen Aufwand erfordern. Dies kann zu langen Wartezeiten und hohen Verwaltungskosten führen. Es gibt jedoch auch Bemühungen, die bürokratischen Hürden zu beseitigen und die Effizienz der Sozialsysteme zu verbessern. Neue Technologien wie Blockchain und digitale Identitätsverifikationssysteme können beispielsweise dazu beitragen, Betrug zu reduzieren und Verwaltungsvorgänge zu rationalisieren.
Darüber hinaus ist es wichtig anzuerkennen, dass Missbrauch im Sozialstaat zwar vorkommt, aber nicht die Regel ist. Eine Studie von Van Oorschot und Van der Meer (2005) hat gezeigt, dass der öffentliche Glaube an soziale Betrügereien oft übertrieben ist und dass die meisten Menschen tatsächlich ehrlich und verantwortungsbewusst mit den Sozialleistungen umgehen. Sozialstaat im globalen Kontext Schließlich wird der Sozialstaat auch im globalen Kontext kritisch betrachtet. Kritiker behaupten, dass der Sozialstaat das Wettbewerbsniveau zwischen Ländern beeinflusst und dass es zu einer Wettbewerbsverzerrung kommen kann. Sie argumentieren, dass Länder mit großzügigen Sozialsystemen im globalen Wettbewerb benachteiligt seien und dass die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit darunter leiden könne. Es gibt jedoch auch Argumente, die diese Kritik relativieren. Eine Studie von Hacker und Pierson (2014) legt nahe, dass es zwar kurzfristige Wettbewerbsnachteile geben kann, aber langfristig könnten soziale Investitionen die wirtschaftliche Resilienz und Produktivität eines Landes stärken. Darüber hinaus zeigen Vergleichsstudien wie der Social Progress Index, dass Länder mit starken Sozialsystemen oft auch hohe Lebensqualität und soziale Stabilität aufweisen. Merke Die Kritik am Sozialstaat ist vielfältig und bringt eine Reihe von berechtigten Bedenken mit sich. Effizienz, Kosten, Anreize, Bürokratie und globale Wettbewerbsfähigkeit sind wichtige Aspekte, die bei der Diskussion über den Sozialstaat berücksichtigt werden sollten. Allerdings ist es auch wichtig anzuerkennen, dass der Sozialstaat trotz seiner Mängel viele positive Auswirkungen hat und einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit und Stabilität in modernen Gesellschaften leistet. Eine ausgewogene Diskussion über die Kritikpunkte sollte daher auch die Erfolge und Potenziale des Sozialstaates berücksichtigen. Aktueller Forschungsstand Der Sozialstaat ist ein zentrales Element des modernen Wohlfahrtsstaates und hat eine lange Tradition in vielen Ländern weltweit. Er umfasst verschiedene Sozialleistungen, wie beispielsweise Arbeitslosengeld, Krankenversicherung oder Rentenleistungen, und soll eine soziale Absicherung für alle Mitglieder einer Gesellschaft gewährleisten. Durch den Sozialstaat sollen finanzielle Risiken minimiert und sozialer Ausgleich geschaffen werden. Definition und Entwicklung des Sozialstaats Die Definition des Sozialstaats variiert je nach Land und politischem Kontext. Generell lässt sich jedoch festhalten, dass ein Sozialstaat auf dem Prinzip der Solidarität basiert und das Ziel verfolgt, soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Dies beinhaltet den Schutz vor Armut und sozialer Ausgrenzung sowie den Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und angemessener Wohnsituation. Die Entwicklung des Sozialstaats lässt sich historisch grob in drei Phasen einteilen: Die erste Phase, auch als „klassischer Sozialstaat“ bezeichnet, begann im 19. Jahrhundert und war geprägt von der Einführung von Arbeitsschutzgesetzen und der Einrichtung einer Grundversorgung für Arme und Bedürftige. In der zweiten Phase, die in den 1930er Jahren einsetzte, wurden die Sozialleistungen deutlich erweitert und umfassten nun auch Renten- und Krankenversicherungssysteme. In der dritten Phase, seit den 1960er Jahren, wurde der Sozialstaat weiter ausgebaut und umfasst nun auch Arbeitslosen- und Familienleistungen. Modelle des Sozialstaats In der Forschung werden verschiedene Modelle des Sozialstaats diskutiert, die sich vor allem in ihrer Ausrichtung und Ausgestaltung unterscheiden. Die bekanntesten Modelle sind das skandinavische Modell, das liberale Modell und das konservative Modell. Das skandinavische Modell zeichnet sich durch eine umfassende Absicherung der Bürgerinnen und Bürger aus. Es basiert auf hohen Steuern und Abgaben und ermöglicht dadurch eine umfangreiche soziale Sicherung, Bildung und Gesundheitsversorgung. Das liberale Modell hingegen setzt stärker auf Eigenverantwortung und individuelle Absicherung.
Die sozialen Leistungen sind geringer und der Markt spielt eine größere Rolle bei der Bereitstellung von sozialer Sicherung. Das konservative Modell schließlich betont die Familie und private Institutionen als Hauptakteure bei der sozialen Absicherung und unterstützt diese durch staatliche Leistungen. Diese Modelle werden in der Forschung intensiv untersucht und evaluiert, um deren Effektivität und Nachhaltigkeit zu analysieren. Es besteht kein allgemeiner Konsens darüber, welches Sozialstaatsmodell am besten funktioniert, da dies von verschiedenen Faktoren wie Wirtschaftsstruktur, Kultur und politischer Ausrichtung abhängt. Herausforderungen und Reformen Der Sozialstaat steht jedoch vor verschiedenen Herausforderungen, die eine Neuausrichtung und Reformen erforderlich machen. Eine zentrale Herausforderung ist der demografische Wandel, der zu einer alternden Bevölkerung und einer geringeren Anzahl von Erwerbstätigen führt. Dies stellt die Finanzierbarkeit der Sozialleistungen in Frage und erfordert eine Anpassung der Systeme. Ein weiteres Problem ist die steigende Ungleichheit in vielen Ländern. Trotz des Sozialstaats gibt es nach wie vor soziale Benachteiligung und Armut. Forscherinnen und Forscher analysieren daher, wie der Sozialstaat so gestaltet werden kann, dass er eine effektive soziale Absicherung gewährleistet und gleichzeitig die soziale Ungleichheit reduziert. Neben diesen grundlegenden Herausforderungen werden auch weitere spezifische Fragen im Zusammenhang mit dem Sozialstaat untersucht. Dazu gehören beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Integration von Migranten und Flüchtlingen oder die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt und die soziale Sicherung. Forschungsergebnisse und aktuelle Studien In der Forschung zum Sozialstaat werden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden eingesetzt, um die Auswirkungen des Sozialstaats zu analysieren und Handlungsempfehlungen für Politik und Gesellschaft abzuleiten. Eine wichtige Erkenntnis aus der Forschung ist, dass ein gut funktionierender Sozialstaat positive Effekte auf die Gesellschaft und die wirtschaftliche Entwicklung haben kann. Studien zeigen, dass Länder mit einem hohen Maß an sozialer Sicherung eine niedrigere Armutsquote, eine höhere Lebenserwartung und eine höhere Bildungsbeteiligung aufweisen. Auch die Makroökonomie kann von einem starken Sozialstaat profitieren, indem er die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen stabilisiert und so zur wirtschaftlichen Stabilität beiträgt. Aktuelle Studien beschäftigen sich zudem mit der Frage, wie der Sozialstaat angesichts der genannten Herausforderungen reformiert werden kann. Dabei werden verschiedene Ansätze diskutiert, wie beispielsweise die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, die Stärkung der Eigenverantwortung oder die Förderung von sozialer Innovation. Merke Der Sozialstaat ist ein komplexes Thema, das in der Forschung intensiv untersucht wird. Durch den aktuellen Forschungsstand können wir besser verstehen, wie der Sozialstaat funktioniert und welche Herausforderungen und Reformen erforderlich sind. Die Ergebnisse der Forschung liefern wichtige Erkenntnisse für die Gestaltung von Sozialpolitik und dienen dazu, soziale Gerechtigkeit und soziale Absicherung für alle Mitglieder einer Gesellschaft zu gewährleisten. Praktische Tipps für den Umgang mit dem Sozialstaat Der Sozialstaat ist ein wesentlicher Bestandteil moderner Gesellschaften und spielt eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von sozialer Sicherheit und Unterstützung für bedürftige Bürgerinnen und Bürger. Um den Sozialstaat effektiv nutzen zu können, ist es wichtig, sich über die verschiedenen Modelle und Wirkungsweisen des Sozialstaats zu informieren und praktische Tipps für einen optimalen Umgang zu beachten. Tipp 1: Kenne deine Rechte und Pflichten Um die Leistungen des Sozialstaats in Anspruch nehmen zu können, ist es von entscheidender Bedeutung, die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen.
Jeder Sozialstaat hat seine eigenen Regelungen und Gesetze, die den Zugang zu Sozialleistungen regeln. Informiere dich daher über die spezifischen Anforderungen und Voraussetzungen, um sicherzustellen, dass du alle erforderlichen Schritte unternimmst, um deine Ansprüche geltend zu machen. Tipp 2: Nutze Unterstützungsangebote bei der Antragstellung Die Beantragung von Sozialleistungen kann komplex sein und erfordert häufig das Ausfüllen umfangreicher Formulare oder das Einreichen von umfangreichen Unterlagen. Um mögliche Fehler oder Verzögerungen zu vermeiden, ist es ratsam, Unterstützung bei der Antragstellung in Anspruch zu nehmen. Viele Sozialämter oder gemeinnützige Organisationen bieten Beratungen oder Unterstützungsdienste an, um sicherzustellen, dass Anträge ordnungsgemäß und vollständig eingereicht werden. Tipp 3: Informiere dich über mögliche Anspruchsleistungen Der Sozialstaat bietet eine Vielzahl von Leistungen, um bedürftige Bürgerinnen und Bürger zu unterstützen. Es ist wichtig, sich darüber zu informieren, welche Leistungen für dich persönlich relevant sein könnten. Dazu gehören beispielsweise finanzielle Unterstützung, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosengeld oder Rentenansprüche. Durch die Kenntnis dieser Leistungen kannst du sicherstellen, dass du alle dir zustehenden Unterstützungsangebote in Anspruch nimmst. Tipp 4: Halte deine persönlichen Unterlagen auf dem neuesten Stand Für den Bezug von Sozialleistungen ist es in der Regel erforderlich, bestimmte persönliche Unterlagen vorzulegen, wie zum Beispiel Einkommensnachweise, Mietverträge oder ärztliche Zeugnisse. Um mögliche Verzögerungen zu vermeiden, ist es ratsam, diese Unterlagen immer auf dem neuesten Stand zu halten und regelmäßig zu überprüfen. Auf diese Weise kannst du sicherstellen, dass du im Bedarfsfall alle erforderlichen Unterlagen schnell zur Hand hast. Tipp 5: Suche nach Möglichkeiten der Weiterbildung oder Umschulung In vielen Fällen kann der Sozialstaat auch Maßnahmen zur Weiterbildung oder Umschulung finanzieren, um bedürftigen Menschen den Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu ermöglichen. Informiere dich über solche Programme oder Fördermaßnahmen und nutze mögliche Chancen zur beruflichen Weiterentwicklung. Durch eine gezielte Weiterbildung oder Umschulung kann deine Beschäftigungsfähigkeit verbessert und deine Chancen auf eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erhöht werden. Tipp 6: Engagiere dich in der Gemeinschaft Der Sozialstaat basiert auf dem Prinzip der Solidarität und gegenseitigen Unterstützung. Indem du dich in deiner Gemeinschaft engagierst, kannst du nicht nur anderen helfen, sondern auch von den sozialen Netzwerken profitieren, die in der Gemeinschaft vorhanden sind. Suche nach Möglichkeiten ehrenamtlicher Arbeit oder beteilige dich an gemeinnützigen Projekten, um aktiv zur Stärkung des Sozialstaats beizutragen und gleichzeitig persönlich von den Netzwerken und Ressourcen der Gemeinschaft zu profitieren. Tipp 7: Sei proaktiv bei der Sicherung deiner sozialen und finanziellen Zukunft Der Sozialstaat bietet wichtige Sicherheitsnetze, aber es ist auch wichtig, proaktiv Maßnahmen zur Sicherung deiner eigenen sozialen und finanziellen Zukunft zu ergreifen. Das kann beispielsweise die private Altersvorsorge umfassen, um im Ruhestand eine zusätzliche finanzielle Absicherung zu haben. Informiere dich über die verschiedenen Optionen der Altersvorsorge und wähle eine, die deinen individuellen Bedürfnissen und Zielen entspricht. Tipp 8: Bilde dich kontinuierlich weiter Die Dynamik des Sozialstaats und der sich ändernden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen erfordert eine kontinuierliche Weiterbildung und Anpassung. Halte dich über neue Entwicklungen in Bezug auf Sozialpolitik, Sozialleistungen und Arbeitsmarkt auf dem Laufenden. Dies kann dabei helfen, rechtzeitig Änderungen zu erkennen und darauf zu reagieren, um deinen Umgang mit dem Sozialstaat weiter zu optimieren. Merke Der Umgang mit dem Sozialstaat erfordert eine fundierte Kenntnis der verschiedenen Modelle und Wirkungsweisen.
Die praktischen Tipps, die in diesem Artikel vorgestellt wurden, sollen dabei helfen, den Sozialstaat optimal zu nutzen und die eigenen Chancen auf soziale Sicherheit und Unterstützung zu maximieren. Indem du deine Rechte und Pflichten kennst, Unterstützungsangebote nutzt, dich über mögliche Anspruchsleistungen informierst, persönliche Unterlagen auf dem neuesten Stand hältst, Weiterbildungsmöglichkeiten nutzt, dich in der Gemeinschaft engagierst, proaktiv deine soziale und finanzielle Zukunft sicherst und dich kontinuierlich weiterbildest, kannst du den Sozialstaat bestmöglich in Anspruch nehmen und von den umfangreichen Leistungen profitieren, die er bietet. Zukunftsaussichten des Sozialstaats Der Sozialstaat ist ein bedeutendes Konzept, das sich auf die Bereitstellung von sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit für die Bürger eines Landes konzentriert. Es ist ein integraler Bestandteil vieler moderner Gesellschaften und spielt eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung von sozialer Ungleichheit und Armut. In diesem Abschnitt werden die Zukunftsaussichten des Sozialstaats in Bezug auf verschiedene Aspekte wie demografische Veränderungen, technologische Innovationen, wirtschaftliches Wachstum und politische Entwicklungen betrachtet. Dabei werden faktenbasierte Informationen aus real existierenden Quellen und Studien herangezogen. Demografische Veränderungen Eine der wichtigsten Herausforderungen für den Sozialstaat in der Zukunft sind die demografischen Veränderungen. In vielen entwickelten Ländern nimmt die Bevölkerung älterer Menschen zu, während die Zahl der jungen arbeitenden Menschen abnimmt. Dies stellt den Sozialstaat vor die Herausforderung, ausreichende Ressourcen für die Betreuung und Sicherheit der älteren Bevölkerung bereitzustellen. Eine Möglichkeit, diesem Problem zu begegnen, besteht darin, das Rentenalter schrittweise anzuheben und Anreize für eine längere Erwerbstätigkeit zu schaffen. Eine weitere demografische Herausforderung ist die steigende Zahl von Migranten in vielen Ländern. Die Integration dieser Menschen in den Sozialstaat erfordert zusätzliche Unterstützung und Ressourcen, um sicherzustellen, dass ihre sozialen Bedürfnisse erfüllt werden können. Dies erfordert möglicherweise eine Anpassung der bestehenden Sozialstaatsmodelle, um die Bedürfnisse einer vielfältigen Bevölkerung zu erfüllen. Technologische Innovationen Technologische Innovationen haben einen erheblichen Einfluss auf den Sozialstaat und werden auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Automatisierung und künstliche Intelligenz könnten zu einem Rückgang der Arbeitsplätze in bestimmten Branchen führen und die Arbeitslosigkeit erhöhen. Gleichzeitig könnten sie jedoch neue Möglichkeiten für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Steigerung der Produktivität bieten. Der Sozialstaat muss sich an diese Veränderungen anpassen und möglicherweise neue Formen der sozialen Absicherung entwickeln, um den Menschen in einer digitalisierten Arbeitswelt gerecht zu werden. Ein weiterer Aspekt der technologischen Innovation ist die digitale Transformation des Sozialstaats. Durch die Nutzung digitaler Technologien können administrative Prozesse effizienter gestaltet werden, was zu Kosteneinsparungen führen kann. Gleichzeitig müssen jedoch auch Datenschutz- und Sicherheitsaspekte berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass Bürgerinnen und Bürger vor Missbrauch geschützt sind. Die digitale Transformation birgt daher Chancen und Risiken für den Sozialstaat, die sorgfältig abgewogen werden müssen. Wirtschaftliches Wachstum Das wirtschaftliche Wachstum spielt eine wesentliche Rolle bei der Finanzierung des Sozialstaats. In vielen Ländern hängen die Sozialausgaben von den Steuereinnahmen ab. Daher ist es entscheidend, dass die Wirtschaft wächst, um ausreichende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Die Zukunftsaussichten für das wirtschaftliche Wachstum sind jedoch unsicher. Der Sozialstaat muss sich möglicherweise auf geringeres Wachstum
einstellen und alternative Finanzierungsmöglichkeiten wie etwa eine gerechtere Verteilung der Steuerlast oder Anpassungen der Sozialausgaben in Betracht ziehen. Eine weitere Herausforderung im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Wachstum ist die zunehmende Konzentration von wirtschaftlicher Macht und Vermögen. Eine ungleiche Verteilung von Wohlstand und Einkommen kann die soziale Ungleichheit verstärken und den sozialen Zusammenhalt gefährden. Der Sozialstaat muss daher Maßnahmen ergreifen, um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen zu gewährleisten und die soziale Mobilität zu fördern. Politische Entwicklungen Politische Entwicklungen haben einen erheblichen Einfluss auf den Sozialstaat. Die Zukunftsaussichten hängen in hohem Maße von den politischen Entscheidungen ab, die von den Regierungen getroffen werden. In einigen Ländern gibt es einen Trend zu populistischen und nationalistischen Bewegungen, die den Sozialstaat in Frage stellen und möglicherweise zu einer Einschränkung der sozialen Sicherungssysteme führen könnten. Es ist wichtig, dass die Bürger für die Bedeutung des Sozialstaats sensibilisiert werden und sich aktiv an politischen Prozessen beteiligen, um sicherzustellen, dass ihre Interessen vertreten werden. Eine weitere politische Herausforderung ist die internationale Zusammenarbeit bei der Bewältigung von sozialen Problemen. Viele globale Herausforderungen wie der Klimawandel, Flüchtlingsbewegungen und internationale Konflikte haben Auswirkungen auf den Sozialstaat. Daher ist es wichtig, dass die Länder zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungen zu finden und den Sozialstaat global zu stärken. Merke Die Zukunftsaussichten des Sozialstaats sind mit vielen Herausforderungen und Unsicherheiten verbunden. Demografische Veränderungen, technologische Innovationen, wirtschaftliches Wachstum und politische Entwicklungen werden den Sozialstaat in den kommenden Jahren prägen. Es ist wichtig, dass der Sozialstaat flexibel und anpassungsfähig bleibt, um den sich verändernden Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht zu werden. Die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie die internationale Zusammenarbeit sind entscheidend, um eine nachhaltige und gerechte Zukunft für den Sozialstaat zu gewährleisten. Zusammenfassung Der Sozialstaat ist ein Schlüsselkonzept des modernen Staatswesens, das die Beziehungen zwischen Individuen und der Gesellschaft reguliert und sicherstellt, dass grundlegende Bedürfnisse erfüllt werden. In diesem Artikel werden verschiedene Modelle und Wirkungsweisen des Sozialstaats untersucht und analysiert. Zu Beginn ist es wichtig, den Begriff "Sozialstaat" zu definieren. Der Sozialstaat kann als ein politisches System verstanden werden, das bestrebt ist, soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und individuelle Wohlfahrt zu fördern. Es besteht aus einer Kombination von sozialer Sicherheit, öffentlichen Dienstleistungen und sozialen Rechten, die den Bürgern zugutekommen. Der Sozialstaat unterstützt die Bedürfnisse derjenigen, die aufgrund von Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder anderen Umständen auf Hilfe angewiesen sind. In der westlichen Welt gibt es verschiedene Modelle des Sozialstaats, die sich in ihrer Organisation, ihren Zielen und ihren Wirkungsweisen unterscheiden. Das skandinavische Modell, oft als "Sozialdemokratie" bezeichnet, zeichnet sich durch eine umfangreiche staatliche Unterstützung aus, die auf der Idee der "Universalität" beruht. Das bedeutet, dass alle Bürger Anspruch auf bestimmte Leistungen haben, unabhängig von ihrem sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund. In Ländern wie Schweden, Norwegen und Dänemark gibt es ein hohes Maß an sozialer Sicherheit, kostenlose Bildung und eine starke Gewerkschaftsbewegung, die die Rechte der Arbeitnehmer schützt. Das sogenannte liberale Modell, das in Ländern wie den USA und Großbritannien vorherrscht, legt den Schwerpunkt auf individuelle Verantwortung und individuelle Freiheit. Es gibt weniger staatliche Intervention und die soziale Sicherung beruht hauptsächlich auf privater Initiative.
Der Sozialstaat in diesen Ländern ist weniger umfassend und konzentriert sich mehr auf die Armutsminderung und den Schutz der Ärmsten. Ein weiteres Modell ist das konservative Modell, das sich auf den Schutz traditioneller Familienwerte und die Förderung von privater Wohltätigkeit konzentriert. Hier spielt der Staat eine begrenzte Rolle bei der Bereitstellung von sozialer Sicherheit, und es wird erwartet, dass Familienmitglieder sich gegenseitig unterstützen. Trotz dieser Unterschiede haben alle Modelle des Sozialstaats das gemeinsame Ziel, soziale Sicherheit und individuelle Wohlfahrt zu gewährleisten. Die Modelle unterscheiden sich hinsichtlich der Höhe der staatlichen Leistungen, der Finanzierung und des Umfangs der sozialen Sicherung. Die Wirkungsweise des Sozialstaats kann auf verschiedenen Ebenen analysiert werden. Auf der individuellen Ebene trägt er zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei, indem er die finanzielle Sicherheit erhöht und den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung ermöglicht. Durch die Bereitstellung von sozialer Sicherheit und der Gewährung von sozialen Rechten fördert der Sozialstaat auch das soziale Wohlbefinden und den sozialen Zusammenhalt. Auf der gesellschaftlichen Ebene trägt der Sozialstaat zur Verringerung der sozialen Ungleichheit bei und fördert die Chancengleichheit. Untersuchungen haben gezeigt, dass Gesellschaften mit einem starken Sozialstaat tendenziell einen geringeren Grad an Einkommensungleichheit aufweisen. Der Sozialstaat spielt auch eine wichtige Rolle bei der Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Integration von marginalisierten Gruppen. Auf wirtschaftlicher Ebene hat der Sozialstaat sowohl positive als auch negative Auswirkungen. Einerseits kann er die Kaufkraft der Bevölkerung erhöhen und so den privaten Konsum stimulieren. Dies kann wiederum das Wirtschaftswachstum fördern. Andererseits können hohe Sozialausgaben eine Belastung für den Staatshaushalt darstellen und zu höheren Steuern oder Schulden führen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit ist daher entscheidend. Die Effektivität des Sozialstaats ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Eine angemessene finanzielle Absicherung, der Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen und eine effektive Verwaltung sind einige der Schlüsselkomponenten eines erfolgreichen Sozialstaats. Darüber hinaus ist es wichtig, den Sozialstaat regelmäßig zu überprüfen und anzupassen, um den sich ändernden Bedürfnissen und Herausforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. Insgesamt hat der Sozialstaat eine entscheidende Rolle bei der Schaffung eines gerechteren und stabileren Gesellschaftssystems. Durch die Bereitstellung von sozialer Sicherheit, Chancengleichheit und individueller Wohlfahrt trägt er zur Förderung des sozialen Wohlbefindens und der sozialen Integration bei. Die verschiedenen Modelle des Sozialstaats bieten verschiedene Ansätze zur Erreichung dieser Ziele, und die kontinuierliche Forschung und Weiterentwicklung dieser Modelle ist von großer Bedeutung, um den sozialen Fortschritt zu fördern.
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sammeldeineknochen · 2 years
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Liberale Gesellschaften sind nicht Ziel und Endpunkt der Geschichte. Sie markieren ein Übergangsstadium zwischen einer Vergangenheit, die wir uns zu einer logischen Entwicklung umerzählen, und einer Zukunft, deren Gestalt wir noch nicht kennen, deren Fundamente aber längst gelegt worden sind oder von uns gelegt werden.
Philipp Blom: “Was auf dem Spiel steht”, S.167
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sabath68 · 3 years
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Die große Selbstzerstörung
Im derzeitigen globalen Kult laufen wir Gefahr, Zeuge und Opfer einer irrationalen Krisenkulthandlung zu werden. In den Zustand der Verzweiflung wurden wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder versetzt: Die Welt, wie wir sie kannten, hieß es, wird bald verschwunden sein, es ist kaum noch ein Ausweg möglich, es ist fünf vor zwölf, wir müssen handeln, sonst ist kein Leben auf Erden mehr möglich. Schuld sei die Ausbeutung, die Gier, die freien Märkte, der Kapitalismus, der westliche Lebensstil. Nun zeigen sich die Geister am Teich. Sie versprechen uns: Wenn wir das alles untergehen lassen und opfern - freie Märkte, freies Unternehmertum, Wirtschaftswachstum, liberale und offene Gesellschaften, nationale Souveränität, parlamentarische Demokratie, Bewegungs- und Meinungsfreiheit, Privateigentum und -sphäre und die Autonomie des Menschen - dann werden bald alle Probleme gelöst sein: Umweltverschmutzung, globale Ungerechtigkeit, Klimakrise und Pandemien. Alle werden gleich sein, wenn die Toten auferstehen und erneut eine zentral geplante Kreislaufwirtschaft mit maximaler Kontrolle der Wirtschaft und der Menschen errichten, diesmal noch technokratischer mit staatlich zugeteilten Energiekontingenten und digitalem bedingungslosen Grundeinkommen für jedermann, und diesmal eben im globalen Maßstab. Denn es ist ein globaler Kult, da stehen die Toten global auf und sorgen für Gleichheit in globalem Maßstab.
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dermontag · 2 years
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Düsterer Sicherheitsreport Gefühl "kollektiver Hilflosigkeit" breitet sich aus 14.02.2022, 11:20 Uhr Die geopolitischen Spannungen wachsen, ebenso die Besorgnis weltweit. Wie der Report der Münchner Sicherheitskonferenz zeigt, breitet sich in den G7-Staaten ein Gefühl des Kontrollverlusts und der Überforderung aus - was wiederum höchst gefährlich sein könnte. Wegen der Vielzahl an Krisen in der Welt weitet sich einem Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) zufolge in den G7-Staaten das Gefühl einer "kollektiven Hilflosigkeit" aus. Vor allem in Europa wachse die Besorgnis wegen eines zunehmenden Kontrollverlusts, heißt es in dem Report, der in Berlin wenige Tage vor Beginn der Sicherheitskonferenz veröffentlicht wurde. Die Gesellschaften in den untersuchten Staaten, darunter Deutschland, litten zunehmend unter einer Form von "Hilflosigkeit", heißt es in dem Bericht. Viele Menschen hätten verstärkt das Gefühl, nicht in der Lage zu sein, die Herausforderungen zu bewältigen. Der G7-Gruppe führender Industrieländer gehören Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA an. Vor allem liberale Demokratien scheinen sich dem Bericht zufolge angesichts der vielen Krisen überfordert zu fühlen. Diese Wahrnehmung sei höchst gefährlich, da sie zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden könne, warnen die Autoren. Der in dem Bericht enthaltene Münchner Sicherheitsindex 2022, für den repräsentativ Bürger in den G7-Staaten und Brics-Ländern (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) befragt wurden, spiegelt ein hohes wahrgenommenes Risiko angesichts einer Fülle von Krisen wider. Ob es sich um die endlos scheinende Corona-Pandemie, die immer greifbarere Bedrohung durch den Klimawandel oder die zunehmenden geopolitischen Spannungen handle, die sich in Afghanistan, Mali oder der Ukraine zeigten - all diese Herausforderungen trügen zu einem Gefühl des Kontrollverlusts bei, konstatiert der Report. Auch Deutsche sorgen sich mehr In Deutschland ist die Gesellschaft dem Sicherheitsindex zufolge 2022 risikobewusster geworden als im Jahr zuvor. Die Menschen machten sich mehr Sorgen wegen Migration aufgrund von Krieg oder Klimawandel, Lebensmittelknappheit und Spannungen zwischen westlichen Mächten. So fühle sich mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland (38 Prozent) unvorbereitet auf die Auswirkungen von Migration - mehr als in jedem anderen westlichen Land. Auch die Risikowahrnehmung gegenüber Russland sei gestiegen. Mehr zum Thema Nichts veranschauliche die Sorge der Menschen besser als die zunehmend angespannte Sicherheitslage an der Ostflanke der NATO, heißt es dazu in dem Bericht. Moskau habe unmissverständlich klargemacht, "dass es eine Revision der europäischen Sicherheitsordnung anstrebt". Russland beharre auf einer "Einflusssphäre" in seiner Nachbarschaft und schränke damit die Souveränität von Ländern wie der Ukraine ein. Der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze und die dadurch ausgelösten Befürchtungen, dass Russland eine Großinvasion in dem Nachbarland vorbereiten könnte, könnte, überschatten die am Freitag beginnende Münchner Sicherheitskonferenz. An der Tagung werden nach Angaben der Organisatoren 35 Staats- und Regierungschefs, rund hundert Ministerinnen und Minister sowie die Spitzen von UNO, NATO und EU teilnehmen. UN-Generalsekretär António Guterres wird das dreitägige Treffen eröffnen. Teilnehmen wird auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Ebenso angekündigt hat sich US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Russland hatte zum ersten Mal seit vielen Jahren seine Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz abgesagt.
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eckidoegnelle · 3 years
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💥Uwe Volkmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Goethe-Universität in Frankfurt und hat als Sachverständiger den Bundestag in der Pandemiebekämpfung beraten. 💥 ❓In seinem Beitrag in der ZEIT fragt er unter anderem, ob jemand einen Plan habe, wie man wieder zur früheren Normalität zurückkehre? ❓ "Es wird jedenfalls dann nicht aufhören, wenn man vom Staat weiter die Bereitstellung eines Rundum-sorglos-Pakets gegen die Pandemie erwartet, statt sich wieder auf die Grundprinzipien zurückzubesinnen, durch die sich eine liberale Gesellschaft von einer autoritären oder paternalistischen unterscheidet. Diese Unterschiede zeigen sich eben nicht nur darin, dass liberale Gesellschaften Diskussionen über Fragen der Pandemiebekämpfung überhaupt zulassen, sondern auch in der Wahl ihrer politischen Mittel und der Art und Weise, in der sie in das Leben ihrer Mitglieder hineinregieren. An drei dieser Grundsätze soll hier erinnert werden; trivial und vielleicht auch banal wie sie sind, könnte von dem, was sie ursprünglich bedeuteten, im Laufe des letzten Jahres doch einiges in Vergessenheit geraten sein." Erstes Grundprinzip: " Jedenfalls soweit er nur durch ein System allseitiger Freiheitsbeschränkungen erfüllt werden kann, endet der Schutzauftrag des Staates für Leben und Gesundheit dort, wo es jedem Einzelnen in zumutbarer Weise möglich ist, sich selbst zu schützen." Das zweite Grundprinzip verweist nach Auffassung Volkmanns auf den notwendigen Zusammenhang von Freiheit und Risiko: "Risiken sind, wie man es dreht und wendet, der Preis der Freiheit; eine Welt ohne Risiko ist eine Welt ohne Freiheit. " Der dritte Grundsatz verweist auf die in einer liberalen Gesellschaft einzufordernde Rationalität politischer Entscheidungen: "Alle Einschränkungen individueller Freiheit müssen durch Gründe gerechtfertigt werden können, die einer Überprüfung auf ihre Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft standhalten. Dazu bedarf es einer offenen Debatte, die nicht schon die Frage nach solchen Gründen als unzulässig zurückweist, unter Querdenkerverdacht stellt oder unter dem Rigorismus einer Hypermoral erdrückt, die mit Blick auf die überragende https://www.instagram.com/p/CQRD9VNjyJ2/?utm_medium=tumblr
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jotgeorgius · 3 years
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Niederlassungsfreiheit.
Progressive, Linke und Liberale beschäftigt sie gleichermaßen: die Niederlassungsfreiheit. Kein Thema ist härter umkämpft. Bei kaum einem Thema kannst du in mehr Fettnäpfe treten. Mir ist das wichtig, weil unregulierte Zuwanderung Probleme mit sich bringt. Gerade junge Erwachsene aus anderen Teilen der Erde haben bereits ein anderes Umfeld kennengelernt und sind aus diesem heraus aufgewachsen und geprägt worden. War dieses nicht so behütet, wie wir es in westlichen Gesellschaften kennen (oder voraussetzen), wird ein Festhalten an der bisherigen Vorgehensweise zu großen Verwerfungen führen, bei denen am Ende alle verlieren. In einer alternden Gesellschaft erschließt sich mir, dass es junge Leute braucht um die Alten versorgen zu können. Der Bedarf an Pflegekräften steigt genauso wie die Anforderungen an das Gesundheitssystem an sich. Hat die autochthone Bevölkerung “zu wenig” Kinder hervorgebracht, entsteht eine umgekehrte Pyramide. Um den Bedarf an anfallenden Arbeiten zu decken öffnet man die Grenzen um neue Arbeitskräfte zu generieren. Vor allem mittelständische Unternehmen haben Bedarf an Nachwuchs angemeldet. So erhoffte man sich, dass entstandene altersbedingte Lücken durch Asylbewerber geschlossen werden könnten. Ich finde die Vorgehensweise unerhört. Asylbewerber sind nicht dasselbe wie Einwanderer. Ich möchte, dass der selbe Standard für alle anderen gilt, der auch für mich Geltung hätte. Ich gehe nie davon aus, dass mein Wunschland mich mit offenen Armen empfängt. Ich muss ihm beweisen, dass ich ihm etwas bringe. Geht es um Leib und Leben, finde ich es zudem fragwürdig “Wünsche” äußern zu können. Man flieht naturgemäß in angrenzende Gebiete. Wenn ich legal irgendwohin einwandern möchte, ist es das Mindeste, dass ich den Einheimischen nicht auf der Tasche liege. Sie sollten nicht mein Leben finanzieren. Wenn überhaupt kann man über eine Art Kredit nachdenken, den ich umgehend zurückzahle. Bei uns ist es zum Sport geworden, erstmal alle ohne Differenzierung einwandern zu lassen um sich dann zu wundern, dass man selbst abgelehnte Asylbewerber nicht mehr los wird. Eigentlich ist es doch etwas Gutes wenn eine alternde Gesellschaft wegstirbt. Man passt sich den Bedingungen an. Interessanterweise haben fast nur Industrienationen dieses “Problem”. Wären weltweit alle Länder durchindustrialisiert, hätte wahrscheinlich jede Familie höchstens zwei Kinder. Für den Planeten wäre das eine Entlastung. Da dies aber in absehbarer Zeit nicht der Fall sein wird, zurück zum Ausgangspunkt. In demokratischen Ländern haben wir zudem die Vorstellung, dass Mehrheiten die Gesellschaft weiterbringen und diese naturgemäß immer richtig liegen müssen. Wenn jeder Neusiedler seine Familienangehörigen auf Kosten der autochthonen Bevölkerung einwandern lässt, haben wir irgendwann das Problem, dass diese Mehrheiten erlangen können, die mit den Lebensvorstellungen der autochthonen Bevölkerung so garnichts mehr gemeinsam haben. Wir hätten also aktiv an einer Sache mitgewirkt, die uns selber benachteiligt. Mich würde der psychologische Aspekt solch einer Entwicklung interessieren. Um diesem Zustand entgegen zu wirken, wäre es sinnvoll Einwanderung nur noch für jene zuzulassen, die sich bereits im Ausland um eine Anstellung bemüht haben.  Der Arbeitsmarkt hat so ausgestaltet zu werden, dass bewährte Standards nicht unterlaufen werden. Sei es in Fragen der Lohnkosten oder Qualität für den Endkonsumenten. Übersetzt: Wenn ich drei Jahre lang eine Lehre mache, kann es nicht sein, dass irgendwer von der Strasse den selben Beruf ausüben darf. Das führt dazu, dass das Lohngefüge gedrückt wird. Es müsste eine Art Angleichungsschulung erfolgen, die der potentielle Einwanderer entweder selber zahlt, oder in Form eines Kredites zurückzuzahlen hat. Natürlich stünde es dem Arbeitgeber frei, die Kosten zu übernehmen, wenn der potentielle Arbeitnehmer sich dazu verpflichtet eine bestimmte Zeit im Betrieb zu bleiben. Alles in allem plädiere ich dafür, dass jeder überall hin einwandern darf. Ist dies aus finanzieller Sicht nicht möglich, gilt für jeden potentiellen Einwanderer dasselbe was für mich gilt, habe ich kein Geld um auszuwandern, es geht dann eben nicht. Ich weiß nicht warum ich für meine Position ein schlechtes Gewissen haben sollte, würden bei mir selber doch genau diese Standards angesetzt. Würde ich mich entscheiden nach Island auszuwandern, würde ich mich mit den Gebräuchen und der Sprache vertraut machen. Ich würde zwar versuchen mir ein paar eigene Traditionen zu erhalten, doch wenn die Einheimischen damit nicht zurecht kämen und ich deswegen dann in Depressionen verfalle, müsste ich mir überlegen, ob das gegenwärtige Land meinen Vorstellungen entspricht. Das Asylrecht stelle ich als Lehre aus der Kriegszeit nicht in Frage. Es ist jedoch so, dass erstmal jeder dazu berechtigt ist, sich auf Asyl zu berufen, übertritt er oder sie die Staatsgrenze. Gemessen an der Geschichte ist Asyl ein Gnadenrecht. Eine Königsfamilie konnte es sich garnicht leisten unbegrenzt irgendwelche fremden Leute zu verköstigen. Besteht kein Asylgrund, bleiben nahezu alle im Land. Da mit den Jahren ein gewisser Verdruss einsetzt, kann es natürlich dazu kommen, dass man in dubiose Kreise kommt. Zum einen für schnelles Geld, zum anderen, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Zumeist sucht man sich automatisch Menschen, die einem ähnlich sind. Zu glauben, dass dies in vielfacher Ausführung nicht zum Problem werden würde, halte ich für naiv. Berücksichtigt man meinen angeführten Punkte, würde es naturgemäß zu einer Verringerung des Zustroms kommen. Asylbewerber mit gezielter Einwanderung zu vergleichen, ist einfach nicht seriös. Es sind zwei verschiedene paar Schuhe. Zudem hätten viele Asylbewerber ohne logistische Unterstützung garnicht die Möglichkeit ins Zentrum Europas vorzustoßen. Unter den gegebenen Umständen wird es wohl Jahrzehnte dauern, bis man den eingeschlagenen Kurs korrigiert haben wird.  Der Text spiegelt nur meine Meinung wider.
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surfthatoneday · 4 years
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Decolonize yourself!
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Ich habe bis heute darauf gewartet, dass das “Plus” verschwindet, hinter dem Kürzel SZ. Denn Jörg Häntzschel hatte im Januar Achille Mbembe für die Süddeutsche interviewt. Und der digitale Zugang zu diesem Gespräch liegt leider (noch) hinter der Paywall bzw. im Abobereich.
Deshalb möchte ich hier auf einige Zitate des afrikanischen Historikers, der an der Witwatersrand-Uni in Johannesburg lehrt, eingehen.
Eigentlich geht es in dem Interview um die Zukunft Afrikas, im Grunde beschreibt es die Situation Europas und westlicher Demokratien. Im Kanon der Sicherheitshysterie, inmitten der wir uns derzeit wie durch Honig bewegen, wirft das, was Achille Mbembe sagt, einen besonderen Blick auf unsere Gesellschaft.
Mbembe sagt:
“Seit dem Beginn der Globalisierung und besonders nach 9/11 werden in den liberalen Demokratien nach und nach Rechte abgeschafft, die seit dem Ende des 2. Weltkriegs zum Wesenskern dieser Staaten gehörten. Es gibt immer neue Debatten um Sicherheit. Sie dienen dazu, die Einführung repressiver Maßnahmen zu rechtfertigen, besonders wenn es um die Bewegung unerwünschter Personen geht. Das neue globale Regime der Mobilität gründet darauf, dass Sicherheit alles andere schlägt.”
Das finde ich einen interessanten Punkt: Wir bezeichnen uns als liberale Gesellschaften, setzen aber all das, was wir erreicht haben, aufs Spiel. Weil die Angst vor dem “Anderen” immer noch alles überrennt und tief verankert zu sein scheint. Sie ist so stark, dass wir Werte aufgeben, von denen zumindest ich dachte, dass sie nicht mehr zur Diskussion stehen würden wie: Toleranz, Respekt, Wertschätzung, Mit/Menschlichkeit.
Wie weit und wie subtil Europa bei der Abgrenzung zum “Anderen” geht, auch dafür findet Mbembe eine gute Beschreibung:
Europa hat Drittstaaten damit betraut zu verhindern, dass Migranten Europas Grenzen überhaupt erreichen. (...) Gleichzeitig vollzieht sich die Digitalisierung der Grenzen. Das Ziel besteht darin, Grenzen mobil und tragbar zu machen. Der Afrikaner selbst soll die Grenze werden. Er wurde im Sicherheitsdiskurs der EU zu einer Bedrohung gemacht. Wenn einer auftaucht, muss er gestoppt werden, wenn nicht gar neutralisiert werden.
“Den” Afrikaner kann man ersetzen durch “den” Syrer. Der Sicherheitsdiskurs hört mit Afrika nicht auf, sondern reicht in den Osten. Von hier aus scheint derzeit die Bedrohung größer zu sein. Wäre Europa ein Kinosaal und wir auf unseren Plätzen, würde sich der Splitscreen vor uns rechts verdunkeln, und links erstrahlen. So einfach ist das mit den Bedrohungsszenarien und Sicherheitsdiskursen. Sie sind austauschbar. “Der” Andere auch.
Achille Mbembe schlägt für das Dilemma etwas Grundlegendes vor: Er plädiert für ein “Réenchanter l’Afrique”, für eine Wiederverzauberung Afrikas:
Wir müssen eine Sehnsucht nach Afrika erzeugen. Aber wir können das nur, wenn Afrika aufhört, eine bloße geografische Größe zu sein. (...) Wir müssen die Leute zum Träumen bringen. Aber natürlich träumen die Leute heute von Waren. Wie lenken wir also die Macht des Träumens weg von den Waren hin zu den Menschen?
Der Gedanke, Menschen zu befähigen, mehr von Menschen zu träumen und weniger von Waren finde ich einen guten, generellen, nicht nur einen auf Afirka bezogenen. Waren sind ein Synonym für kapitalistische Wertzusammenhänge wie Posts, Likes, Retweets. Das Eigene zu verticken und einen Mehrwert zu generieren, den Kopfmuskel bis zur Erschöpfung zu verdinglichen, um von den Social Media Bonzen mit Wert und Nichtwert entlohnt zu werden - brave new world, slave to the algorhythm, welcome to social media colonisation.
Was hilft?
“Decolonize yourself!”
Selbstdekolonisierung bedeutet, das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten wiederzuerlangen. Sklavenhandel und Kolonialismus haben nicht nur die Fähigkeit ausgelöscht, humane Gesellschaften zu gründen, sich um seine Mitmenschen zu kümmern, Beziehungen herzustellen, die das Leben wachsen lassen, sondern auch die Fähigkeit, sich um sich selbst zu sorgen.
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fabiansteinhauer · 2 years
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Brandi
1.
Mit dem Fotoapparat und der 8mm Kamera hat sich verändert, vielleicht erweitert, was man die Biographiepflicht nennt. Solche Apparate sind auch bei den Brandis eingezogen, um 1900 die Kleinbildkamera und das sorgfältig geführte Fotoalbum, um 1920 die 8mm Kamera mit sorgfältig geschnittenen, sogar mit Zwischentitel versehen Filmen und den dazugehörenden Filmabenden.
Seitdem Hermann Brandi zum Geheimen Regierungsrat wurde und sein ältester Sohn Karl Brandi Professor für Geschichte in Göttingen, war aber die schriftlich geführte Biographiepflicht Bestandteil der Familienerziehung, selbst wenn man eher bei den Söhnen darauf achtete, dass sie dem nachkamen.
Die Filme resultieren auch aus einer Biographiepflicht. Sie protokollieren diplomatisch: Einzüge und Auszüge, denn ohne Züge kommt kein diplomatisches Protokoll aus, das sind die Schlangen dieses Materials, in ihnen drehen und kehren die Leute zum Beispiel ihre Köpfe, schauen vor und zurück.
Man blickt darauf, wie die Brandis und ihre Gesellschaft sich an Tische setzen oder aufstehen und winken. Man verfolgt Begrüßungen, Badende, Sport, Tanz und sieht immer Väter, Mütter, Kinder, inklusive der Rituale ihrer Bindung. Man sollte nicht so engstirnig sein, an dieses Material das Dogma der Großen Trennung heranzutragen, also zum Beispiel zwischen uns und den Anderen, zwischen Menschen und Tieren oder zwischen Lebendem und Totem groß zu unterscheiden. Man sieht in den Filmen durchaus etwas von römischem Recht, von römischer Verwaltung, von römischer Staatlichkeit und römischer Disziplin, also allem dem, aus dem sich so ein Dogma der Großen Trennung entwickelt haben mag.
Hermann Brandi präsentierte wohl durchaus selbst- und mythenbewusst Francesco Brandi als den Ahnherrn der Brandis, nicht weil der etwas gehabt hätte, ganz im Gegentei. Der hatte nichts und flüchtete. Darum, wegen der Flucht ja der fast vergilsche Stolz. Und immer wieder wird von den italienischen Wurzeln in den Bergen bei Genua erzählt. Aber Gegensätze und Widersprüche, die mit solchen Erzählungen wie von selbst kommen, die sind nicht so groß, wo es sie gibt, durchziehen sie die römische Familie selbst und lassen sie auch schrumpfen, wie Ventile sorgt so etwas für den Druckausgleich der Stolzen.
2.
In Referenzen wie Rom oder Staat verkümmert etwas, wenn man sie so liest, wie etwa Karl-Heinz Ladeur die Texte von Bernhard Siegert liest oder wie Thomas Vesting die Texte von Cornelia Vismann und Friedrich Kittler liest. Siegert ist ein Medienwissenschaftler, Vismann eine Undwissenschaftlerin römischer Assoziationen, also auch römischer Staaten, Gesellschaften, Geschlechter und Personen. Darum werden sie auch von manchen Staatsrechtslehrern gelesen. Ihre Worte kommen aber nicht so an, wie sie abgeschickt werden. In der Lektüre der beiden Staatsrechtslehrer werden Wörter wie Rom und Referenz, Staat und Disziplin oder auch Passagen über die römischen gründlichen, diagrammatischen, durchziehenden Linien wie das sog. pomerium platt oder einseitig, etwa als 'nur und nichts als staatliche, nur und nichts als disziplinäre' oder primär politische Akte verstanden.
Solche Wörter sind Reizwörter, etwas freiheitsbedrohendes soll dort angeblich auftauchen, suggerieren Ladeur/ Vesting. Das sei keine Wissenschaft für liberale Gesellschaften, legen die beiden sogar nahe. Weder bei Foucault, noch bei Siegert oder Vismann wird das Wörtchen Staat als großer Gegenbegriff zum Wörtchen Gesellschaft aufgerufen. Für die Brandis wäre das auch eine seltsame Vorstellung, den Staat gegen die Gesellschaft oder die Gesellschaft so in Stellung zu bringen, wie das Ladeur und Vesting in ihren kurzen polemischen Momenten oder Zügen machen, um sich von Vismann und Siegert zu distanzieren und die Wissenschaft auch so nochmal liberaler zu gestalten. Man macht doch sowieso nur was nach und sowieso nur was vor, mit Staat und Gesellschaft, mit sich und den Anderen. Nur, aber immerhin.
2.
Die Brandis sehen römische Assoziationen und deren puissance lockerer, aber nicht total locker, ungefähr so wie den Weihnachtsmann oder Fronleichnam. Siegert und Vismann halten das, wie übrigens auch Foucault, auch so, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Die Produktivität oder das, was Vesting Kreativität und Wissensgenerierung nennt, wird solchen Einrichtungen nicht abgesprochen. Aber auch die Kosten, der Verbrauch, das Verschlingen, das alles wird auch nicht ignoriert.
Dass man den Institutionen und erfolgreich erprobten Freiheitsräumen mehr Vertrauen schenken sollte, da schwanken die Brandis so wie die Kamera, die ein bisschen wackelt, die aber auch weniger wackeln kann und mehr wackeln kann. Die Biographiepflicht ist in dieser doch auch sehr deutschrömischen Familie instituiert. Natürlich, d.h. routiniert, schreibt Karl Brandi sein Hauptwerk als Biographie von Karl V., römisch-mimetischer geht es kaum. Natürlich, d.h. routiniert, erzählt man auf Familientreffen, warum ich Fabian heiße und warum mein Bruder Cajus heißt, warum meine Schwester Anja und warum man behauptet, der Name sei schwedisch. Römische Assoziationen sind auf mimetischen Routen angelegt, da ist alles sekundär.
Es gibt für die Biographiepflicht (natürlich seitdem die Generation um Karl Brandi das Ruder übernahm) ganz speziell alle drei Jahre ein Treffen, inklusive Konvent, Vortrag und inzwischen auch aufwendiger Filme, vor allem seit auch Filmprofis von der Familie einverleibt wurden. Dieses Treffen richtet an wechselnden Orten dasjenige ein, was Plinius ein Tab(u)linum nennt, ein mehr oder weniger spontanes Gestell mit Bildern, Tafeln und Texten aus dem Familienarchiv. Seitdem die wunderschöne Sabine gen. Sabienchen vor den Spontantafeln spricht, gehört vertiefte Familienaufklärung zum Programm. Seitdem auch Friedrich Küppersbuch zur 'Clanität' Brandi gehört, sind manche Berichte auch dominikanisch, scharf, analytisch und gleichzeitig kynisch distanziert geworden. Witzig waren sie auch vorher schon.
Solche Institutionen produzieren keine schwarzen Schafe, sie produzieren keine Totalausfälle und kein Scheitern, sie produzieren auch nicht die weissen Schafe und den Erfolg. Ihre Produktivität liegt in ihrer Effektivät, wie in mythologischer Kausalität, in Wahrnehmbarkeiten, die nicht aufhören, meteorologisch zu sein und wie Hochdruck- und Tiefdruckgebiete zu funktionieren. So machen römische Institutionen die Brandis sichtbar, auch für sich, wahrnehmbar untereinander, immer noch Leute, die man daran erkennt, dass an ihnen manchmal ein Faden absteht.
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sonjadolinsek · 7 years
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Sexkaufverbot im Sexpolizeistaat
Sehr geehrte ZEIT,
als Frau, Feministin und Historikerin zum Thema Prostitution bin ich zutiefst enttäuscht über den Beitrag von Johannes Böhme. Obwohl selbst Böhme die Schwächen des Sexkaufverbots schildert, bleibt er bei der Forderung, dass gerade dieses Gesetz ein neues Wundermittel gegen Ausbeutung liefern könne. Er bezieht sich auf Studien, die schon vielfach durch andere ergänzt oder widerlegt wurden, und die durchweg zeigen, dass ein mickriges Verbot keines der Probleme löst, die Böhme anspricht.
Böhme wünscht sich - so kommt das bei mir an - einen Sexpolizeistaat, der dafür sorgt, dass wir Frauen uns Männern, die es "verdienen", ja auch bitte immer kostenlos hingeben. Das Sexkaufverbot mag in kleinen Ländern des europäischen Nordens (halbwegs) funktionieren, aber was bedeutet das denn für große Länder? In Frankreich - das weiß man inzwischen schon - gibt es das Gesetz auch, doch es wird lokal kaum umgesetzt. Die Polizei hat besseres zu tun, als Sexpolizei zu spielen. Das finde ich auch gut. Böhme spricht von Gefängnisstrafen, obwohl meines Wissens seit 1999 kaum eine Gefängnisstrafe verhängt wurde. Die Freier werden auch nicht an einen mittelalterlich anmutenden Pranger gestellt sondern die Briefe der Polizei werden, wenn überhaupt, sehr diskret in die Firma und nicht nach Hause geschickt. Nun gut. Das konnte Böhme sicher nicht wissen.
Böhme schreibt, dass Freier aufhören für Sex zu bezahlen, wenn sie "mit jedem Verstoß eine Strafe und ein sehr peinliches Gerichtsverfahren" riskieren. Sie würden dann, so Böhme, auch verstehen, dass man sich körperliche Nähe "verdienen" muss - durch "Charme, Offenheit, Humor, Mut". Dieses Argument müssen wir beim Namen nennen: Böhme schlägt vor, das Strafrecht zum Zwecke der sexualmoralischen (Um-)Erziehung einzusetzen. Die Standards, wie sich ein richigter Mann verhält, sind dabei ganz eng gefasst und lassen kaum Raum für plurale Lebens- und Männlichkeitsentwürfe.
Wer sich mit der Geschichte der Kriminalisierung als "abweichend" (teilweise "abartig") eingestufter Sexualitäten auskennt, muss hier innerlich vor Verzweiflung schreien. Man muss hier gar nicht von Nazis sprechen. Auch die Bundesrepublik hat mit der Geschichte der Kriminalisierung von Homosexualität genügend Material zu bieten. Die Argumente dafür waren, wie bei Böhme, ein unentwirrbares Knäuel an sexualmoralischen Vorstellungen, wie Mensch denn korrekterweise zu vögeln hat, vermischt mit Anfeindungen, dass Homosexuelle doch per definitionem Pädophile seien und eine Entkriminalisierung von Homosexualität eine Gefahr für die Kinder und die Jugend darstelle. Heute sind es halt die Frauen, die davor geschützt werden sollen, für die Performance von Sexualität und Nähe bezahlt zu werden. Die Freier werden in einem Atemzug mit Vergewaltigung und Menschenhandel gleichgesetzt, was man tun kann, aber der Sache nicht gerecht wird.
Böhme ist wohl der beste Ausdruck dafür, wie der Rechtsruck es über den Umweg einer angeblich gut gemeinten Sexualpolitik es in (mutmaßlich) liberale Kreise und in die ZEIT geschafft hat. Das Strafrecht darf nicht dazu dienen, eine partikulare Sexualmoral zu erzwingen. Ächtung, Kriminalisierung einvernehmlicher Sexualität unter Erwachsenen, eine Ausweitung des Strafrechts zur Erziehung der Bevölkerung: Das alles macht eine Forderung nach einem Sexkaufverbot nicht zu einer progressiven Forderung sondern zu einer rechten, extrem konservativen Forderung. Nein, Herr Böhme, es ist nicht gerechtfertigt, ein kleines "Unrecht" (witzig, dass er das sogar zugibt) zu begehen, um ein größeres (welches denn? Sexarbeit oder Menschenhandel?) zu begehen.
Sie mögen zwar diese eine fragwürdige Studie gelesen haben, dass Legalität zu mehr Menschenhandel führt. Doch eine unvoreingenommene Beobachtung der Welt, z. B. der USA, hätte ganz schnell gezeigt: Ein Komplettverbot macht das viel schlimmer. Kaum ein Land kann täglich so viele Razzien wegen Prostitution und Menschenhandel verzeichnen, wie die USA. Kaum ein Land hat ein derartiges Problem mit Prostitution von Jugendlichen. Thailand vielleicht. Aber das Argument gilt auch da: Prostitution ist verboten. Was würde denn ein Sexkaufverbot dort bewirken? Wunder? Nein, ganz sicher nicht. Nur die Stärkung der rechtlichen Position von Sexarbeitenden löst das Problem, das hat auch Amnesty International im Sommer 2015 endlich verstanden.
Böhme hat in diesem Artikel aus meiner Sicht auch nicht verstanden, was Menschenhandel ist, welche Faktoren dazu führen(können) und wie das Thema eigentlich sehr komplex ist und mitnichten mit einem mickrigen und nicht wirklich umsetzbaren Sexkaufverbot gelöst werden kann. Das zeigt in der Tat auch Schweden - hätte man sich die Mühe gemacht, die Zahlen von Menschenhandel ausfindig zu machen. Man kann Menschenhandel als Argument für ein Sexkaufverbot mobilisieren, aber das geht nur um den Preis unterkomplexer Erklärungen und, so sehen das die Experten in diesem Gebiet, deshalb daraus entstehenden schädlichen und kontraproduktiven Maßnahmen, die alles nur schlimmer machen.
Und zuletzt - das schwingt bei Böhme nur mit: In einer Gesellschaft des Hasses, wie wir sie aktuell erleben, können Freier nicht gehasst, geächtet, kriminalisiert werden, ohne dass dies Folgen für Sexarbeiter*innen hat. Dass Sexarbeitende beim Sexarbeitsverbot eben nicht legal arbeiten können, weil sie von Vermietern rausgeschmissen werden oder weil sie keine (NULL!) Hilfe mehr bei Beratungsstellen bekommen, ist eine Tatsache, denen sich die Kriminalisierungsfetischisten nicht wirklich stellen. Womöglich liegt ihre Priorität auch nicht darin, Prostituierten ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen sondern die Arbeitsbedingungen so unerträglich machen, dass sie von alleine aufhören.
Und an dieser Stelle wird deutlich, dass es hier nicht um den Schutz der Prostituierten geht sondern eigentlich nur darum, wie Mann im 21. Jahrhundert zu sein hat und wie er korrekterweise an Frauen und (einvernehmlichen) Sex kommt bzw. kommen soll. Er bleibt natürlich derjenige, der um Sex irgendwie bitten, ja, ihn "verdienen" muss. Aber mal ganz im Ernst: Ein Mann der glaubt, dass er den Sex "verdienen" muss, kann nur von einem passiven Frauenbild ausgehen, wonach Frauen keinen Sexualtrieb und keine eigene Vorstellung haben, welchen Sex sie wollen (können), und Männer mit Sex "belohnen", wenn sie sich gut benehmen. Dass Frauen durchaus eigene Vorstellungen von Sex haben und darüber, wie Mann sich verhalten kann/soll, ist bei Böhme wohl irrelevant. Wir Frauen haben Sex, nicht weil Männer es "verdienen" oder glauben, ihn verdienen zu müssen, sondern weil wir Sex haben wollen. Manche zum Spass, manche aus Liebe, andere aus Frust oder Langeweile. Wiederum andere, wie einige Frauen, die ich kenne, weil sie dafür Geld bekommen. Und das ist, angesichts der Lohnungerechtigkeiten in unseren Gesellschaften, ihr gutes Recht. Wie gesagt: Das ganze Gedankengerüst rund um das Sexkaufverbot ist eine rückschrittliche Vorstellung von Sexualität.
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jangeorgplavec · 4 years
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Bist du GAL oder TAN?
Die Diskussion über die deutsche Parteienlandschaft hat derzeit wieder Saison. Der Orientierungsbedarf ist groß. Man denke an die Landtagswahlen im Osten, die Umfragewerte der Grünen oder die Parteitage der CDU am vergangenen sowie der SPD am nächsten Wochenende. Auf dem Parteitag der Union grenzte sich Annegret Kramp-Karrenbauer explizit von Links und Rechts ab. Und gewiss wird auf dem SPD-Parteitag wieder analysiert, wie links die Partei eigentlich (noch) ist. Anschließend bewerten Kommentatoren, ob die nächste Bundestagswahl mit linker oder eher mit rechter Politik gewonnen wird.
Leider greifen solche Fragen zu kurz, weshalb die Antworten darauf wenig nützen. Die Unterscheidung zwischen Links und Rechts reicht nicht mehr aus, um das deutsche Parteiensystem zu verstehen. Schließlich ist es, um zwei Beispiele zu nennen, alles andere als links, wenn Teile der Linkspartei scharfe Begrenzungen bei der Zuwanderung fordern. Und es ist auch nicht wirklich rechts, wenn die AfD eine stärkere Begrenzung von Leiharbeit vorschlägt. Parteien sind heutzutage nicht mehr nur links oder rechts. Sie sind auch GAL oder TAN.
Die Grünen sind GAL, die AfD ist TAN
Liesbet Hooghe und Gary Marks von der University of Chapel Hill haben vor rund 15 Jahren die GAL-TAN-Skala entwickelt: GAL steht für „Grün-Alternativ-Liberal“, TAN für „Traditionalistisch-Autoritär-Nationalistisch“. Man kann Parteien auf dieser Skala verorten: Die Grünen zum Beispiel stehen für eine im weitesten Sinne alternative Politik und liberale gesellschaftliche Positionen. Das politische Programm der AfD kann man traditionalistisch, autoritär und nationalistisch nennen. Die Linkspartei steht, was nur nach der traditionellen Links-Rechts-Unterscheidung paradox wirkt, ebenfalls auf der TAN-Seite des politischen Spektrums – weil sie in ihren Hochburgen im Osten als SED-Nachfolgerin für die Fortsetzung jahrzehntelanger sozialistischer Politik steht und durchaus verstanden hat, dass ihre Klientel weit weniger international orientiert ist als die alten Arbeiterhymnen („Völker, hört die Signale . . .“) weismachen wollen.
„Man konnte das deutsche Parteiensystem schon immer besser verstehen, wenn man neben der Frage von Links oder Rechts eine zweite Dimension betrachtet“, sagt der Politikwissenschaftler Marc Debus von der Universität Mannheim. Schon die Programmatik der FDP aus Zeiten der von 1969 bis 1982 regierenden sozialliberalen Koalition lässt sich nur greifen, wenn man ihre wirtschaftspolitische Haltung (schwacher Staat, niedrige Steuern) mit ihren progressiven gesellschaftlichen Positionen zusammendenkt – das war damals der Anknüpfungspunkt zur Sozialdemokratie.
Dasselbe gilt für jene Parteien, die sich seitdem neu etabliert haben: von den Grünen bis zu den Rechtspopulisten. AfD, FPÖ und andere fordern etwa den Erhalt sozialer Sicherungssysteme und nehmen so gesehen „linke“ Positionen ein. Gleichsam sollen diese Systeme beispielsweise für Zuwanderer nur begrenzt zugänglich sein, womit Rechtspopulisten eine ganz andere Wählergruppe ansprechen als etwa die Grünen. Dafür gibt es leider kein griffiges Label, wie der Politikforscher Marc Debus zugibt. GAL und TAN sind eine Möglichkeit, aber nicht die einzige.
Wählen als Frage des Lebensstils
Der Mannheimer Wissenschaftler unterscheidet in einem Anfang 2020 erscheinenden Text zwischen Kosmopoliten und Parochialen – auch das zwei sperrige Begriffe. Konkreter sind die Lebensstile, anhand derer Debus die beiden Milieus definiert: Kosmopoliten reisen gern ins nicht deutschsprachige Ausland oder besuchen Restaurants mit exotischer Küche – und wählen eher grün. Wer hingegen, so Debus, „nicht die Begegnung mit anderen Kulturen sucht“ und in einem Heimatverein aktiv ist, wählt mit höherer Wahrscheinlichkeit AfD. Bei der Neigung zu allen anderen Parteien spielen die Lebensstile gleichwohl eine deutlich geringere Rolle.
Wie auch immer man es nennt: Der Parteienwettbewerb wird längst nicht mehr von reinen Verteilungsfragen bestimmt, also wer wie viel vom volkswirtschaftlichen Kuchen abkriegt. Zumindest in den wohlhabenden westlichen Gesellschaften sind für die Wahlentscheidung heutzutage kulturelle Aspekte und Werte mindestens genauso wichtig: ob die Grenzen offen sein sollen oder nicht, ob wir mehr oder weniger kulturelle Vielfalt haben wollen, ob individuelle Freiheit das oberste Ziel der Politik sein soll oder vielmehr kollektive Sicherheit – und nicht zuletzt die Frage, ob Greta Thunberg die Klimafrage endlich ganz oben auf der Agenda platziert hat oder ob nicht doch das Fressen vor der (Umwelt-)Moral kommt. Es geht, wie bereits 1989 der einflussreiche US-Politologe Ronald Inglehart bemerkte, zunehmend um postmaterielle Werte wie Zugehörigkeit, Selbstverwirklichung und Lebensqualität.
Früher hieß es SPD oder CDU
Nicht von ungefähr passen diese Labels besser zu denjenigen politischen Gruppierungen, die die bisherigen Volksparteien seit vielen Jahren in Bedrängnis bringen. In Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung spielt es wieder eine Rolle, ob man der einen oder anderen Seite zuneigt. Früher hieß es SPD oder CDU: Links der Mitte sammelten sich, vereinfacht gesagt, die Arbeiterschaft und all jene, die sich mit ihr verbunden fühlten, rechts davon das Bürgertum und die Wirtschaft – Parteien als die Vertreter von Arbeit sowie Kapital. FDP und Grüne fügten dem eine gesellschaftspolitische Dimension hinzu, die am anderen Ende des Spektrums auch von der AfD besetzt wird. In der Folge wandelte sich das deutsche Parteiensystem weg von Volks- hin zu Milieuparteien, die kleinere, dafür aber homogenere Wählerschaften ansprechen.
Als Erste rückte Mitte der 1990er-Jahre die SPD politisch in die Mitte, später folgte dann – ebenfalls aus wahltaktischen Gründen – die Merkel-CDU. Die Union gab als Motto des Parteitags am vergangenen Wochenende aus, sie sei „Deutschlands starke Mitte“. Während über die Jahre SPD und CDU immer schwerer unterscheidbar und in der Wahrnehmung mancher Wähler politisch recht beliebig wurden, besetzten AfD und Linkspartei die politischen Ränder – und schnüren seither den einstigen Volksparteien gemeinsam mit den liberal eingestellten Grünen und Freidemokraten die Luft ab.
Man kann das am Beispiel der SPD durchdeklinieren: Stehen die Genossen für Umweltschutz, alternative Lebensentwürfe, liberale Politik? Irgendwie schon, ja. Aber die SPD steht auch für traditionsverhaftete Wähler aus der unteren Mittelschicht und einen starken Staat, der sich mindestens so sehr für das Bewahren hoher nationaler Sozialstandards einsetzt, wie ihm die europaweite Verständigung auf (dann deutlich geringere) Mindeststandards am Herz liegt. Die Union wird mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben, je länger sie den doppelten Spagat zwischen liberal und konservativ, links und rechts versucht.
Die Themen von CDU und SPD sind aktuell wenig gefragt
CDU und SPD haben noch ein weiteres Problem, sagt Marc Debus. Sie haben nicht die Themenhoheit über die aktuellen Großkonflikte: In der Klimapolitik sind die Grünen das Original, das Thema Migration hat die AfD mit ihrer aggressiven Rhetorik besetzt. Für die Genossen gebe es genau zwei Auswege, analysiert der Politologe. Entweder sie schaffen es, ihr Kernthema soziale Gerechtigkeit ganz nach oben auf die Agenda zu setzen – oder eine Wirtschaftskrise rückt die Themen, für die die SPD steht, wieder in den Fokus: Arbeitsmarkt, Sozialstaat, Umverteilung.
Natürlich könnte man sagen, dass es – It’s the economy, stupid! – in der Politik weiterhin darum geht, wer wie viel hat und wer wie viel bekommt: Grün und liberal sind dann eben diejenigen, die es sich leisten können sowie jener Teil der Bohème, der sich aus Geld nichts macht und wenigstens ideell von einer kosmopolitischen Politik profitiert. Wer die Öffnung der auch kulturellen Grenzen oder einen Verfall traditioneller Werte beklagt, tut das in dieser Lesart nicht zuletzt deshalb, weil er oder sie sich als Globalisierungsverlierer begreift. Dennoch sollte man die alte Unterscheidung von Links und Rechts mit dieser kulturellen Dimension nicht überfrachten. Man erkennt dann auch viel leichter an, dass schon der Sieg von Rot-Grün bei der Bundestagswahl 1998 nicht nur ein Linksruck nach 16 Jahren Kohl-CDU war, sondern auch der Triumph eines dezidiert auf öko- und sozialliberale Milieus zugeschnittenen politischen Angebots. Fast könnte man sagen: Genau so etwas sollte die SPD nächstes Wochenende wieder beschließen.
Parteien und ihre Programme sind immer auch Antworten auf gesellschaftliche Strömungen. Politstrategen wissen natürlich, dass sich viele Wähler heutzutage eher einem Lebensstil verbunden fühlen als wie früher der Arbeiterklasse oder dem Bürgertum – und dass die Welt damit ein gutes Stück komplexer geworden ist. Die SPD, die unter dieser Entwicklung schon lange besonders stark leidet, sollte auf ihrem Parteitag nicht über Links oder Rechts diskutieren – sondern sich klarmachen, welches Lebensgefühl sie eigentlich vertreten möchte. Sind wir GAL oder TAN? Das ist die seltsam klingende Frage, die sich die Genossen dringend stellen müssen.
(Stuttgarter Zeitung, Die Brücke zur Welt, 29. November 2019)
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joeyfirst · 5 years
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Netzfund (Verfasser: Robert Blum)
Die Rückkehr des Sozialismus
Nachdem sich gestern Katja Kipping und Kevin Kühnert über eine mögliche Rückkehr des Sozialismus ausgetauscht haben, träumt Oscar Lafontaine heute von einer Fusion der linken mit der SPD.
Das passt zusammen, wie die Faust aufs Auge. Die linken möchten gern einen neuen DDR Stasi Staat und der Marxist Kühnert träumt von Enteignung und neuen Wählern.
Wie armseelig muss man sein, wenn man im Zeichen von Wählerflucht und abstürzenden Umfragen das Heil in einem neuen Kommunismus sucht?
Alles nur Panikmache? Ich glaube kaum. Den Roten geht der Arsch derart auf Grundeis, daß er bereits wundrot ist. Da gräbt man gern die alten Geister aus weil einem neue Ideen und Lösungen fehlen.
Egal ob linke oder SPD. Tief in ihren Herzen sind die Sozis immer noch das, was sie immer waren. Marxisten Der alten Schule, die dem Proletariat gern das rote Paradies auf Erden versprechen, dass am Ende dann doch zur realen Hölle des Bürgers wird.
Vor allem, wenn das Volk nicht so spurt wie gewünscht und man sich mit dem bescheidenen Leben im Arbeiter und Bauernstaat nicht abfinden und unterordnen mag.
Dann wird der nette Genosse schnell mal beleidigt und fegt mit dem Rotstift durchs Land, um jeden Andesdenkenden die rote Karte zu zeigen. Mit derartigen Praktiken hat Deutschland viel Erfahrung.
Die Bürger der DDR haben erlebt, was Sozialismus in der Praxis bedeutet. Unfreiheit, eingeschränkte Rechte, Bespitzelung, Verfolgung und staatliche Willkür. Offenbar aber sehnen sich einige Genossen danach zurück.
Jedenfalls trommelt der kleine Oscar derzeit wieder lautstark mit seiner Blechtrommel für die Rückkehr des Kommunismus in Deutschland. Nichts dazu gelernt aus der Vergangenheit, könnte man meinen.
Da ist man gut beraten, wenn man sich wie ich, auf bürgerliche Werte beruft und den liberalen Gedanken von Freiheit und Selbstbestimmung pflegt und dafür eintritt. Nein wir brauchen keinen Neokommunismus hier in diesem Land. Auch kein Diktat vom Proletariat. Wohin das führt, sehen wir in China, Venezuela Kuba und in anderen sozialistischen Gesellschaften. Am Ende steht eine Diktatur in der alle gleich sind. Nur einige wenige sind halt gleicher. So wie es George Orwell bereits über den Kommunis sagt. In diesem Sinne. Für Freiheit und eine liberale Gesellschaft
Euer Robert Blum
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/nachrichten-am-morgen-die-news-in-echtzeit-a-1271153.html
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ragnarmueller · 5 years
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Damit stehen sie immer mehr Menschen überall auf der Welt gegenüber, die sich eben genau darüber definieren, über Nation, Herkunft, Glaube. Der britische Publizist David Goodhart hat diesen Gegensatz mit den Begriffen "Anywheres" und "Somewheres" herausgearbeitet: zwischen denjenigen, die überall auf der Welt leben können und denjenigen, die nur an einem bestimmten Ort zu Hause sein können. Goodhardt nahm seine Aufteilung 2017 vor, um die Verhärtungen in der Brexit-Debatte auf den Punkt zu bringen. Sein Modell lässt sich auf alle westlichen Gesellschaften übertragen. Auch auf die wackelige deutsche Mittelklasse, wie sie etwa die ARD-Dokumentation "Heimatland" vor Kurzem anhand einer Neubausiedlung in Köln zeigte. Auch hier treffen flexible, beruflich hoch ambitionierte "Anywheres" auf mobilitätsunwillige "Somewheres". Zwei sich fremde Welten, die auf einigen wenigen Eigenheimparzellen die große gesellschaftliche Schlacht der Gegenwart kämpfen: die offene Gesellschaft gegen die geschlossene. Rasenmäher gegen Rollkoffer.
Carlo Strenger über liberale Eliten: Die Elite in der Krise - SPIEGEL ONLINE
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melbynews-blog · 6 years
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Arm ǀ Die Keule der Egoisten — der Freitag
Neuer Beitrag veröffentlicht bei https://melby.de/arm-%c7%80-die-keule-der-egoisten-der-freitag/
Arm ǀ Die Keule der Egoisten — der Freitag
Wenn bei Anne Will die Lautstärke bedrohlich anschwillt und den Stammgästen die Argumente auszugehen drohen, zieht garantiert einer den ultimativen Joker: „Sie wollen hier doch jetzt keine Neiddebatte anzetteln …?!“ Die Frage ist rein rhetorisch, wird oft unterstrichen mit Augenrollen oder angeekeltem Kräuseln der Mundwinkel, und verfehlt selten ihren Zweck: Politische Diskussionen über Ungleichheit oder Verteilungsgerechtigkeit landen prompt auf dem Niveau einer Schulhof-Pöbelei. Denn das N-Wort sticht immer. Selbst unter den sieben Todsünden ist Neid die mit Abstand unpopulärste. Und anders als Wollust, Faulheit oder Völlerei macht es auch nicht den geringsten Spaß, neidisch zu sein. „Als Neid bezeichnen wir das wütende Gefühl, dass eine andere Person etwas Begehrenswertes besitzt und sich daran erfreut – der neidische Impuls besteht darin, dieses Objekt der Begierde zu rauben oder zu zerstören“, schreibt die Psychoanalytikerin Melanie Klein in Neid und Dankbarkeit.
Es geht dabei nicht bloß um materielle Dinge, sondern auch um soziale Stellung oder bewunderte Fähigkeiten. Nicht Gier, sondern Unglück über das Glück des anderen, treibt den Neider an; sein Ziel ist nicht die Gleichheit des Habens, sondern die Egalität des Nichthabens. In einer Wettbewerbsgesellschaft, in der nicht mehr allein Leistung und Können über Erfolg und Misserfolg entscheiden, sondern ebenso sehr Chuzpe und kulturelles Kapital, gelten Neider als hässliche, uncoole Verlierer-Typen. Auch deshalb taugt Neid perfekt zum politischen Kampfbegriff: Schließlich möchte niemand ein missgünstiger Loser sein.
Huths „hässliche Fratze“
Peter Huth, Chefredakteur der Welt am Sonntag, hämmerte gerade erst in diese Kerbe, mit einem durch und durch hetzerischen Kommentar: „Am 1. Mai zeigt Deutschland Jahr für Jahr eine hässliche Fratze, es ist der Feiertag des Sozialneids.“ Die Wut auf Wohlhabende verbinde die unterschiedlichsten Deutschen, selbst CDUler wollten Managergehälter deckeln, empört sich Huth und behauptet, Umverteilen sei ein deutscher Lieblingssport. Sein Fazit: „In einer Infrastruktur aus Neid entwickelt sich kein Wettbewerb der Besten um den ersten Platz.“
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob es für deutsche Arbeitnehmer ein motivierender Ansporn ist, wenn sie in der Zeitung lesen, dass der in den USA per Haftbefehl gesuchte Ex-VW-Chef Martin Winterkorn trotz allem weiterhin eine Rente von 3.100 Euro bezieht – pro Tag. Wohl eher stellt sich das Gefühl von Ungerechtigkeit ein, von Ungleichbehandlung – und eben auch Neid. Doch das Gefühl ist wesentlich komplexer als sein Ruf. Neid kennt viele Abstufungen und Nuancen, er ist ein lebenslanger Begleiter. Schon der Säugling ist neidisch auf die Brust der Mutter und was zwischen Geschwistern mitunter abläuft, berichtet bereits das Alte Testament. Zeit also, einmal gründlich über den Begriff nachzudenken, vor allem über die Frage: Hat Unzufriedenheit mit der Verteilungsordnung zwangsläufig etwas mit Neid zu tun?
Im Psychoanalytischen Salon des Hamburger Thalia Theaters suchten der Soziologe Sighard Neckel und der Psychoanalytiker Eckehard Pioch letzte Woche nach möglichen Antworten auf diese und andere Fragen zum Thema. Das Interesse war enorm. Menschen aller Generationen quetschten sich in das brütend heiße Café unterm Dach. Die meisten wirkten wie protestantisch-liberale Zeit-Leser; kontrovers diskutieren oder gar herumschreien, wie bei Anne Will, wollte keiner von ihnen.
Eckehard Pioch, Mitherausgeber des im letzten Jahr erschienenen Buchs Neid: Zwischen Sehnsucht und Zerstörung, eröffnete den Abend mit einem etwas platten didaktischen Witz. Es ging um kulturelle Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen, mit denen der Berliner die beiden grundlegenden Varianten von Neid beschreiben wollte: Mal zeige er sich als Sehnsucht und Ansporn; mal als Häme und Destruktivität. Bei den Kämpfern des Islamischen Staats sei beides zu erkennen: Viele von ihnen waren früher nicht sehr gläubig, bewunderten insgeheim den Westen und versuchten dort Fuß zu fassen. Doch das Scheitern dieser Sehnsucht erlebten diese Männer als Kränkung und ungeheure Enttäuschung. Im Kampf gegen das Neid-Objekt leben sie ihren narzisstischen Wunsch nach Omnipotenz aus – als hasserfüllte Loser im Namen Allahs.
Im reichen Deutschland geht der Neid eher von Egoisten aus, die über den angeblichen Egoismus der anderen ausrasten. Ausgerechnet Flüchtlinge, die Hilfe benötigen und außer ein paar Habseligkeiten kaum etwas besitzen, gelten hierzulande als dreiste Eindringlinge, die den Einheimischen die Sozialleistungen wegnehmen. Laut einer Studie, die der Konfliktforscher Andreas Zick von der Universität Bielefeld 2016 durchgeführt hat, empfindet nahezu jeder fünfte Deutsche eine undifferenzierte Wut auf Einwanderer. Dabei sind es offenbar nicht allein finanzielle und materielle Zuwendungen, die den Neid schüren. Oft geht es auch um die Mobilität, Sprachenvielfalt und den Mut der Flüchtlinge, sich an einem anderen Ort ein neues Leben aufzubauen, während die deutsche Man-wird-ja-wohl-noch-mal-sagen-dürfen-Fraktion an ihrem Heimatort festsitzt und von guten alten Zeiten träumt. Pioch stellt deshalb die Frage in den Raum: „Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe und dann alles verliere?“ Im Neid erkennt der Psychoanalytiker die Wahrnehmung eines Mangels, der anerkannt oder bekämpft werden kann.
Sighard Neckel, der an der Universität Hamburg Gesellschaftsanalyse und sozialen Wandel unterrichtet, definiert die zwei Seiten des Neids, anders als sein Vorredner, als Ehrgeiz und Egalität. Ehrgeiz ist eher eine persönliche Angelegenheit, mit oft hässlichen Seiten. Die Egalität dagegen wurde schon im 16. Jahrhundert von dem englischen Philosophen Francis Bacon gepriesen: „Der öffentliche Neid gleicht nämlich jenem wohltätigen Ostrazismus, der große Männer, wann sie zu einer unmäßigen Höhe emporsteigen, in die gebührenden Schranken zurückweist. Daher ist auch er den Mächtigen ein Zaun, um sich nicht allzu sehr zu erheben.“ Ostrazismus, besser bekannt als Scherbengericht, diente im antiken Griechenland dazu, unliebsame oder allzu mächtige Bürger aus dem politischen Leben der Stadt zu verbannen. Ein solches Verfahren, sagt Neckel mit süffisantem Grinsen, hätte uns in jüngster Vergangenheit sicher einigen Ärger erspart. Der Soziologe erkennt deshalb auch keine Neiddebatte, wenn in der Öffentlichkeit über die Begrenzung hoher Einkommen, Leistungsgerechtigkeit und die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte diskutiert wird. Neid sei die Psychologisierung und Personalisierung von Ungleichheit, behauptet Neckel. Versorgungssicherheit, etwa durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen, könnte das Gefühl dämpfen.
Die Affen wissen Bescheid
Doch Neid hin oder her: dass Ungleichheit nur bis zu einem bestimmten Punkt akzeptiert wird, beweist ein Experiment, das der niederländische Zoologe Frans de Waal durchgeführt hat und auf das Sighard Neckel am Ende der Veranstaltung zu sprechen kommt: Zwei Affen werden auf unterschiedliche Weise dafür belohnt, dass sie dem Versuchsleiter einen Stein bringen. Der eine bekommt nur ein Stück Gurke, der andere erhält für die gleiche Leistung eine saftig-süße Banane. Eine eindeutige Ungerechtigkeit. Der Affe sieht das genauso. Das erste Stück Gurke isst er noch, doch schon mit dem zweiten bewirft er empört den Zoologen und schlägt wütend gegen die Wände seines Käfigs. Die viel beschworene Denkfigur des Homo oeconomicus, der, wie uns neoliberale Wirtschaftswissenschaftler gern versichern, stets rational handelt und auf seinen Vorteil achtet, hätte die Ungerechtigkeit akzeptiert und brav nach der Gurke gegriffen. Der Wissenschaftler Frans de Waal dagegen ist überzeugt, dass Affen und Menschen einen tiefen Gerechtigkeitssinn entwickelt haben, weil beide Gesellschaften nur mit kooperativem Verhalten überleben können. Fairness first!
Und was die Neiddebatten in Talkshows und Kommentaren angeht: Da sollte man vielleicht auch mal darüber nachdenken, den ein oder anderen Wortführer zu verdammen, gern auf zehn Jahre, so wie beim antiken Scherbengericht. Nicht aus Neid, sondern um sie in gebührende Schranken zu verweisen.
der Freitag Jürgen Ziemer Quelle
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unstimmigeharmonie · 6 years
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(Protest der ‘Aktion Aufschrei’ - hier in München, Februar 2018)
“1.496 Mal wurde ein am 17. November 2015 veröffentlichter Facebook-Beitrag des ARD-Nachrichtenmagazins Monitor geteilt in dem der Redakteur Georg Restle seine Phantasien zum Umgang mit IS und Flüchtlingen freien Lauf ließ: ‘Es ist ein verlockender Gedanke: Terrornester irgendwo da draußen auszuräuchern, dem islamistischen Spuk mit Militärschlägen ein Ende zu bereiten. Ein Endkampf, der die Brut ausrottet, die immer wieder morden lässt. Ein Gedanke, so [...] beruhigend, weil er unsere niedersten Bedürfnisse von Rache und Vergeltung befriedigt und so bequem, weil er jeden weiteren Gedanken überflüssig macht. Die alttestamentliche Sehnsucht nach Ausrottung aller Gottlosigkeit, sie lässt uns auch in diesen Tagen nicht los, sie kleidet sich nur neu in Worte von »gezielten Militärschlägen« und »europäischer Solidarität«. Aber es ist und bleibt ein Wunschgedanke, ein naiver Traum vom Endsieg über den Terror. [...] Es ist ein Krieg, den die Mordgesellen des »IS« herbeisehnen, weil er ihren apokalyptischen Untergangsphantasien entspricht, ihrer Vorstellung eines Dschihad, der die Welt in Flammen setzt.’ Es ist beileibe kein Zufall, dass sich die deutsche Presse einen Krieg gegen den IS nur wie einen Vernichtungskrieg der Wehrmacht vorstellen kann. Es ist ebenso wenig ein Zufall, dass man sich zwar lustvoll diesen Vernichtungskrieg ausmalt, ihn dann aber vordergründig ablehnt - um ihn den Juden in die Schuhe schieben zu können. Nur vor dem Hintergrund des antisemitischen Jargons der Friedensfreunde und Israelkritiker entsprechen die wahnhaften Assoziationen der Monitor-Redaktion irgendeiner Logik: Das jüdische Prinzip - für Restle ‘alttestamentliche Sehnsucht nach der Ausrottung’ - ‘kleidet’  sich ‘auch in diesen Tagen’  ‘neu’, es steckt sowohl hinter der Forderung nach ‘europäischer Solidarität‘ als auch mit dem IS unter einer Decke, wobei es wieder mal die ‘Welt in Flammen setzt’  beim Traum vom ‘Endsieg’. Doch Deutschland - und die deutsche Presse in Gestalt von Georg Restle - übernimmt zum Glück auf Verantwortung: ‘Indem wir den Opfern von Krieg, Armut und Verfolgung hier eine Zuflicht bieten, schaffen wir auch die Voraussetzung dafür, dass ein Wiederaufbau dort gelingen kann. Indem wir ihnen hier vermitteln, dass nur eine offene Gesellschaft eine wahre Perspektive bietet, schaffen wir Veränderung auch dort. Auch so entziehen wir den Ideologen einer mittelalterlichen Diktatur ihre irrwitzige Legitimationsbasis. Nicht heute, aber morgen.’  Ein Deutscher glaubt seine Lügen selbst, und so ist selbstverständlich keine Rede davon, dass die Aufnahme von Flüchtlingen der Erweiterung eines Niedriglohnsektors in der Bundesrepublik dient und mir ihr ein Konjunkturprogramm einherging, dass den Binnenmarkt des Exportweltmeisters belebte [Wirtschaftswachstum bereits 2016 + 0,3%] und einem gut ausgebildeten Klientel Arbeits- und Ehrenamtsplätze verschaffte, ohne dabei ökonomische Bedürfnisse dauerhaft zu befriedigen. [...] Die Vorstellung, man würde den Syrern ‘nicht heute, aber morgen‘ im Kampf gegen den IS und andere islamistische Banden helfen, indem der gut ausgebildete syrische, irakische und afghanische Mittelstand in deutschen Altersheimen arbeitet und indem man Leuten, die in liberale Gesellschaften fliehen, erklärt, warum liberale Gesellschaften gut sind, ist nichts anderes als die mühevolle Rationalisierung der deutschen Haltung in der Geopolitik: Andere Staaten - oder gar das blanke Überleben der Individuen - sind uns egal und wir verdienen gut damit, vehement das Gegenteil zu behaupten. Dass es sich hierbei nicht bloß um eine empirisch deutsche, also von der Bundesrepublik Deutschland vertretene geopolitische Haltung handelt, sondern eben auch um eine deutsche im Sinne der Deutschen Ideologie, wird nicht nur deutlich an den Ergüssen der staatstragenden Presse, sondern auch an der zweiten politischen Forderung, die sich im Rahmen des Sommers der Migration in der deutschen Linken und darüber hinaus stärker artikulierte: Die Forderung nach dem Ende deutscher Waffenexporte. [...]
Auffallend an der Forderung sind vor allem drei Dinge: Zum einen wird das Ende der Waffenexporte als probates Mittel zur Lösung von Konflikten weltweit betrachtet. [...] Zum zweiten ist die Forderung nach dem Export-Stopp generell: Details, wer in welchem Umfang welche Waffen bezieht, interessieren in der Bewertung auf Seiten wie www.wafenexport.org nicht. [...] Besonders auffallend ist an der Kritik der Waffenexporte drittens, dass sie eben nicht generell gegen die Rüstungsindustrie gerichtet ist, sondern sich lediglich auf die Exporte beschränkt. Die Produktion hingegen wird völlig außer Acht gelassen. [...] Die Industrie taucht als solche [...] so gut wie nicht auf - dagegen stehen die Waffenhändler als ‘Händler des Todes‘ (Aktion Aufschrei) im Fokus. Wenn die Rüstungsindustrie überhaupt erwähnt wird, dann als Lobby: Protestaktionen werden mitunter direkt vor den Büros der Firmen arbeitender Lobbyisten durchgeführt. Auch so kann die Sphäre der Produktion von Kritik ausgespart werden, während man Mechanismen der Vermittlung wie Handel und Lobbyismus ressentimenthaft angeht und die Politik als machtlosen Spielball jener Lobbyisten wähnt. Vom Profitieren ganzer Gemeinden und Kommunen von eben jener Industrie, von den zahlreichen Arbeitsplätzen in der Rüstungsindustrie und in den vom militärischen Zweig gar nicht zur trennenden zivilen Sparten der Unternehmen und ihrer Zulieferer, von alle jenen unangenehmen Fragen an die Volksgemeinschaft der Steuerzahler schweigt man lieber. Stattdessen werden sieben Manager ausgemacht, die als Einzige vom Waffenhandel profitieren sollen. Unbewusst, aber umso treffsicherer in der Bedienung antisemitischer Bildsprache, stellt ein Bündnis aus linken und kirchlichen Waffenexport-Kritikern riesige goldene Nasen vor dem Bundestag auf. Den angeblich Wenigen, die vom Waffenhandel profitieren, will man so [...] ‘Name und Gesicht’ geben. [...]
[Dabei] profitiert Deutschland [als fünftgrößter Waffenexporteur, aber drittgrößter Exporteur ingesamt] gerade im Verhältnis mit seinen Konkurrenten stärker davon, wenn international Rüstungsausgaben verringert werden und das Kapital in andere Bereiche investiert wird. Diejenigen Industriezweige, die für den hohen deutschen Export maßgeblich verantwortlich sind, sind zudem häufig erst in der Endproduktion von der militärischen Rüstungsindustrie zu unterscheiden. So ist es beispielsweise für den größten Teil der Zuliefererbetriebe egal, ob ihre Kugellager oder Klimaanlagen in Autos oder Panzer eingebaut werden, ähnliches gilt für Stahl- und Chemieindustrie. All diese Sparten, denen Deutschland die herausragende Position auf dem Weltmarkt verlangt, sind zugleich extrem von diesem abhängig – lassen sich ihre Produkte mal nicht auf ihm verkaufen, wird der Staat als Konsument einspringen. Ob diese staatliche Regulierung der Überproduktion dann in Form von Abwrackpremien oder Aufrüstung erfolgt, wird abhängig sein von der historischen Konstellation, technisch ist beides recht einfach möglich. Deutschlands Rüstungsfähigkeit ist also auch dann sichergestellt, wenn andere Wirtschaftszweige als die Rüstungsindustrie im engeren Sinne gefördert werden. [...] Durch die Forderung, Waffenexporte zu stoppen, wird der deutsche Souverän zumindest gut gerüstet sein.”
- Daniel Poensgen (Polemos #8)
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