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Erster Akt ohne Feuer
Es ist ein gewöhnlicher Abend, so wie eigentlich jeder, in dieser durchschnittlichen Wohngegend für Besserverdiener und Leute, die mit dem gemeinen Pöbel nichts zu tun haben und es auch nicht wollen...
Hier, in der Lutz-Bachmann-Straße hat der Haarwasser- und Aftershavehersteller Cay Biedermann sein stattliches Anwesen und dies ist auch der Ort, an dem das passiert, was halt in so einem Fall passieren muss.
Cay Biedermann und sein grausiges Eheweib sitzen in der guten Stube und speisen zu Abend, als Frau Biedermann (geb. Kirschbaum-Steinemann) zu ihrem Gatten meint:
„Du Schatz, also ich finde, dass es hier irgendwie nach Rauch oder nach Qualm riecht!“
Cay Biedermann, großindustrieller Kotzbrocken, Herumkommandierer und Vorzeige-Bürger (denkt er von sich) legt seine BILD-Zeitung weg, greift sich eine Scheibe Schinkenwurst, legt sie auf sein Schwarzbrot, beißt einmal genüsslich hinein und meint kauend:
„Alscho ICH riesche nischtsch!“
Frau Biedermann wirft einen Blick aus dem Fenster und meint: „
„Aber was ist denn, wenn unser Haus auch noch zum Ziel dieser... dieser... dieser fürchterlichen Menschen, dieser Brandstifter wird! Immerhin haben diese Typen schon fast ein Viertel der Häuser in der Stadt in Brand gesteckt und die Polizei hat sie immer noch immer nicht erwischt!“
Da klingelt es an der Türe...
Cay Biedermann steht mühsam auf, als er zur Tür geht, schimpft er:
„Ach Verdammtnochmal! Um die Uhrzeit! Das sind ganz bestimmt wieder irgendwelche Arraber! Ganz bestimmt! Wollen unseren abendländischen Grund und Boden billig aufkaufen! Und wer nicht will, der wird bedroht oder übers Ohr gehauen! So machen die das immer! Wehe wenn das wieder dieses Pack ist!“
Als Cay Biedermann die Türe öffnet, stehen zwei AfD-Abgeordnete auf der Matte, grinsen wie zwei braune Honigkuchenpferde und fragen:
„Einen schönen guten Abend der Herr! In ihrer Gegend gibt es ein Problem und wir würden es gerne restlos beseitigen!“
Cay Biedermann fragt:
„Soso, welches denn?!“
Die beiden AfD-Futzis antworten fast O-Ton:
„Menschlichkeit! Hier gibt es zu viel Menschlichkeit! Das müssen wir reduzieren! Für MEHR SICHERHEIT!“
Cay Biedermann hebt gespielt die Augenbrauen hoch und meint: „MENSCHLICHKEIT?!“
Einen Moment später wird er todernst und sagt:
„Sowas haben wir in unserem Haushalt größtenteils bereits abgeschafft!“
Dann knallt er die Tür zu, geht wieder in die gute Stube und setzt sich:
„Für mehr Sicherheit! Phäh!“
Frau Biedermann lehnt sich herüber und fragt:
„Aber Schatz! Was ist denn mit den beiden arbeitslosen Redakteuren von der BILD und dem COMPACT MAGAZIN?! Denen hast du Obdach auf unserem Dachboden gegeben! Ich finde die beiden ausgesprochen... „brandstifterisch“! Du denn nicht?“
Genervt senkt Cay Biedermann seine BILD-Zeitung und schaut seine Frau über die Lesebrille an:
„Liebling! Man MUSS in diesen Zeiten auch VERTRAUEN haben! Ja wo kämen wir denn da hin, wenn wir alles und jedem misstrauen und keinem mehr glauben würden?! Es müssen nur DIE RICHTIGEN LEUTE sein, denen man sein Vertrauen schenkt!“
Frau Biedermann meint:
„Das hast du zu dem Ehepaar aus Syrien so aber nicht gesagt! Da meintest du zu mir, solchen Leuten darf man nicht trauen! Nach allem was man so liest! Wenn du wenigstens ab und zu mal... Wasweißich... Den Freitag, den Spiegel oder hin und wieder mal in die Süddeutsche gucken würdest! Ich traue den beiden Gestalten da oben nicht! Die führen ganz bestimmt etwas im Schilde! Ich sag es dir!“
Cay Biedermann meint nur gelassen:
„In der Compact und der Bild steht alles drin was ich wissen muss! So einfach ist das! Und wenn man selbst diesen Herren nicht mehr trauen kann, ja wem denn sonst?! Frage ich dich!? Dieses bisschen Menschlichkeit, das bisschen Vertrauen in den Menschen, in den RICHTIGEN MENSCHEN, muss man sich doch schließlich bewahren! Deshalb habe ich auch den beiden gerade die Tür vor den Nasen zugehauen! Mit der Menschlichkeit, da muss man sehr gut haushalten! Aber ganz abzuschaffen, ja DAS wollen wir ja nun auch nicht! Man muss nur wissen, für wen und wann!“
Frau Biedermann gießt sich einen Tee ein und meint:
„Na wenn du das so sagst! Dass du dir da selber widersprichst, das weiß du schon oder?“
Cay Biedermann winkt gelangweilt ab:
„Was interessiert mich mein Gequatsche von vorhin denn schon?!“
Dann essen beide weiter zu Abend, während sich in der Dunkelheit der städtischen Landschaft vor dem Hause der Biedermanns ein bedrohliches, orangenes Leuchten ausbreitet...
Und aus den Ritzen der Deckendielen in der guten Stube die ersten, einzelnen, weißen Qualmfäden sich ihren Weg ins Zimmer suchen...
Noch heulen die Sirenen nicht.
Aber bald...
Cayman liest
Dieses Mal:
Max Frisch
“Biedermann und die Brandstifter” - Ein Lehrstück ohne Lehre
„Vertrauen ist gut... Abfackeln ist besser!“
Und was lernen wir daraus?
Dass diejenigen Akteure nichts oder häufig nicht viel aus der Geschichte lernen, die gesamte Menschheit schon mal gar nicht, das kann man immer dann wunderbar feststellen, wenn man des Nachts die „Tagesschau vor 20 Jahren“ einschaltet und dem Fernsehapparat dann den Rücken zudreht, aber weiterhin aufmerksam zuhört.
Bis darauf, dass die Währungen heute andere sind und die Namen der häufig mistbauenden Politiker andere sind, besteht dann durchaus die Gefahr, dass einem die Tatsache, gerade Nachrichten von vor zwanzig Jahren zu vernehmen... Durchaus „entfallen“ kann, ähneln sich die Schlagzeilen doch häufig so sehr.
Oftmals wird man erst dann wieder stutzig, wenn der Name eines Akteurs der damaligen Zeit genannt wird, bei dem man dann schlagartig und nicht selten mit Verwunderung denkt... „Aber der ist doch schon seit über zehn Jahren tot?!“.
Besonders frappierend ist es dann immer, wenn nach der vor zwanzig Jahren stattgefundenen Tagesschau, die Aktuelle gesendet wird. Und man dann erst recht feststellen muss: Das ist wie vor zwanzig Jahren, nur mit schickeren Krawatten, moderneren Brillen und anderen Autos, die im Hintergrund parken.
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Und so ähnlich kann man es, darf man es wohl auch bei dieser Geschichte halten. Denn auch wenn dieses Theaterstück, diese Geschichte und ihr Thema schon Jahrzehnte auf dem Buckel haben, es ist alles so aktuell wie niemals zuvor.
Der „Held“ in diesem Stück, stocksteif auf seiner Weltsicht festgefressen, wird von allen Seiten gewarnt, müsste vor allem in seiner Nachkriegsgeneration eigentlich wissen, dass man nicht einfach jedem dahergelaufenen Honk, der freundlich ist vertrauen sollte, aber...
Die Menschen, die ihm wohlgesonnen sind, die beutet er aus, demütigt sie, betrügt sie und behandelt auch deren Angehörige wie den letzten Dreck. Und er in dieser Geschichte, diesem kurzen Bühnenstück, glaubt seinen Verbündeten kein Wort, misstraut ihnen...
Den komischen Gestalten aber, die da auf einmal auftauchen, ja denen MUSS er, WILL er dann auf BIEGEN UND BRECHEN seine ganze Menschlichkeit, sein ganzes Mitgefühl und sein ganzes Vertrauen schenken.
Bis in die totale Verblendung, bis in den flammenden Untergang, bis ins grausige Verderben.
Man weiß ja schon, was kommt, was kommen wird und was kommen muss...
Aber die Schweißperlen stehen einem dennoch auf der Stirn, vor allem dann, wenn man die vergleichsweise wenigen Seiten dieses in buchform verpackten Theaterstückes in einem Rutsch durchliest.
Dass das ganze vollkommen absurd, geisteskrank und vor allem genau so mit voller Absicht vom alten Herrn Frisch konzipiert ist... Und auch einer dieser bekloppten Sketche aus der Zeichentrickserie für Erwachsene „TRIPTANK“ sein könnte, stört dabei kaum. Zu hoffnungslos verblendet ist der „Held“ oder besser „Unbelehrbare Kotzbrocken“, dem es am Ende, wie allen anderen Bewohnern der fiktiven Stadt das Haus unterm Arsch wegfackelt... Man hält das Ganze irgendwann für ein reales Ereignis. Das immer wieder zwischen den Szenen die Ortsfeuerwehr ins Bild marschiert und singt, so die Geschichte vorantreibt, auch das ist eben vollkommen absurd und irgendwie wahnsinnig unpassend. Und doch macht gerade das Spaß. Vor allem auch, weil gerade die Feuerwehr mit ihren Auftritten diese immer dichter werdende, bedrohliche Atmosphäre noch weiter „anheizt“. (Geiles Wortspiel oder?!).
Da kann sich ein Fitzek, eine Slaughter und wie sie alle heißen, die laut Werbeversprechen ihrer Verlage, jeder für sich, die Hochspannung nur für sich gemietet haben, aber eine große Scheibe von abschneiden.
Zumal, wenn man bedenkt, dass dieses Werk von Herrn Frisch auch schon an die fünfzig Jahre auf der Uhr hat.
Herr Biedermann würde Trump wählen
Schnell schreit einen das Wort „Populismus“ an, nachdem man mit dem Lesen begonnen hat.
Aber vor fünfzig Jahren, da war dieser Begriff noch gar nicht erfunden, es gab keine Alice Weidel, keinen Opa Gauland, keinen Bernd Höcke, keinen Trump in Amerika und keinen Orbàn in Ungarn und auch keine verpeilten Brexit-Spinner mitsamt ihrer Premierministerin, die mal dringend Tanzunterricht nehmen müsste...
(Ja, diesen Text habe ich schon vor so einigen Jahren geschrieben, aber aus diversen Gründen nie gepostet... Ich dachte mir einfach: Ich lass das mal so. Wer sich an den „Robotdance“ von Frau Premierministerin erinnern kann oder dies überhaupt will, der kann ja das Verfassungsdatum sehr genau eingrenzen. Viel Spaß dabei.)
Aber dennoch kann man sich beim Verhalten der Figur des Herrn Biedermann, dem Hauptakteur in diesem Theaterstück, dieser Geschichte, nicht verkneifen, an das Wort „Populismus“ zu denken. Fast wirkt dieser Text heute, wie eine weise Voraussicht auf das, was noch kommen sollte.
Denn im Grunde genommen tut er genau das, was alle bescheuerten Hardcore-Populs machen:
Sich um BIEGEN und BRECHEN und um jeden Preis, am eigenen, noch so verdrehten und falschen Weltbild festhalten, auf keinen Fall die eigene Ansicht, das eigene Weltbild hinterfragen oder gar revidieren und egal was kommt, auch wenn es mit Volldampf vor die Wand geht... Immer weiter in exakt die Richtung geradeaus. Denn am Ende, da sind eh immer irgendwelche, Leute schuld, die entweder „anders“ sind oder aber das eigene, seelische, mentale Wohlbefinden in der Filterblase stören.
Und ganz genau so ist Herr Biedermann.
Er hat sich ein Weltbild, eine bestimmte Einstellung in den Kopf gesetzt und hält daran fest.
Und selbst, als die beiden Männer, welchen er Obdach in seinem Haus gewährt, mehrere Fässer voller Benzin auf seinem Dachboden bunkern und der eine von ihnen ganz freilich loszieht, um „Holzwolle zu holen“...
Wird die Realität einfach ausgeblendet, umgebastelt, weggewischt...
Denn Herr Biedermann, welcher seinen eigenen Geschäftspartner in den Selbstmord getrieben hat, dessen Witwe mit dem Hintern nicht anguckt und den Verblichenen am liebsten schon komplett aus dem Gedächtnis gestrichen hätte, bekommt auf einmal einen Moralischen, als eines Abends ein junger Mann vor der Türe steht und „nach Menschlichkeit“ verlangt.
Der junge Mann war mal beim Zirkus, bis dieser abgebrannt ist, später kommt sein bester Freund und Mittäter, ein schicker Oberkellner dazu, dessen Arbeitsplatz... Überraschung!!!... ABGEBRANNT IST.
Aber der feine Herr Biedermann hat ja dann doch ein Herz und WILL UNBEDINGT VERTRAUEN HABEN IN DEN MENSCHEN – Jetzt auf ein mal.
Als Projektionsfläche für seine plötzliche Nächstenliebe, die eher aus Trotz, als aus freien Stücken besteht, erwählt er den jungen Zirkusartisten und dessen Kumpel aus. Zwar ist sein grauses Eheweib, mit ihrem schwachen Herz und den labilen Nerven nicht einverstanden und die Polizei fahndet schon nach den beiden Gestalten...
Aber MANN MUSS VERTRAUEN IN DIE MENSCHEN HABEN! WO KÄMEN WIR DENN DA HIN?
Dass schon die halbe Ortschaft in Schutt und Asche gelegt wurde, das ist auch Herrn Biedermann nicht entgangen und auch er kann über diesen Schrecken nur fassungslos den Kopf schütteln und davon reden, wie schlecht und wie schlimm die Welt heutzutage geworden ist...
Aber der innere Donald Trump ist stärker, ein Verhalten, das dem Leser vollkommen irrational und wahnsinnig vorkommen muss, kann und darf...
Aber dennoch nichts an Zeitlosigkeit und Beliebtheit bei solchen Leuten verloren hat und ja sogar beliebter ist, als jemals zuvor.
„DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH GLAUBEN DÜRFEN!!!“
Obwohl Herr Biedermann sogar von der als Chor auftretenden Feuerwehr in Form von Gesang und Lyrik vor der selbstgezüchteten Katastrophe gewarnt wird, es nützt nichts! Erst kurz vor Schluss, da macht es den Eindruck, als habe der feine Herr Biedermann es begriffen, es kapiert, was er sich da ins Haus geholt hat...
Und versucht, schon halb dem Wahnsinn verfallen, den beiden Feuerteufeln mit einem absonderlichen Festakt von ihrer Wahnsinnstat doch noch irgendwie abzuhalten...
Es nützt ihm nur zu dem Zeitpunkt leider nichts mehr
Donald Trump... Äh.. Herr Biedermann gibt den beiden Feuerteufeln, wobei der Himmel der Stradt schon laut aufleuchtet, in den schönsten Farben des Feuers, die Streichhölzer, die ihnen ausgegangen sind.
Mit der logischen Begründung, dass es wenn es echte Brandstifter wären, sie doch auf alle fälle selber welche dabei gehabt hätten, haben müssen. Da sie aber keine Streichhölzer selber dabei hatten, können es auch keine Brandstifter sein!
Der dritte Mitwisser, ein graues, biederes Männchen, ein Wissenschaftler, verliest eine ausführliche Erklärung, die wohl über alles aufgeklärt HÄTTE, wäre da nicht das Sirenengeheul der Feuerwehr dawischengekommen.
So, in all dem Trubel, in all dem Lärm, in all dem Alarm, da geht die Stimme der Vernunft, des Vernünftig-Gewordenen rettungslos unter. Keiner hat etwas verstanden, keiner hat etwas gehört, niemand etwas gelernt oder hat die Chance dazu gehabt. Denn da ist nun der übliche Lärm, der alles übertönt, weil nun alle in heller Aufregung sind und niemand mehr auf den einen, der da Vernunft spricht, überhaupt hört.
Zu spät wär`s eh gewesen, denn der, dessen Handeln die Zukunft bestimmt, der hat schon ohne weiter nachzudenken, in seinem verqueren, trotzigen Weltbild verheddert, die Streichhölzer an die Feuerteufel gegeben, das Benzinfass auf dem Dachboden und die Holzwolle, all die bösen Vorzeichen einfach ignoriert.
So funktioniert Populismus in seinen groben Grundzügen – Das ist es was ihn in seiner Grundessenz ausmacht.
Zitat aus dem Buch – Letzte Seite, als alles schon zu spät ist:
„Chor
Sinnlos ist viel und nichts
Sinnloser als die Geschichte
Die nämlich einmal entfacht
Tötete viele, ach, aber nicht alle
Und änderte gar nichts
…
Was nämlich jeder voraussieht
Lange genug,
Dennoch geschieht es am End:
Blödsinn,
Der nimmerlöschende jetzt,
Schicksal genannt“
FAZIT
Ob das jetzt schön, genial von Seiten des Autors ist, oder einfach nur gruselig aufgrund seiner Zeitgemäßigkeit ist...
Auf alle Fälle können wir sagen, es ist wie bei der Tagesschau vor 20 Jahren: Man kommt sich vor wie in einer nicht mehr zu endenden Endlosschleife der ganz bescheuerten Art.
Was die Akteure lernen KÖNNTEN, blenden sie aus.
Was die Akteure heute besser machen KÖNNTEN, machen sie nicht.
Und was man von den Akteuren von damals heute lernen könnte...
Das ignorieren wir! Machen wir noch mal! Am besten ganz genau so!
Denn wenn schon vor die Wand, dann aber so richtig!
Denn wir wollen nichts dazulernen! Wir können nichts dazulernen!
Dazulernen oder nachdenken, das macht Arbeit, kostet Geld und nervt!
Und es dauert viel zu lange! Kostet Beliebtheitspunkte bei der Bevölkerung!
Und außerdem... Was soll es denn dazuzulernen geben?!
Da war doch nichts! Also damals! Nen Vogelschiss war damals!
Der Rest ist feindliche Propaganda von gefährlichen Minderheiten, die böse Absichten pflegen!
Auch wenn es wie bei „Der Besuch der alten Dame“... Wer ist in Deutsch nicht damit gequält worden frage ich... um ein gedrucktes Theaterstück handelt und es auch so geschrieben ist, die Stimmung wird dennoch irgendwann unerträglich, die Spannung zum zerreißen intensiv.
Da kommt es dann schon gar nicht mehr darauf an, ob und wie die Geschichte eines vollkommen in seinem, von selbstgedichteten Falschinformationen lebenden Querkopfes geschrieben worden ist.
Aber sowas wie Mitleid will bei diesem Kotzbrocken, dem man eine gewisse „Trumpigkeit“ nicht absprechen kann, einfach nicht aufkommen! Denn dafür ist dieser Kerl einfach zu unsympatisch.
Eigentlich freut es einen sogar, dass was mit ihm da am Ende passiert.
Schade nur, dass auch Unbeteiligte mitgerissen werden, ins Verderben.
Aber das hat populistisches Denken ja nun mal so an sich...
Das hat diese Form des Denkens und Handelns immer an sich.
Wobei die beiden Brandstifter, die faseln zwar etwas davon, dass sie mit dem Feuerlegen „Revolution“ machen wollen. Was auch nicht viel besser oder schlauer ist. Denn erst wenn alles niedergebrannt ist, kann man von neuem anfangen und alles besser machen, so die ebenfalls völlig verdrehte Denkweise dieser beiden Figuren...
Aber am Ende, im Grunde genommen und das sagt auch der dritte, aus der Brandstifterbande desertierende Mann, also der Wissenschaftler, bevor er die Bühne verlässt und die restlichen Figuren in ihrem schmullernden Zuhause zurücklässt:
Es sind und bleiben einfach nur zwei Pyromanen, zwei Brandstifter, die Spaß daran haben, die Welt brennen zu sehen, nichts weiter.
Und in Herrn Biedermann haben sie, hatten sie ihr perfektes Opfer, mit einem strategisch perfekt liegenden Haus gefunden, genutzt, benutzt, ihn ausgetrickst und ihr katastrophales Werk so vollendet.
Wer die Welt brennen sehen will, der muss nur die passenden Leute nach einer Schachtel Strichhölzer fragen, vielleicht noch ein wenig um den Finger wickeln und sie lassen einen sogar bis auf den Dachboden und glauben einem jedes Wort. Man muss nur gemeinsame Sympathiepunkte aufbauen, mit denen sich das Opfer identifizieren kann, das reicht häufig auch schon.
Passende Kandidaten gibt es ja schließlich genug, heute, wie vor zwanzig Jahren, wie vor fünfzig und davor.
Reinschauen, durchlesen und mit der heutigen Welt vergleichen, lohnt sich allemal.
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Max Frisch
„Biedermann und die Brandstifter“ - Ein Lehrstück ohne Lehre
Taschenbuch
edition suhrkamp
Ersterscheinung 1963
Preis: 5,00€
PERSÖNLICHE NOTE: 1++
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Letzter Akt... mit Feuer
Erst als der orangene Schein von draußen die Falten der guten Gardinen vor den Fenstern fast wie stöfferne Leuchtröhren wirken lässt, da erbarmt sich auch Cay Biedermann, sich endlich mal umzudrehen und aus dem Fenster zu schauen...
Was er dort sieht, das lässt ihn vor lauter Schreck hochspringen:
„Ja was zum Teufel ist denn los da draußen?! Die halbe Stadt steht ja in Flammen!“
Seine Frau, hinter ihrem Stubenstuhl stehend und sich an dessen Rückenlehne festklammernd meint nervös:
„Wenn sich das nun ausbreitet! Wenn sich das nun noch weiter ausbreitet! Was ist wenn unser Haus...! Ich WETTE diese beiden Gestalten da oben haben da was mit zu schaffen! Ich wette es!!!“
Da fällt ihr Cay Biedermann ins Wort:
„ACH! PAPPERLAPPAPP!!! Ich bin mir ziemlich sicher, das hat nichts aber auch gar nichts mit den beiden Herren zu tun, denen wir Obdach gegeben haben! Das waren bestimmt irgendwelche Arraber! Und außerdem! Warum soll es gerade unser Haus treffen? Wir wohnen auf der höchsten Anhöhe! Ich sage dir... Das sind diese verdammten Arraber! Mit Gewalt holen sie sich die Grundstücke der guten, der ehrlichen, hart arbeitenden Bevölkerung!“
Cay Biedermann nimmt sein Schwarzbrot und beißt erneut genüsslich hinein:
„Wir haben wenischtensch nosch en Anschttant, unsch etwasch Mänschlischkeit schu bewarn! Wir haben schwei Leuten in Not Obdach gebotn! Mampf Mampf!“
Frau Biedermann erwidert:
„Und dass es hier drin auch immer mehr nach Rauch riecht...
Du hast denen doch wohl nicht auch noch unser Wlan-Passwort gegeben, oder?! Damit die ihre brandstifterischen Gedanken von hier aus weiterverbrei...“
Cay Biedermann schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch:
„Nein! Nein! Nein! Und nochmals Nein! Ich lasse mir mein letztes bisschen Vertrauen in die Menschen nicht nehmen! Ja wo kämen wir denn da hin, wenn wir alle das täten!
Aber NATÖRRLICH habe ich den beiden unser Wlan-Passwort gegeben!
Das sind anständige Menschen, nicht so wie dies Mullahtypen in ihren 5er BMWs!“
Er will seiner Frau gerade einen längeren Vortrag halten, zum Thema: „Wir Deutschen, wir müssen zusammenhalten!“, da hämmert jemand an die Tür:
PLOM PLOM PLOM PLOM PLOMMMM!!!!!
Genervt marschiert Cay Biedermann zur Haustüre, davor steht der Feuerwehrhauptmann:
„Moinsen! Mahlzeit zusammen! Die Brandstifter haben wieder zugeschlagen und die halbe Stadt in Brand gesteckt! Die Polizei fahndet nach zwei Männern, die sie für all die Brände verantwortlich macht!“
Er holt einen Zettel aus seiner Jackentasche, auf denen zwei Phantomzeichnungen von zwei Männern zu sehen sind, welche den beiden Herren auf Herrn Biedermanns Dachboden durchaus ähnlich sehen.
Frau Biedermann meint daraufhin sehr erregt:
„Aha! Aha! Siehst du! Na siehst du!? Das passt doch bestimmt...!“
Verärgert hebt Cay Biedermann die Hände und schimpft:
„Auch die Polizei kann sich irren! ICH LASSE MIR DIESES LETZTE BISSCHEN VERTRAUEN IN DIE MENSCHEN NICHT NEHMEN! Verdammtnochmal! Ja wo kämen wir denn da hin in dieser Gesellschaft wenn wir das täten!“
Der Feuerwehrhauptmann zuckt mit den Schultern und meint:
„Sie haben diese beiden Herren also nicht gesehen?!“
Stur antwortet Cay Biedermann:
„Nein! Ich weiß von gar nichts! Und ich glaube nicht daran, dass ausgerechnet diese beiden Brandstifter sein sollen! Sollen die Leute sich gefälligst einen anderen Sündenbock suchen! Man muss Vertrauen haben in die Leute sage ich ihnen mein Herr! Vor allem in die RICHTIGEN LEUTE!“
Der Feuerwehrhauptmann senkt die Augen auf halbmast, macht kehrt und latscht davon...
Auf der Hälfte des Gehweges bleibt er jedoch noch mal stehen, dreht sich um, betrachtet das Dach des Hauses, formt beide hochgehobenen Hände zu einem Bilderrahmen und winkt danach den anfahrenden Löschwagen herbei...
Cay Biedermann kratzt sich am Kopf, genervt fragt er:
„Und was soll das nun wieder werden wenn es fertig ist?!“
Der Feuerwehrhauptmann meint:
„Och nichts! Ihr kompletter Dachstuhl und der halbe zweite Stock ihres Hauses brennen schon längst! Aber jetzt iss eh schon Wurscht! Ich wollte dieses wunderschöne Bild nur mal kurz mit meinen Händen einrahmen, bevor wir unsere hoffnungslosen Löschversuche beginnen!“
Mit einem dummen Gesicht bleibt Cay Biedermann im Rahmen seiner Haustür stehen, der wütende Blick seiner holden Frau wird gottseidank, bereits von den inzwischen dicken Rauchschwaben, welche durch die offene Türe ins Freie hinauswehen und dem geworfenen Gegenlicht, des orangenen Leuchtens aus dem Hausinneren überdeckt...
So verschwindet in dieser Nacht eine weitere Stadt im unheimlichen Schein der Flammen, ummantelt von einer dicken, grauen Decke. Und die Brandstifter? Ja die verschwinden, so wie sie es dann immer tun, wenn die Städte und Orte und die Menschen erst einmal lichterloh in Flammen stehen.
ENDE
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