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prseiten · 7 years
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Die Liebe und die Wandzeitung oder Entschlüsselungskunst mit C.U. Wiesner – Sieben E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Der erste der sieben aktuellen Deals der Woche der EDITION digital, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de acht Tage lang (Freitag, 17.02. 17 - Freitag, 24.02. 17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, ist ein Kriminalroman. Er beruht zudem auf einem authentischen Fall. Auch ein zweites Buch führt in die Geschichte zurück. Im Angebot sind der zweite Teil einer Autobiografie, 99 Texte über die Ehe und einer über eine Scheidung sowie eine Wiederbegegnung mit einem Besucher aus dem Mittelalter und zwei wunderbare Bücher von dem Schriftsteller und Fotografen Wolf Spillner. Die Druckausgabe von „Zu keinem ein Wort!“ von Günter Saalmann erschien 1993 im Kinderbuch-Verlag. Die Handlung setzt fünf Jahre früher ein: Sommer 1989. Noch scheint alles in Ruhe zu verharren. Doch es brodelt unter der Kruste. Dann wird Kordula, Tochter eines polnischen Nachbarn, überfallen; ein Hakenkreuz in ihre Haut geschnitten. Die Staatssicherheit vertuscht, wo sie vorgibt, zu ermitteln. Unschuldige werden verhört, diffamiert und ausspioniert, während die Neonazis immer dreister werden. Aber machen wir zunächst die Bekanntschaft von Kordula – aus der Sicht eines ihrer Klassenkameraden, der gewissermaßen aus Liebe zum Wandzeitungsredakteur wird. Aus Liebe zu Kordula: „Kordula. Manche nennen sie „die Polin“. Kordula Przebylla. Von ihrem polnischen Vater hat sie das krause, ganz tief braune Haar, das elektrisch-blau sprüht, wenn Disko-Spotlights sich darin verfangen, die leicht gebogene Nase mit den beweglichen Nüstern. Das Sichelpaar ihrer schwarzen, wie vor Staunen gehobenen Brauen, das helle, ovale Gesicht. Alfred besitzt noch von seinem Großvater einen Bildband über den Maler Chagall. Dort gibt es solche Schneewittchengesichter, sanft und bestürzend. Kordel, das Biest. An ihr musste Alfred vor drei oder vier Jahren die Liebe erfahren. Das neue Gefühl traf ihn wie ein Boxhieb, als er beim Sportfest im Gras ihr Medaillon fand. Es war ein großer ovaler Porzellananhänger mit dem Christuskreuz darauf. Die geflochtene Lederschnur war korallenrot und gerissen, und ihn überkam der Wunsch, den Fund an die Wange zu drücken. Er schaute sich verstohlen um und tat es: Das Porzellan bewahrte noch einen Rest Wärme der Mädchenhaut. Er gab den Schmuck nicht sofort zurück, sondern legte ihn abends in einen Briefumschlag und verfasste - in Geheimschrift! - ein Gedicht. Es begann: Ich hab eine Kordel gefunden, damit ist mein Herz nun gebunden ... Wie glühte er damals für seinen feinsinnigen Einfall, die geflochtene Schnur, die ja eine Art Kordel war, mit dem Vornamen der Trägerin dichterisch zu verknüpfen! Übrigens bekam sie bereits in der siebenten Klasse ihren Busen, von dem heutzutage die Männer Froschaugen kriegen. Der schon damals beim Sportfest beträchtlich hüpfte, zusammen mit dem Medaillon an der korallenroten Kordel. Das Gedicht endete in einer gereimten Leseanweisung für die Geheimschrift. Er hat in den Umschlag noch eine Handvoll Gummibärchen getan, von denen er wusste, dass Kordula sie fleißig aß, weil den Mädchen angeblich davon kräftige Fingernägel wuchsen. Die Nägel sind ihr gewachsen. Von seinem poetischen Erguss hat sie wahrscheinlich nicht Kenntnis genommen. Konnte sie nicht, denn die Leseanweisung war versehentlich ebenfalls in Geheimschrift aufgeschrieben. Ja, er war durcheinander, damals. Spätere Gedichte, hauptsächlich über die Jahreszeiten Herbst und Winter - hat er nicht mehr in Geheimschrift notiert. Sie zeigten denn auch Wirkung, und zwar öffentliche: Man wählte ihn alljährlich zum Wandzeitungsredakteur, froh, einen Trottel gefunden zu haben. Alfred lächelt müde. Vom Thema Liebe hat er seitdem die Finger gelassen, schriftlich und überhaupt. Er weiß inzwischen, dass einer wie er bei einem Mädchen wie Kordula nichts ausrichten wird. Wie sollte er auch. Ein Stino von sechzehneinhalb, der sich alle sechs Wochen rasiert, mit dem lächerlichen Namen Alfred Donner, aber ohne Spitznamen (Ein Spitzname würde wenigstens auf irgendeine Art Originalität hindeuten.), untersetzt, mit einer Nase, die einmal - genetische Erblast - kartoffelig wird, mit einer aschblonden Haartolle über der Schläfe, die aussieht wie eine Cremerolle vom Konditor. Ach, Kordel.“ Wiederum zweihundert Jahre zuvor und zwar in Frankreich, und ebenfalls in unruhigen Zeiten, spielt die 1989 im Kinderbuchverlag Berlin erschienene Erzählung „Luc und die Wölfe von Paris“ von Ulrich Völkel: Aux armes! Zu den Waffen! hallt es durch Paris. Der König hat den Finanzminister Necker entlassen, von dem die Franzosen geglaubt hatten, er werde mit der Verschwendungssucht des Hofes und der Misswirtschaft im Lande fertig. Von Luc erfahren die Pariser, wo das Pulver für ihre Gewehre zu holen ist. Auf zur Bastille! Am 14. Juli 1789 wird dieses Symbol der verhassten Despotie gestürmt. Die Große Französische Revolution hat begonnen. Aber wer ist eigentlich Luc? Lesen wir kurz in den Anfang dieser Erzählung hinein: „Luc war ein Bursche von vierzehn Jahren. Er lebte in Paris. Seinem Vater gehörte die Bäckerei in der Rue St. Antoine, unweit der drohend aufragenden Bastille, der gefürchteten Festung inmitten der Stadt. Lucs Mutter lebte nicht mehr. Sie war kurz nach seiner Geburt verstorben. Den Haushalt versorgte Margarete, eine Deutsche. Sie half auch in der Backstube, und sie stand hinterm Ladentisch. Obwohl sie schon mehrere Jahre in Frankreich lebte, hatte sie noch immer Mühe, einen französischen Satz fehlerfrei zu sprechen. Aber sie war fleißig und demütig, das wusste der Bäcker zu schätzen. Und sie war gut zu Luc; zu gut, wenn man seinen Vater fragte, der ein harter Mann war. Luc war größer als die meisten Jungs seines Alters, aber blass und spitznäsig, weshalb er von den anderen gehänselt wurde. Sie nannten ihn Baguette, weil er aussah wie ein von seinem Vater gebackenes, dünnes, superlanges Weißbrot. Aber Luc bekam diesen Spottnamen selten zu hören, denn er brachte die meiste Zeit in der Backstube zu. Sein strenger Vater war der Meinung, Luc könnte nicht früh genug das Bäckerhandwerk erlernen. Immer wieder sagte er: „Mir hat Arbeit auch nicht geschadet. Hätte mich mein Vater nicht rechtzeitig daran gewöhnt, wäre ich so ein armer Schlucker geblieben, wie es die sind, für die sich unsereiner die halbe Nacht um die Ohren schlagen muss.“ Und er sagte das mit solchem Nachdruck, als sei die Armut der Lohnarbeiter in Paris die Folge ihrer Faulheit. Luc, der nie etwas anderes zu hören bekam von seinem Vater als solche Reden, glaubte ihm schon aus Angst; denn so arm sein, wie es die meisten Menschen in seinem Viertel waren, wollte er wahrhaftig nicht. Und er glaubte seinem Vater auch deshalb, weil er sich das Elend ringsum nicht anders hätte erklären können. Was wusste ein Junge wie Luc im Paris des Jahres 1789 von der Verschwendungssucht des Königshauses, den unseligen Kriegen und der landesweiten Misswirtschaft, den wirklichen Ursachen des wuchernden Elends? Nichts konnte er wissen. Die Welt war so, wie sie war. Und sie war, wie sie Gott eingerichtet hatte. Das sagte der Pfarrer. Das sagte der Vater. Margarete hütete sich, etwas anderes zu erzählen, falls sie überhaupt eine Erklärung gewusst hätte. Und Gaston, der einstige Geselle, war nicht mehr da. Wenn der Vater frühmorgens aufstand, hatte Margarete in der Backstube bereits Feuer gemacht, einen Gerstenkaffee aufgebrüht und den Laden ausgefegt. Früher hatte Luc geglaubt, die Erwachsenen schliefen nie; denn wenn er sich abends hinlegte, waren sie noch wach, um den Teig anzusetzen, und wenn er frühmorgens die Augen aufschlug, arbeiteten sie bereits seit drei Uhr in der Backstube oder im Laden. Von seinem zwölften Lebensjahr an lernte Luc diesen Rhythmus aus eigener Erfahrung kennen, denn sein Geburtstagsgeschenk hatte darin bestanden, dass er von nun an mit seinem Vater aufstehen musste, um in der Backstube zu arbeiten wie ein Erwachsener.“ Nach diesen beiden historischen Texten folgt der zweite Teil einer Autobiografie, die 1985 erstmals im Eulenspiegel Verleg Berlin veröffentlichte und für das E-Book 1989 veränderte Fassung von „Leb wohl, Rapunzel. Elf Kapitel aus der Jugendzeit“ von C.U. Wiesner. Dazu schrieb der Autor selbst Folgendes: In der Havelstadt Brandenburg endeten meine Kindheitserinnerungen „Machs gut Schneewittchen“. Und genau da geht es nun weiter. Das Kriegsende naht. Den letzten schweren Luftangriff erlebe ich in einem Hochbunker. Und plötzlich sind die gefürchteten Russen da. Der deutsche Kampfkommandant weigert sich zu kapitulieren. Lieber opfert er die Stadt. Vorbei an den ersten Toten, die ich in meinem zwölfjährigen Leben sehe, geht es hinaus auf einen Flüchtlingstreck. In einem märkischen Dorf hören wir im Reichsrundfunk die Meldung, dass unser heiß geliebter Führer an der Spitze seiner Truppen in heldenhaftem Kampf gefallen sei. Nur den schwachsinnigen Alwin aus unserer Straße freut das: Wenn der abjekratzt is, kann er mir nich mehr wechholen lassen, sagt mein Pappa. Nach dem Abitur versucht mich die Großstadt Berlin an ihren gewaltigen Busen zu drücken. Diese Liebe ist zunächst einseitig, nicht aber meine Liebe zu Luise, die nun für ein Jahr im Städtischen Dolmetscherseminar neben mir sitzt. Voller Seligkeit paddeln wir im Faltboot durch die märkischen und mecklenburgischen Seen, wandern den Rennsteig entlang und spuken auf der Burg Falkenstein im Harz herum. Alles könnte gut sein, wäre da nicht die noch mauerlose Stadtgrenze. Jede Woche zweimal besucht Luise, die in Wirklichkeit Annegret heißt, in Westberlin den Gottesdienst einer christlichen Sekte, und ich bemühe mich, ihr in ihrem Glauben zu folgen. Warum soll ich mir kein Beispiel an dem französischen König Henri IV. nehmen, der zum katholischen Glauben übertrat, weil ihm Paris eine Messe wert war? Man braucht ja nur 20 Pfennige für eine S-Bahnkarte, um das Land zu wechseln. Voller Zweifel setzte ich mich im Sommer 1955 allein auf mein Fahrrad, um jene andere Welt zu erkunden. Begeistert sah ich die Alpen, den Bodensee, den Schwarzwald - und fuhr zurück in das schäbige, graue und doch so vertraute Ostberlin. Für mich wollte das Wasser nicht von unten nach oben fließen. Viel, viel später las ich Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“. Und ich heulte ein bisschen. Aber die Show musste weitergehen. Ich war Redaktionsassistent, Hilfsredakteur, Redakteur in den Verlagen Volk und Wissen, Volk und Welt und wurde schließlich Lektor im Eulenspiegel Verlag, und der brachte dieses Buch genau dreißig Jahre nach jener Radtour heraus. Und zur Einstimmung in den zweiten Teil seiner Autobiografie fügen wir auch noch die Vorbemerkung des Autors zu seinem Buch hinzu: „Wenn ich mich recht entsinne, ist in dem Grimmschen Märchen von einer schönen blonden Jungfrau die Rede. Ein böses altes Weib hält Rapunzel in einem Turm unter Verschluss und bedient sich ihres langen Zopfes, um die Zinne zu erklimmen. Hinter dieses Geheimnis kommt ein junger Königssohn und entbrennt in heißer Liebe zu der anmutigen Hexengefangenen. Statt der alten Knuspermutter wird eines Tages er unter dem Turmfenster stehen und kühn hinaufrufen: Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter! Wir wollen dem Kind mit dem vegetarischen Namen so viel Verstand zutrauen, dass es vorsichtshalber in die Tiefe geschaut hat, als es die fremde Stimme vernahm. Also kann es kein Irrtum gewesen sein, dass Rapunzel dem Prinzen Gelegenheit bot, den seltsamen Vorläufer eines Personenaufzuges zu benutzen, ja, wir müssen sogar sagen, sie hat den Grund allen späteren Leides eigenhändig an den Haaren herbeigezogen. Vorerst aber wird weder von Kummer noch von Leid die Rede sein. In der vielleicht sogar mit Bärenfellen behaglich ausgestatteten Kemenate herzen und küssen die beiden einander - wie es in Märchen immer so züchtig heißt - mit großem Verlangen. Doch wohin soll das führen? Da wir geneigt sind, weder Rapunzeln noch den Prinzen bei aller Liebestollheit für völlig bescheuert zu halten, sollten wir annehmen, dass sie in den unvermeidlichen Pausen zwischen all dem Herzen und Küssen auch einmal über ihre persönliche Perspektive nachgedacht haben. Wer will bezweifeln, dass sich auf einem Turm fernab einer geschäftigen und der Liebe nicht immer holden Welt gut schmusen lässt? Aber die Frage beutelt uns geradezu: Wie, ja wie denn nur wird es mit den beiden weitergehen? Dass sich Rapunzel und ihr Gespons nur im Turmzimmer getroffen hätten, ist nichts als eine Legende. Mit der Zeit wurde dem Königssohn der Aufstieg viel zu sauer; schon als Oberschüler hatte er es in den Fächern Seil- und Stangenklettern nur zu einem Mangelhaft gebracht. Lag es nicht viel näher, Rapunzeln, die übrigens ein durchaus sportlicher Typ war, zu überreden, sich wie ein Bergsteiger am Seil an ihrem eigenen Haar herabzulassen? Es dauerte nicht lange, da übertraf sie an Gewandtheit und Kraft jenen Baron von Münchhausen, der sich wer weiß was auf die armselige Fertigkeit einbildete, sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf herausziehen zu können. Gekriegt haben sich Rapunzel und der sogenannte Prinz freilich nie. In unserem Falle begegnete nach siebenundzwanzig Jahren der nicht mehr junge Prinz seinem Rapunzel von einst wieder. An einem Sonnentag im Mai umrundeten sie den märkischen wie auch Westberliner Schlachtensee, nicht mehr Hand in Hand wie damals, sondern sorgfältig die Worte wählend und setzend. Vorschlag an den Leser: Wir nennen Rapunzel im folgenden meistens Luise, obwohl sie eigentlich ganz anders hieß und heißt, und finden uns damit ab, dass sie uns erst in einem späteren Kapitel des Buches wieder über den Weg läuft. Übrigens wird auf den folgenden Seiten so manche Figur oder Institution einen anderen Namen tragen als in der Wirklichkeit. Als erste Entschlüsselungshilfe: Die Stadt B. liegt an der Havel, verfügt über einen Roland sowie ein Stahlwerk; ein Barbier namens Fritze Bollmann pflegte auf dem dortigen Beetzsee zu angeln.“ Mitunter wird aus Liebe … eine Ehe. In seinem bereits 1978 im Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig erstmals erschienenen Buch „99 Ehen und eine Scheidung“ hat sich Karl Sewart über diese Institution so seine Gedanken gemacht: 99 Ehen sind auch für einen potenten Zeitgenossen zuviel des Guten. Hier liegt kein Leitfaden der Ehekunst vor, sondern der Autor bietet Beispiele für jene kleineren und größeren Misshelligkeiten, die das Zusammenleben von Mann und Frau manchmal so schwierig machen, er bietet Beispiele, die dieses Beieinander auf vergnügliche Weise zeigen. Man lese das Buch nach einem Ehestreit, anstelle eines Ehestreites, in Maßen und nicht wie einen Roman. Wer will, darf die letzte Seite zuerst aufschlagen und in der Lektüre seine Erfahrungen beitragen zu einem Thema, das hier kurzweilig und problemreich vorgeführt wird. Karl Sewart behandelt das so problemreiche Thema Ehe auf recht kurzweilige Art. All die vielen größeren und kleineren Möglichkeiten, die das Zusammenleben zwischen Mann und Frau manchmal arg trüben können, werden hier in komisch-ironischer Verkürzung vorgeführt. Der Autor zeichnet seine Ehe-Porträts mit knappen, kräftigen Strichen, ihre Wirkung beruht auf komischer Übertreibung und Vergröberung. Lachend könnte deshalb mancher Leser nachzudenken beginnen, wenn er sich in diesem oder jenem Porträt abgebildet finden sollte. Und hier folgt eines von 99 Ehe-Porträts – über die „Bücher-Ehe“: Ja, früher, da las er gar nicht gern ... Da las er kaum das, was der Lehrer verlangte, und das war alles schrecklich langweilig ... Doch da saß er eines Tages neben ihr im Zug ... Und vor lauter Langeweile fing er an, mit in dem Buch zu lesen, das sie auf ihrem Schoß liegen hatte. Und je länger er las, um so dichter rückte er an sie heran, um sich ja keine Silbe entgehen zu lassen, und um so mehr wunderte er sich darüber, wie er das Lesen hatte für so etwas Langweiliges halten können, und er verwünschte noch nachträglich seine ganze bisherige Jugend, weil man ihm da niemals ein so interessantes Buch zu lesen aufgegeben hatte ... Doch da klappte sie mit einem Mal das Buch zu und stieg aus! Und er, er wusste nicht, wie es weiterging, das Buch, er war ja nicht einmal bis zur Mitte gekommen, und auch der Anfang vorn, der fehlte ihm ja noch! Was sollte er machen, was blieb ihm anderes übrig, er stieg mit aus und ging mit nach Haus und las ihr Buch beim Schein ihres Nachttischlämpchens zu Ende ... Als er aber schließlich auf der letzten Seite angelangt war, da gestand sie ihm, dass sie noch viel, viel mehr Bücher zum Lesen habe als nur das eine ... Und wenn er jetzt mal verreisen muss, da gibt sie ihm immer genug zu lesen mit ...“ Und jetzt geht es noch einmal zurück in die Gegenwart und zugleich ins Mittelalter. Wie das möglichst ist? Schauen Sie einfach mal in das 2003 im Deutschen Taschenbuch Verlag veröffentlichte Buch „Gisbert der Klarsichtige“ von Maria Seidemann: Peggy und Paul staunen nicht schlecht, als Gisbert, der tollpatschige Knappe aus dem Mittelalter, bei ihnen auftaucht. Über ein geheimes Zeitloch in der alten Burgruine ist er in die Jetzt-Zeit gelangt und will bei den Geschwistern bleiben. Na ja, eigentlich würde er genauso gerne ein ruhmreicher Ritter in seiner eigenen Zeit werden - aber er sieht nun mal so schlecht! Für Peggy und Paul steht fest: Erst einmal braucht Gisbert eine Brille, so kann er vielleicht doch noch seine mittelalterlichen Abenteuer bestehen. Doch dann überredet Gisbert Paul, mit ihm in die gefährliche Ritterzeit zu kommen ... Ein neues spannendes Abenteuer mit Gisbert nach „Gisbert der Kurzsichtige“ Auf einmal ist Gisbert wieder da. Und dafür gibt es gut oder besser gesagt, schlechte Gründe: „In der Nacht hat es geregnet. Die Morgensonne scheint auf die feuchten Steinplatten in der Fußgängerzone, Dunstwölkchen schweben über den Pfützen. Gelbe, herzförmige Blätter taumeln von den Linden am Markt. „Der Sommer ist endgültig vorbei“, mault Peggy. Sie schlenkert ihre Schulmappe am Schulterriemen und stößt bei jedem zweiten Schritt missmutig mit dem Fuß gegen den Bordstein. Paul zuckt mit der Schulter. „Na und? In vier Wochen sind schon wieder Herbstferien.“ Er zieht seine Schwester beiseite, weil ihnen ein Gabelstapler entgegenkommt. Der Stapler hat einen Turm Tomatenkisten geladen und kurvt geschickt zwischen den Marktständen hindurch. Plötzlich ein dumpfer Knall! Holz splittert, eine Frau schreit auf. Erschrocken drehen sich Paul und Peggy um. Die ganze Ladung Tomaten ist auf die Steinplatten gekippt! Zerbrochene Kisten liegen zwischen roten, matschigen Haufen. Quer über den Markt flüchtet eine dünne Gestalt mit flatternden, schulterlangen Haaren. Die Gestalt trägt ein graues, knielanges Hemd, Ledersandalen und am Gürtel einen Dolch. Verblüfft reißen die Geschwister die Augen auf. „Das ist doch ...“, murmelt Paul und schiebt seine heruntergerutschte Brille hoch. „Gisbert!“, schreit Peggy und rennt der Gestalt nach, die in der Rathauspassage verschwunden ist. Sie holen Gisbert vor der Tiefgarage ein. Er scheint sich gar nicht zu wundern, dass er ihnen hier begegnet. „Ich habe euch so lange gesucht!“, sagt er vorwurfsvoll und außer Atem von seiner Flucht vor dem Tomatenfahrer. „Gestern habe ich den ganzen Tag vergebens vor eurer Schule gewartet.“ Peggy verdreht die Augen. „Gestern war doch Sonntag! Was machst du überhaupt hier? Wieso bist du nicht zu Hause in deiner Burg? Bist du etwa abgehauen? Durch das Zeitloch?“ Gisbert nickt nur. Schweigend stehen sie einander gegenüber - die Geschwister und der Knappe Gisbert aus dem Mittelalter. Ein unbehagliches Gefühl ergreift von Paul Besitz. Gisberts Auftauchen bringt bestimmt Ärger und einen gewaltigen Haufen Probleme - wie damals in den Sommerferien, als sie Gisbert zum ersten Mal getroffen haben. Als sie zufällig in der Burg das Zeitloch entdeckten und sich plötzlich im zwölften Jahrhundert wiederfanden. Als Gisbert schwer krank wurde und nur deshalb am Leben blieb, weil sie ihn durch das Zeitloch mit in die Gegenwart nahmen und ins Krankenhaus brachten. Paul bekommt jetzt noch Herzklopfen, wenn er an die Gefahren und Verwicklungen zurückdenkt, die sie bewältigen mussten, bis jeder wieder dort war, wo er hingehörte: Gisbert im Mittelalter und die Geschwister zu Hause, in der Gegenwart, in Sicherheit. „Ich wollte mir doch nur etwas zu essen kaufen“, sagt Gisbert. „Mich hungert so! Ich habe den Wagen nicht gesehen, und die Kisten mit den roten Früchten sind gleich umgekippt, als ich dagegen gestoßen bin.“ Paul kann sich gut vorstellen, wieso Gisbert den Gabelstapler nicht gesehen hat. Schließlich hat er selbst bei seinem unfreiwilligen Aufenthalt in der Burg miterlebt, wie kurzsichtig Gisbert ist. Er müsste eine Brille tragen, denkt Paul, genau wie ich. Nur leider waren die Brillen im zwölften Jahrhundert noch nicht erfunden. Peggy wühlt in ihrer Schulmappe und hält Gisbert die Frühstücksbox hin. „Du hast Glück, dass unsere Eltern verreist sind. Unsere große Schwester Katrin kümmert sich nicht drum, was wir als Schulfrühstück mitnehmen.“ In der Schachtel liegen Schokoriegel, eine Keksrolle und eine Banane. Gierig greift Gisbert zu. Paul fragt: „Warum hast du uns gesucht? Warum bist du aus dem Mittelalter abgehauen? Was willst du hier?“ „Burggraf Berko ist tot«, antwortet Gisbert kauend. „Er ist bei dem Kaiserturnier schwer verletzt worden und an seinen Wunden gestorben. Herrin Ingeborg trauert um ihn und kümmert sich überhaupt nicht mehr um mich. Auf der Burg geht alles drunter und drüber. Der Mönch Eilif hat die Macht an sich gerissen. Er benimmt sich, als wäre er der Herr. Schon wochenlang hat er mir keinen Unterricht mehr erteilt. Er schikaniert mich und ermuntert das Gesinde, mich zu verspotten.“ „So ein Mist!“, murmelt Peggy mitfühlend. „Aber dein Vater“, erinnert sich Paul. „Herzog Albin war doch unterwegs zu Berkos Burg! Haben eure Diener keine Angst, dass dein Vater sie bestraft?“ „Mein Vater ist nicht eingetroffen“, sagt Gisbert. „Wir haben keine Nachricht mehr von ihm bekommen. Wahrscheinlich ist er überfallen und getötet worden. Und Bruder Eilif denkt jetzt, er kann tun, wonach es ihn gelüstet.“ Auf der anderen Straßenseite bremst ein Fahrrad mit auffälligem Zebramuster. Der Fahrer ist ein Junge mit dunklen Locken. „He, Peggy, du hast ja heute die Ruhe weg!“, ruft er. „Willst du dich vor dem Mathetest drücken?“ „Verdammt“, zischt Peggy. „Hab ich total vergessen! Carlo, du musst mich mitnehmen!“ Sie rennt über die Straße, schwingt sich hinter Carlo auf den Gepäckträger und klammert sich an ihm fest. Schnaufend tritt Carlo in die Pedale. „Ich komme bestimmt auch zu spät“, sagt Paul hastig. „Ich muss ins Museum, heute ist der erste Tag von unserer Projektwoche!“ „Was immer dieses Wort bedeuten mag“, antwortet Gisbert, „ich komme mit dir.“ Entsetzt wehrt Paul ab. „Kommt nicht infrage!“ Gisbert schaut ihn traurig an. „Ich verstehe. Du schämst dich für mich, weil auch du mich für ungeschickt hältst. Dabei weißt du doch, dass ich kein Tölpel bin - ich sehe nur schlecht! Und ich dachte, du bist mein Freund ...“ Folgt zum Schluss noch eine Einladung zu zwei Büchern des Schriftstellers und Fotografen Wolf Spillner. Das 1987 erstmals im Kinderbuchverlag Berlin erschienene Fotobuch „Der Alte vom Hammer“ berichtet von einem kleinen Mädchen: Corinna wird von ihren Mitschülern aus der 3. Klasse beneidet. Ihr Vater ist Wildhüter und nimmt sie oft mit in die Berge. Die Sennen haben gesehen, dass der alte Steinbock lahmt. Wird es so schlimm sein, dass ihn der Wildhüter erschießen muss, weil er mit seiner Verletzung nicht überleben kann? Corinna darf den Vater bei der gefährlichen und anstrengenden Suche nach dem Alten begleiten und bangt um sein Leben. Wolf Spillner bereicherte diese schöne Geschichte mit wunderbaren Fotos. Und so beginnt diese Geschichte: Am Abend, als Corinna zu Bett gehen soll, klingelt das Telefon. „Wer mag so spät noch anläuten“, wundert sich die Mutter. „Das ist gewiss mein Chef!“ Vater Konrad, der Wildhüter, nimmt den Hörer ab. „Grüazi“, sagt er, „ja, ja!“ Er nickt und lauscht. Dann schüttelt er den Kopf, und die Falten in seinem braunen Gesicht werden tiefer. Er sieht bekümmert und traurig aus. „Ja“, sagt er noch einmal, „ich steig gleich morgen auf. Ich melde mich dann. Gute Nacht auch!“ Er legt den Hörer zurück. Es ist still in dem alten Haus zwischen den Bergen, und die Mutter und Corinna sehen den Vater fragend an. „Morgen muss ich zum Hammer hinauf“, sagt er. „Die Steinböcke sind fortgezogen. Die Sennen wollen gesehen haben, dass der Alte lahm geht. Sicher gab es einen Steinschlag.“ „Zu den Steinböcken?“ Corinnas Augen leuchten. „Nimmst du mich wieder mit?“ Der Vater schüttelt den Kopf. „Morgen nicht. Ist zu schwer für dich. Das wird kein Spaziergang. Und vielleicht muss ich den Alten sogar schießen!“ „Nein, nur das nicht! Nimm mich mit, ich kann doch gut klettern!“ „Zu zweit seht ihr mehr“, steht die Mutter ihr bei. „Na gut“, sagt der Vater endlich und geht noch mal aus dem Haus. Am Morgen ist es kühl, aber ein blauer Sommerhimmel spannt sich über das Tal. Die Berge haben strahlende Kappen aus Schnee und Eis. Das Eis auf den Gipfeln ist hart und schwer. Es schiebt sich in dicken Gletscherzungen herab. Seit vielen Tausend Jahren schon. Sonne und Regen lecken an den Gletscherenden, und das Eis stöhnt und ächzt. Es spaltet in tiefe Risse auf, aus denen das Schmelzwasser tropft. Die Tropfen sammeln sich zu Bächen, die Bäche vereinen sich, reißen die Steine mit sich und zerreiben die Steine zu Grus. So schneidet das Wasser kleine und große Täler in die Berge. „Das Wetter ist gut“, sagt der Vater, „und es bleibt auch so!“ Er hat die Eisgipfel lange gemustert. Dann trägt er die Rucksäcke zum Auto, und er verstaut sein Gewehr. Die Mutter winkt ihnen nach, und schon rollen Corinna und Wildhüter Konrad auf der Asphaltstraße an den alten, hölzernen Viehställen vorüber, am Rotten entlang. Der Fluss rauscht und gurgelt laut. Sein Wasser springt unter einem Riesengletscher hervor, weit über ihrem Dorf Oberwald. Flussabwärts wird er Rhone genannt. Später fließt die Rhone durch das Nachbarland Frankreich, ehe sie breit und mächtig ins Mittelmeer mündet. In der Schule lernt man solche Sachen, zumal Corinna in der dritten Klasse ist. Jetzt aber sind große Sommerferien, und zu gerne begleitet sie den Vater zur Arbeit. Die großen Jungen beneiden Corinna. Wer hat denn einen Vater, der Wildhüter ist, zeigt, wo die scheuen Adler ihr Nest in der Felsenwand haben und wo die stärksten Gämsen ziehen. Und auch Steinböcke hat sie mit ihm gesehen. Was aber mag mit dem Alten geschehen sein? Er ist doch der beste und stärkste von allen. Corinna grübelt, während der Vater das Auto stumm durch das nächste Dorf steuert. Dort biegt die Straße zur Passhöhe ab, zum Übergang in das Land Italien. Die Straße windet sich zick und zack zwischen den Bergen hinauf. Corinna sieht einmal steile Wände vor sich und dann wieder das Tal, tief unten, mit den alten Holzhäusern. Sie drängen sich um den Kirchturm wie eine Hühnerschar. Oder wie eine Schafherde im Wind und werden immer kleiner, je weiter das Auto die Straße hinaufkriecht. Der erstmals 1979 ebenfalls im Kinderbuchverlag Berlin veröffentlichte Band „Der Bachstelzenorden“ enthält fünf Erzählungen: Gäbe es ihn, Hannes hätte ihn verdient: den Bachstelzenorden. Und nicht nur, weil er Stapellauf, Auszeichnung und Fernsehkamera davonlief, um ein Bachstelzennest zu retten. - Eines Tages hält Gustav seine Lok vorschriftswidrig an. Seltsam, denkt er, dass die Vögel nicht nach der Seite davonfliegen, sondern immer gegen die fahrende Lok prallen und sterben. Und er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen. Wolf Spillner hatte als Junge den großen Wunsch, einen Hund zu besitzen. Der erfüllte sich schließlich, doch was dann geschah, ist ihm auch heute noch Anlass, in seinen Geschichten von Menschen und Tieren zu erzählen, von keinen besonderen Menschen und keinen exotischen Tieren, sondern solchen, denen man überall begegnen kann, schaut man nur richtig hin. Ganz vorn im Buch steht die Erzählung „Falkengustav“: „Die E-Lok kommt erst hinter der Brücke zum Halt. Die Bremsen quietschen und pfeifen, und die Drähte über den Bügeln der Stromabnehmer schwingen und zittern. Gustav Magerbrot schiebt die Tür des Führerstandes auf, sieht nach links und nach rechts, klettert zögernd die eiserne Leiter der Lokomotive hinunter und springt auf das Schotterbett. Er starrt unentschlossen zur Brücke zurück. Er bereut schon, den Zug zum Halt gebracht zu haben. Aber er rennt doch los. Die Steine klirren und scheppern unter seinen Schuhen gegen die Schwellen. Der Zug ist lang - offene und geschlossene Güterwagen. Schwarz glänzende Kohle ist in die Waggons geschüttet, Frachtgut in Kisten gestapelt, und auf drei Spezialwagen funkeln übereinander rote und sandfarbene Skodalimousinen. Der Lokführer hastet stolpernd auf dem Nebengleis zur Brücke. Dass kein anderer Zug kommen kann, weiß er. Und niemand wird ihn hier oben sehen, denn die Straße liegt tief unter den mächtigen Bögen der Steinbrücke im Tal. Vor den letzten Waggons wird ihm die Luft knapp. Das Ende des Zuges steht noch auf der Brücke. Wo das Geländer beginnt, dort mag es passiert sein, bei der Birke. Gustav Magerbrot muss tief atmen, wischt die Stirn mit dem Taschentuch trocken und zieht sich die Hose hoch, die unter den Bauch gerutscht ist. Er ist klein und dick, und Hast ist ihm ein Gräuel. Er steigt die Böschung hinunter auf die Birke zu. Da stehen das Gras und die Nachtkerzen mit ihren blassen Blüten dicht und hoch, noch feucht vom Tau der Nacht. Er versinkt bis zum Gürtel darin. Hastig sucht er im nassen Grün. Es duftet scharf und streng - ganz fremd für ihn. Er ist mit der trockenen Wärme seiner Lok vertraut und dem leisen Hauch von Maschinenöl. In seinem Führerstand ist es immer peinlich sauber. Er ist sehr genau, und er hält den Fahrplan ein. Monat für Monat hängt sein Bild auf der Tafel der Besten vor dem Bahnhof. Was bin ich bloß für ein Narr, denkt Gustav Magerbrot. Der Gegenzug muss warten - das gibt Ärger! Aber ist er schon mal losgelaufen, will er jetzt auch weitersuchen. Hier an der Birke muss es doch gewesen sein. Er schiebt das Gras zur Seite und biegt die Zweige der niedrigen Büsche hoch. Da sieht er ihn. Er lebt noch! Seine Augen sind dunkel und rund wie glänzende Tollkirschen und voller Angst. Hastig greift Gustav Magerbrot zu, zieht aber die Hand sofort wieder zurück. Der Vogel da unter der Birke hat sich auf den Rücken geworfen. Er kickert mit gellender Stimme und schlägt mit gelben, dolchbewehrten Füßen nach seiner Hand. So ein Teufel, denkt Gustav Magerbrot, zieht die Jacke aus, wirft sie über den Vogel und klemmt sich den Wehrlosen unter den Arm. Er zappelt noch, als er mit ihm auf den Bahnkörper zurückkriecht. Doch er beruhigt sich und rührt sich nicht mehr, als der Lokführer den Zug entlang zu seiner Maschine hastet und pustend die Leiter zum Führerstand hochklettert. Gustav Magerbrot schiebt die Tür sorgfältig zu, kniet sich auf den Boden und nimmt die Jacke vorsichtig auseinander. Der Vogel sitzt zusammengekauert da. Ein Flügel hängt schräg zur Seite hinunter. Der Schnabel ist krumm und an seiner Wurzel gelb wie Kerzenwachs. Das Gefieder sieht wie Zimt aus. „Kann dich doch nicht verrecken lassen“, murmelt der Lokführer zur Entschuldigung. Er macht seine alte Aktentasche auf, nimmt die Thermosflasche heraus und greift dann den Vogel rasch und behutsam, ehe er sich wehren kann. Hier in der Lokomotive wirkt er viel kleiner und zierlicher als draußen unter den Büschen. Er ist nicht mal so groß wie eine Taube. In der Tasche hat er bequem Platz, und Luft bekommt er auch genug. Wurde Zeit, dass ich mich drum kümmere, denkt Gustav Magerbrot und setzt den Zug langsam in Bewegung. Er hat genau neuneinhalb Minuten auf der Strecke gestanden. Der Blick auf die Armbanduhr sagt es ihm. Die verlorene Zeit könnte er vielleicht wieder aufholen. Er kennt seine Strecke. Er weiß, wie er die Kurven angehen muss, versteht sich darauf, die Steigungen aus dem Schwung der Talfahrt so zu nehmen, dass die zweitausend Pferdestärken seiner E-Lok ausreichen, um die Geschwindigkeit auch am Berg noch zu halten. Ohnehin ist die Heimfahrt immer die leichtere Tour der Strecke. Die meisten Kehren zwischen den Bergen liegen hinter ihm, die beiden großen Brücken hat er passiert. Eine knappe Stunde noch, und er ist im Heimatbahnhof. Dann so schnell wie möglich nach Hause! Mit dem Vogel in der Tasche. Der hat sich wohl einen Flügel gebrochen. Ein Wunder, dass er am Leben geblieben ist. Wirklich ein Wunder!“ Und damit sind wir am Ende des heutigen Newsletters angelangt und sie haben Zeit, sich dem Wunder des Lesens zu widmen. Angebote dafür gibt es genug. Am besten, Sie nehmen sich ein, zwei oder auch drei Titel, setzen sich in eine ruhige Ecke und lesen los. Und ansonsten: Zu keinem ein Wort! Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3746 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. Firmenkontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr Godern Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de Pressekontakt: EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Gisela Pekrul Alte Dorfstr. 2 b 19065 Pinnow Deutschland 03860 505788 [email protected] http://www.edition-digital.de
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Brandenburg-Preußen für jedermann, allerlei Spuk und Sagenhaftes sowie ein Polizist vor der Tür – Sieben E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis
Hat es bei Ihnen schon mal gespukt? Wenn nicht, dann können Sie es jetzt ausprobieren. Denn in mindestens zwei der insgesamt sieben Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de acht Tage lang (Freitag, 21.04. 17 - Freitag, 28.04. 17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, spukt es. Zum Beispiel unterm Riesenrad, aber auch im Harz, der eine im wahrsten Sinne des Wortes sagen-hafte Gegend ist. Außerdem ist eine Einführung in die Geschichte Brandenburg-Preußens für jedermann zu haben sowie die Einladung zur Bekanntschaft mit Karl Stülpner, mit Umberto und mit dem King. Und nicht zuletzt wartet ein Polizist vor der Tür und Patrick ist etwas geschehen. Spannende Lektüre wie immer. Lesen Sie los! 1992 legte Hans Bentzien im Verlag Volk & Welt Berlin eine Geschichte Brandenburg-Preußens für jedermann vor – „Unterm roten und schwarzen Adler“: Unter dem roten Adler Brandenburgs und dem preußischen schwarzen wurde Geschichte gemacht: provinzielle, deutsche, europäische. Heute, da Brandenburg wieder ein deutsches Bundesland geworden ist, muss seine tausendjährige Vergangenheit neu und dringend befragt werden. Hans Bentzien hat die Tatsachen möglichst selbst sprechen lassen: Überschaubar wird die aufsteigende Linie von der Markgrafenschaft über das Kurfürstentum und Königreich bis hin zum Kaiserreich und der Weimarer Republik. Die wichtigsten Gestalten Brandenburg-Preußens gewinnen Profil: der Große Kurfürst, Friedrich II., Gneisenau, Hardenberg oder Bismarck. Dennoch wird nirgends unterstellt, die preußische Geschichte sei die selbstherrliche Leistung einzelner überragender Menschen. Vielmehr erzählt Bentzien von zumeist dramatischen Konflikten: Jahrhundertelang musste sich das Herrscherhaus mit dem Adel und dem Bürgertum arrangieren. Oft floss Blut, manchmal wurden glänzende politische Vergleiche geschlossen. Fast immer hatten die Bauern die Zeche zu zahlen. Zwar fanden sie unter den Reformern der Napoleonischen Zeit, in den Freiherren Hardenberg und Stein zumal, leidenschaftliche und wirkungsvolle Anwälte, aber der Gegensatz zwischen Arm und Reich blieb, ja er verschärfte sich noch durch die Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert. Als Land der europäischen Mitte, zudem ehrgeizig auf Erweiterung bedacht, musste Preußen immer wieder Kriege führen, fast schicksalhafte wie den Dreißigjährigen oder solche um Territorialgewinn wie unter Friedrich II. Schließlich wurde zweimal die Brandfackel über die Welt geschleudert: 1914 und 1939. Obwohl dieser Wahnsinn längst nicht mehr im Namen Preußens geschah, war nicht zuletzt sein Ende der Preis dafür. Werfen wir einen kurzen Blick in dieses Geschichtsbuch für jedermann und beginnen wir zur Einstimmung mit der Vorgeschichte: „Es kommt darauf an, wann man das Jahr Null Brandenburgs ansetzt. Das Land zwischen Oder und Elbe, Ostsee und Erzgebirge, im Osten des Reiches gelegen und daher eher nebensächlich von der Herrschenden behandelt, war als Ergebnis der neu gestaltenden Völkerwanderung in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitrechnung ein Land mit gemischter Bevölkerung, dominiert von slawischen Stämmen, hauptsächlich von den Hevellern und Lutizen. Sie beschäftigten sich mit Jagd und Fischerei, gelegentlich auch mit dem Anbau von Feldfrüchten. An Zahl der Einwohner gering, als Land ausgesprochen dünn besiedelt, galt es als ein Durchgangsland voller natürlicher Hindernisse, Sümpfe und Seen, das leicht zu verteidigen war. Slawen und Germanen, bereits zu Völkerschaften entwickelt, lebten nebeneinander, zumeist friedfertig, aber durchaus nicht immer, denn das Land hatte keinen starken Herrscher, der feste Grenzen gezogen hätte. So galt das Recht des Ansässigen, das, wie aus der Geschichte aller Völker bekannt ist, am meisten umstrittene Recht. Immer wieder wurden meist örtliche Auseinandersetzungen um das beste Land geführt, um den günstigsten Platz, den sichersten Weg. Allgemein war das Land kulturell wenig erschlossen, es wurde nur von einer bedeutenden Straße durchzogen. Sie reichte von Berlin nach Magdeburg, ging über den interessanten Platz auf der Mitte des Weges mit einer Furt über die Havel, über Brandenburg. Von Berlin aus begannen Straßen an die Odermündung (Stettin), nach Hinterpommern und Pomerellen, dem späteren Westpreußen, nach Posen und Warschau und schließlich nach Breslau. Allerdings verlief die wichtigste Ost-West-Straße von Schlesien aus über Leipzig und Dresden. Berlin wurde also der natürliche Mittelpunkt des Gebietes, was schließlich den Ausschlag für seine Rolle als Hauptstadt gab. Von ähnlicher Bedeutung zeigten sich die Wasserstraßen Oder und Elbe und ihre Querverbindungen Spree und Havel. Mit einem heutigen und daher nicht ganz zutreffenden Begriff könnte man das Gebiet der späteren Mark Brandenburg als natürlich gut erschließungsfähig bezeichnen. Staatlich gesehen waren die Dinge unklar, wie bei allen Ostgrenzen des Reiches. Vor tausend Jahren musste der deutsche König Heinrich I. (919 - 936) das Reich neu ordnen und „strukturieren“. Mit ihm regierte die Sachsen-Dynastie, unterstützt von den Franken. Zuerst fügte er aus der Erbmasse des sich auflösenden Westfranken Lothringen an Deutschland, dann schloss er mit den im Osten vordringenden Ungarn einen Waffenstillstand, den er dazu nutzte, die Ostgrenze militärisch zu befestigen und eine neue Waffe, den Panzer der damaligen Zeit, das gepanzerte Reiterheer, aufzubauen. Mit ihm errang er an der Unstrut einen Sieg über die erneut nach Sachsen und Thüringen vordringenden Ungarn. Beteiligt waren alle deutschen Stämme, wodurch das Königtum gestärkt und in die Lage versetzt wurde, die Angriffe aus dem Osten 955 abzuwehren, endgültig durch die Schlacht auf dem Lechfeld unter der Leitung Ottos I.“ Ebenfalls Anfang der neunziger Jahre veröffentlichte Günter Saalmann zwei Bücher über zwei sehr unterschiedliche jugendliche Helden, die jedoch eines gemeinsam haben – sie haben eine ungewöhnliche und unverwechselbare Biographie, die in beiden Fällen nicht wenig mit der Wende zu tun hat. So erschien erstmals 1994 beim Erika Klopp Verlag GmbH die Druckausgabe „Fernes Land Pa-isch“: Und dies ist eigentlich der dritte Band zu „Umberto“. Den zweiten hat der Autor aber weggelassen: „Im Kinderheim“, die Wendezeit, welche die junge Leserschaft wohl selten noch interessiert. In „Pa-isch“ ist Umberto schon ein handfester Bursche - mit dem Gemüt eines Vierzehnjährigen. Die neue Einheit Deutschlands macht's möglich: Er zieht mit seiner Mutter gen Westen - nun steht ihm ja die Welt offen. Aber auch unter den neuen Bedingungen kriegt er sein Leben nicht in den Griff - oder erst recht nicht. Und er beschließt erneut die Flucht - diesmal soll es aber wirklich nach Afrika gehen. Und er nimmt wiederum seine kleine Schwester mit. Auf einem geklauten Motorrad. Wo sie schließlich landen? Dieses Buch entstand parallel zu dem Drehbuch für den Kinofilm „Fernes Land Pa-isch“. Das 1. Kapitel macht uns mit Umbertos derzeitigem Aufenthalt bekannt, erklärt, woher er kommt und wohin er soll. Und seine Vorliebe für ein bestimmtes Gemüse verschafft ihm eine böse Stunde in schwindelnder Höhe, aber ein Signalfeuer erlöst ihn: „Medock, Umberto, zum Heimleiter! Die Stimme der alten Sprechanlage schnarrt durch das langgestreckte Gewölbe des Schlosses. Der Fuß im dreckigen Lederschuh zögert eine Sekunde. „Mal wieder kein Wort zu verstehen“", murmelt Umberto und setzt sich in gemächlichen Trab. Vorüber an der Tür mit der Aufschrift Heimleitung. Am Ende des Ganges überzeugt er sich, dass ihn niemand beobachtet, und verschwindet im Schuhputzraum. Dieser war früher einmal der Vorraum zu einem Scheinbalkon an der Ostseite des alten Gemäuers. Das Geländer davor ist weggerostet, der „Balkon“ selbst kaum mehr als ein verwitterter Porphyrsims. Die Tür, die an die frische Luft führt, ist aus Sicherheitsgründen zugeschraubt und von außen zusätzlich mit Brettern vernagelt. Umberto reckt den Arm hinauf in ein Lattenregal: Hinter den Lieferkartons mit Schuhcreme ist eine Wandhöhlung. Die Hand ertastet einen Stoffbeutel, seine „Mauke“", seine ganz privaten Schätze. Er zieht den Beutel auf und kontrolliert den Inhalt: Ein Kinderpassbild von Aleksandra Krautwein, eine Packung Zigaretten, Streichhölzer, ein Päckchen Präser, falls es hier im Heim mit der stämmigen Evi mal „dazu“ kommt, ein Taschenmesser mit sieben Werkzeugen, eine halbe Knoblauchknolle. Von dieser polkt er die papierweißen Schalen ab, schmeißt sich die Halbmonde in den Mund und kaut mit Todesverachtung. Ab einer bestimmten Menge, das weiß er aus Erfahrung, kommt ihn das Kotzen an beim Kauen, sofern er auch nur im geringsten die Miene verzieht. Also heißt es: eiserne Maske! Immer dran denken: Die dicke Evi frisst Zwiebeln und hält das schon seit Jahren durch. Nicht ohne Wohlwollen betrachtet er in der vernagelten Türscheibe seine ins Goldene schimmernden Haare, die nicht zu hohe Stirn, die breite Nasenwurzel, die Augen mit den etwas geknifften unteren Lidern. Irgendein Wichser vom Tiefbau hat mal gesagt, diesem Asphaltschnuffi Medock sieht man das Heim an. Umberto hat ihm bei Gelegenheit eins aufs Auge gedrückt, da war Ruhe. „Medock, Umberto, bitte zum Heimleiter!“, hallt draußen die Lautsprecherstimme, jetzt betont langsam und deutlich. „Mach 'n Kopp zu“, knurrt der Gerufene. Obwohl erst Oktober ist, kracht die Heizung. Die Hitze verstärkt den Geruch nach Schweißfüßen und Schuhcreme. (Und vermutlich auch nach Knoblauch.) Er fragt sich manchmal, ob er nach Walda zurück möchte. Im ersten Heimjahr ist er zweimal über den Zaun gestiegen. Die wenigen Stunden zu Hause haben aber nichts gebracht. Seine sogenannte Mutter Ilona und ihr sogenannter Verlobter Tscheschiak waren beide Male randvoll. Beim ersten Besuch hat er die beiden angeschrien wegen dem Chaos im Wohnzimmer. Beim zweiten Mal hatten sie die Tür zugenagelt. Umberto ist fluchtartig wieder abgehauen, eine Etage höher, zu seiner Schwester Karla. Karla heißt jetzt Karla Backofen und wohnt mit Mann und Kind in der Mansardenwohnung der verstorbenen Großmutter. Aber alles hatte sich verändert seit Großmutters Tod, nur das Vogelhäuschen am Fenster hat noch an sie erinnert. Karla fand kaum Zeit für ihn. Und zum Bleiben war kein Platz. Da hat er noch bei seiner ehemaligen Lehrerin geläutet. Und als er vor der Klingel stand, hat sein Herz angefangen, schwer zu schlagen. Da wusste er, weshalb er in Wirklichkeit über den Zaun gestiegen war. Der Gedanke, dass gleich vielleicht nicht die Lehrerin, sondern ihre Tochter vor ihm stehen könnte, die magere, stets etwas blasse Aleksandra aus seiner Erinnerung hat ihm das ruhige Atmen schwergemacht. Aber bei Krautweins war niemand daheim, er hat im Park übernachtet.“ Nur drei Jahre später bekommen wir es mit einem King zu tun: 1997 erschien im Ravensburger Druckverlag (Ravensburger Junge Reihe) „Ich bin der King“: Rex, hochbegabter Spross eines nun arbeitslosen DDR-Ingenieurs und einer Spitzensportlerin, gerät in den Strudel der Nach-Wendezeit. Er nutzt seine überlegene Intelligenz dazu, für die zu erwartende räuberische Gesellschaft zu „trainieren“, indem er eine Gruppe jüngerer „Loser“ um sich schart und ihr Räuberhauptmann wird. Was harmlos beginnt wird, bald lebensgefährlich. Das Ganze erzählt in einer Rahmenhandlung, die vom Leser nicht so schnell durchschaut wird. Im Moment aber geht es dem King gar nicht so gut: „Täglich zwei Mahlzeiten durch den Türspalt, früh Scheiblettenkäse, Schwarzbrot, Kiwi, Trinkjoghurt. Abends warm. Am Anfang Hungerstreik. Jetzt esse ich. Habe mich im Griff, spare Kräfte, teile den Tag ein. Kurze Schlafphasen, ein bisschen Fitness, Liegestütze, Kniebeugen. Sport und Wandern. Sechs Schritt hin. Die Eisentür. Kehrtwende, rechte Schuhsohle, sechs Schritt zurück, in Augenhöhe die vergitterte Luke, Kehrtwende, linke Sohle. Eisentür, Luke. Tür, Luke. Was habe ich falsch gemacht? Wo hat meine Logik versagt? Durch die blinde Scheibe Blick auf verstaubte Klinker, auf Handlänge nah. Im Lauf des Tages wandernde Sonnenquadrate. Der Lichtschacht oben, zu ebener Erde, mit einem Rost abgedeckt. Problem Nummer eins: die Gitterstäbe. Wäre das gelöst, käme Nummer zwei - der Schacht. Jemand mit schmalen Schultern, ein Schlangenmensch, könnte sich durchwinden. Ich nicht. Aussichtslos. Ich muss hier raus! Türwärts nur auf die schwarzen Fliesen treten. Kehrtwende. Lichtwärts nur auf die weißen. Weiße Karos, schwarze Karos. Wenn ich draußen bin, zerschlage ich alle Schachbretter der Welt. Das Bett, der Wasserhahn, die Toilette. Ich bin Rex. Rex, Latein: der König. Ich bin Kamentz. Soll slawisch sein: Stein. Rex Kamentz: König Stein. Königsstein. Festung Königsstein, ha ha, dieses Loch. Ich muss hier raus. Seit der Nacht zum Dienstag zweiundsiebzig Stunden Einzelhaft. Am Anfang Ineinanderfließen von Ohnmacht und Halbschlaf. Das Schädeldröhnen wie ein endloser, tiefer Gong. Die Haare um die Kopfwunde herum geschoren, als Kompresse eine Zellstoffeinlage mit der berühmten Saugkraft, mit Heftpflaster kreuzweise festgeklebt. Das Pflaster löst sich bereits, ich kratze vom Rand her den Schorf aus den Stoppeln. Dienstag in Abständen meine Wutanfälle, Fäuste gegen die Tür. Pauken und Brüllen, Pauken und Brüllen. Danach totale Erschöpfung, nervöser Schlaf, einmal gestört von einem Schurren und Schieben, Eisen auf Stein. Und ein ekelhafter Traum: Ich reiße Beate den Pulli hoch. Ich dringe in wütender Lust in sie ein, ich bin ein Rammbock, bei jedem Stoß schiebt sie ihre Zunge ein Stück weiter aus ihrem Mund, salamifarben, salamilang. Auf dem Bettrand sitzen. Pläne für den Ausbruch. Die bisherigen Versuche - zwei Pleiten. Die erste am Mittwochabend. Ein Streifen, von der verschlissenen Wolldecke gerissen, zum Strick gedreht, zum Fesseln der Geisel, unterm Kopfkeil griffbereit. Als Schritte auf der Treppe hörbar werden: Fäuste gegen die Schläfen, Würgelaute, Stirn gegen die Mauer, ein Anfall von Durchdrehen, von Raserei, von Selbstzerfleischung. Aber sie fallen nicht drauf rein, schieben nur das Essen durch den Türspalt. Gestern Abend, Donnerstag, zweiter Versuch, diesmal mit Power. Ich stehe sprungbereit, lausche. Schlüsselklappern, ich werfe meine ganzen fünfundsiebzig Kilo gegen die Tür. Sie fliegt auf, dong, dröhnt zurück. Ich gebe nicht auf, stoße, schiebe. Umsonst. Das Gegengewicht ist massiv. Der Türspalt reicht maximal zum Durchschieben der Mahlzeiten. Sie waren vorbereitet, draußen steht ein Klotz, der nicht von schlechten Eltern ist. Das war’s in der Richtung. Ausbruchsversuch Nummer drei steht noch bevor. Diesmal muss es klappen. Wenn ich am Leben bleibe - Rache! Ich ziehe das Ding durch, verlasst euch drauf! Das Bettgestell. Eisen, Uralt-Sperrmüll. Am Kopfteil ist eine Schweißnaht gerissen, ich packe die Querstrebe und kann sie zur Seite biegen. In der Gegenrichtung sperrt sie sich, aber ich nehme beide Hände. Drei, vier Versuche, sie bricht heraus. Die Bruchstelle scharfkantig, das Werkzeug liegt nicht schlecht in der Faust. Draußen noch Dämmerung, hier unten schon Dunkelheit. Unterhalb der Fensterluke ertaste ich eine Vertiefung in einer Fuge. Mein Ansatzpunkt, schon beim ersten Kratzen rieselt Mörtel. Morgen früh, bei Tagesanbruch, kann ich meine Decke in die Luke hängen, wie zum Auslüften, das Loch tarnen. Sie könnten unverhofft den Kopf durch den Türspalt stecken. Kratzen. In den Verschnaufpausen manchmal ein Rascheln. Vielleicht eine Ratte. Hallo, Ratte! Ist jetzt schon Freitag? Bei der monotonen Arbeit kein Zeitgefühl mehr, noch dazu im Finstern. Die Swatch hat was abgekriegt, die Zifferblattbeleuchtung streikt. Diese Nacht noch muss der erste Ziegel aus der Wand. Hab ich den, komme ich besser an den nächsten. Lachhaft, ein Mann, der ins Sprengstoffgeschäft einsteigen will, kratzt sich mit ‘nem Stück Eisen durch die Mauer. Graf von Monte Christo. Durch die Luke fällt kühle Nachtluft.“ Erstmals 2004 war im Deutschen Taschenbuchverlag München die Druckausgabe von „Pia und die Graffiti-Geister“ von Maria Seidemann zu haben: Pia versteht die Welt nicht mehr. Ihr Bruder Patrick liegt mit gebrochenem Bein im Krankenhaus und schlimmer noch: Patrick soll eine echte Straftat begangen haben! Das behauptet jedenfalls Wachtmeister Kröber. Angeblich hat Patrick die Friedhofsmauer mit Graffiti-Geistern verunziert. Als Pia der Sache nachgehen will, geschieht das Unglaubliche: Die Graffiti-Geister werden lebendig und steigen munter von der Mauer herab. Aber fangen wir der Reihe nach. Und fangen wir mit einem Polizisten an – Wachtmeister Kröber -, der auf einmal vor der Tür steht: „Am Nachmittag brachten wir Mama zum Bahnhof. Als der Zug abgefahren war, sagte Papa: „Das wird bestimmt eine furchtbare Woche!“ Patrick meinte: „Wieso? Wir haben doch alles besprochen. Ich mache jeden Tag ein bisschen sauber. Pia kocht. Und du gehst in deine Schule wie immer! Alles total normal!“ Papa seufzte und schob uns ins Auto. Er setzte Patrick bei seinem Sportverein ab und mich vor unserer Wohnung. Dann musste er in die Schule zur Elternversammlung. Als er gegen neun Uhr zurückkam, war Patrick noch nicht zu Hause. Papa sagte mit seiner strengsten Lehrerstimme, er hätte es ja gleich gewusst, dass hier alles aus dem Ruder laufen würde, und er wollte auf der Stelle Mama anrufen. „Stopp!“, rief ich. „Mamas Lehrgang fängt morgen früh an. Wenn du sie jetzt anrufst, dann setzt sie sich in den nächsten Zug und lässt den Lehrgang sausen!“ „Du hast Recht, Pia!“, sagte Papa. „Und ohne den Lehrgang bekommt sie die neue Arbeitsstelle nicht.“ Da klingelte es. Vor unserer Wohnungstür stand ein Polizist. Papa ahnte sofort, dass der Mann nicht nur nach der Uhrzeit fragen wollte. „Patrick? ... Was ist passiert?!“ „Polizeiobermeister Kröber!“, sagte der Polizist und tippte an seine Mütze. „Sind Sie der Vater von Patrick Petersen? Ihr Sohn wurde bei einer Straftat ertappt.“ „Was - was?“, stammelte Papa. „Was denn für eine Straftat??“ „Ihr Sohn hat die frisch restaurierte Mauer des Alten Friedhofs mit Sprühfarbe verunziert.“ „Wo ist mein Sohn?“, fragte Papa. „Sie können doch ein Kind nicht die ganze Nacht auf der Wache behalten - wegen einer Farbschmiererei?!“ „»Ihr Sohn ist im Krankenhaus!“, sagte Kröber. „Das sagen Sie mir erst jetzt?“ Papa musste sich hinsetzen. „Was haben Sie mit Patrick gemacht?“ „Ich habe gar nichts mit ihm gemacht! Ihr Sohn hat sich der Festnahme widersetzt. Bei seinem Fluchtversuch ist er unglücklich gestürzt.“ „Was heißt denn das: Er hat sich widersetzt?“, hakte ich nach. „Ja - also, es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen.“ „Sie haben meinen Sohn geschlagen?“, rief Papa empört. „Na hören Sie mal!“ Kröber war beleidigt. „Ich schlage nicht mal meine eigenen Kinder! Ihr Sohn wollte weglaufen und ist auf der Treppe am Kirchberg gestolpert. Er hat sich ein Bein gebrochen!“ Papa hatte schon den Hörer in der Hand, um das Krankenhaus anzurufen. Ich dachte: Irgendwas stimmt hier nicht. Patrick hat noch nie Farbdosen gehabt. Und das Graffiti hatte ich doch schon in der vorigen Woche an der Friedhofsmauer gesehen. Dieser Kröber log wie gedruckt! Kröber sagte: „Also, Sie wissen ja jetzt Bescheid. Haben Sie noch Fragen zur Straftat Ihres Sohnes?“ Papa sprach mit der Unfallstation und antwortete ihm nicht. Ich schob Kröber zur Tür hinaus.“ Eine ganz andere Geschichte erzählt Karl Sewart in seinem erstmals 1994 im Chemnitzer Verlag unter dem Titel „Mich schießt keiner tot“ erschienenen Buch über Karl Stülpner. Es ist die Geschichte dieses erzgebirgischen Wildschützen. Dem E-Book liegt die 3. erweiterte Auflage von 2004 zugrunde: Kaum eine andere historische Gestalt ist im Bewusstsein der Menschen des Erzgebirges so lebendig geblieben wie der Wildschütz Karl Stülpner. Seine Lebensspuren führen durch halb Europa, aber mit vielen abenteuerlichen Taten in seiner Heimatlandschaft hat er die Zuneigung seiner Zeitgenossen und nachwachsender Generationen gewonnen. Karl Sewart erzählt in seinem Buch die Biografie, und er weitet zugleich Tatsachen und Legenden dieses Lebens. Ein Volksbuch für alle Freunde erzgebirgischer Geschichte. Das spannende, sehr gut recherchierte Buch hat seit seinem ersten Erscheinen 1994 viele interessierte Leser in ganz Deutschland gefunden und dem Autor bisher zahlreiche Lesungen und interessante Bekanntschaften und Gespräche eingebracht. Der Stülpner-Karl ist schon ein Phänomen. Dieser Analphabet zwingt nach wie vor alle möglichen hochgelehrten Leute dazu, sich mit ihm zu befassen. Wissenschaftler wie die Historikerin Britta Günther M.A., wie Kunst-Prof. Dr. Roland Unger oder PD Dr. Jähne haben die Stülpner-Forschung und damit auch das Gesamt-Geschichtsbild inzwischen um weitere interessante Erkenntnisse bereichert. So wissen wir z. B. nun endlich, wer der Stülpner-Biograf Schönberg eigentlich war und wie zu Stülpners Zeiten eine Staroperation verlief. Weiterhin erfreut sich auch Karl Sewarts Stülpner-Buch der Gunst des Lesers, bringt es ihm doch sowohl die historische Biografie als auch die legendäre Gestalt des erzgebirgischen Wildschützen nahe und regt es ihn dazu an, den Spuren Stülpners in dessen Heimat nachzugehen. Viele Touristen besuchen heute die Erlebnisburg Scharfenstein, nicht zuletzt darum, weil sie von Stülpner einst belagert wurde, weil er hier geboren wurde und aufgewachsen ist und heute seiner mit einer repräsentativen Ausstellung gedacht wird. Aber nähern wir uns jetzt Karl Stülpner selber an. Er soll sich irgendwo versteckt halten: „Der Nachtwächter hat die zwölfte Stunde ausgerufen. In den Hütten des kleinen Fleckens, die sich ängstlich an den Burgberg ducken, ist das letzte Licht längst ausgegangen. Die Leute ruhen von ihrem schweren Tagwerk aus. Es ist still geworden. Nur das Mühlenwehr rauscht dumpf vom Fluss herauf, das Radwerk klappert leise. In immer dichteren Schwaden steigt der Nebel auf. Fast drohend ragt die Silhouette der Burg in den düsteren Herbsthimmel. Nur ab und zu dringt ein Mondstrahl durch die schwere Wolkendecke. Einmal ist es, als ob oben auf der Burgmauer die Gestalt einer weiß verschleierten Frau erscheine ... Da schimmert, blitzt es metallen auf. Gedämpfte Schritte sind zu hören. Der verstohlene Strahl einer Blendlaterne. Zaumzeug klirrt leise, Hufe scharren. Mit gedämpfter Stimme werden kurze Befehle erteilt. Ein Gewehrlauf schimmert im Mondlicht auf. Im Schutz der Dunkelheit sind Männer in den Ort eingedrungen. Zwei, drei Dutzend mögen es sein. Einige sind beritten, die meisten bewaffnet. Kriegsmäßig besetzen sie die Ausgänge des Dorfes. Die Mehrzahl zieht sich an der überdachten Holzbrücke am unteren Ende zusammen. Das Haus an der Brücke wird dicht umstellt. „Im Namen des Gesetzes! Öffnet die Tür!“ Laut, schrill schallen die Worte gegen das Haus, hallen vom Burgberg wider. Den Worten folgen Schläge mit Fäusten und Gewehrkolben gegen Tür und Fensterläden. Man ist dabei, die Tür aufzubrechen. Endlich öffnet die Tür sich von innen. Ein älterer Mann, abgearbeitet, aus dem Schlaf gerissen, fragt, was denn sei. Er wird von den Laternen geblendet. Unsanft wird er beiseite gestoßen. Soldaten dringen ins Haus ein, stürmen durch den Flur, die Treppe hinauf, reißen Türen auf, durchsuchen die Zimmer. Vom Keller bis zum Spitzboden durchstöbern sie alle Räume, Ecken und Winkel. „Schießt in die Feueresse!“, befiehlt ein zivil gekleideter untersetzter Mann. Schüsse krachen, die Mauern erbeben, der Putz rieselt herab, Ruß dringt in den Raum. Indessen schnappen Soldaten sich Würste und Schinken aus dem Rauchfang, greifen frische Männerwäsche aus der Truhe, lassen alles unter ihren Uniformröcken verschwinden. Eine Frau schreit. „Krieg!“, schreit sie. „Es ist Krieg!“ Der ältere Mann, der die Tür öffnete, sagt: „Es ist schlimmer als Krieg, Frau. Es sind die eigenen Leute, die sich wie die schlimmsten Feinde aufführen ...“ Den Musketieren in der weißen Montur mit gelben Armaufschlägen und roter Halsbinde sind weitere Zivilisten gefolgt. Sie geben sich als Gerichtsbeamte zu erkennen. Auch zwei Forstbeamte treten bewaffnet herein. Der Gerichtshalter fährt den Hauswirt an: „Wo steckt er, Sein Hausgenosse! Wo steckt schockschwerenot dieser Stülpner!“ Der alte Mann zuckt mit den Schultern. Er wisse nicht, wo dieser sich aufhalte. Er sei Maurer von Beruf und arbeite den ganzen Tag. Er sei spät nach Hause gekommen am vergangenen Abend und habe Stülpner nicht zu sehen bekommen, sei gleich zu Bett gegangen. „Lüge Er nicht!“, ruft der Büttel, tritt hinter dem Gerichtshalter hervor und bedroht den Hauswirt mit dem spanischen Rohr. „Er steckt doch mit dem Delinquenten unter einer Decke, beherbergt ihn unerlaubterweise. Er wird verhaftet, wenn Er uns nicht verrät, wo dieser Schurke sich aufhält! Er leistet einem gesuchten Verbrecher Vorschub! Er ist sein Komplize!“ Aber der Gesuchte scheint tatsächlich nicht da zu sein – jedenfalls nicht dort, wo er vermutet wurde. Merkwürdig. Sehr merkwürdig geht es auch in dem erstmals 1984 im Kinderbuchverlag Berlin erschienenen „Spuk unterm Riesenrad“ von C.U. Wiesner zu: Auf einem Staubsauger fliegen sie durch die Lüfte vom Alexanderplatz zur Burg Falkenstein im Harz: Hexe Emma, Riese Otto und der böse Zwerg Rumpi, lebendig gewordene Figuren aus einer Berliner Geisterbahn. Die drei Enkelkinder des Schaustellers, Umbo, Tammi und Keks, machen sich auf zu einer atemberaubenden Verfolgungsjagd. Die siebenteilige Abenteuerserie von C. U. Wiesner ( Regie: Günter Meyer), erstmalig im Fernsehen der DDR am 1. Januar 1979 ausgestrahlt, hat es längst zu einem Kultstatus gebracht. Sie wurde zu einem zweiteiligen überaus erfolgreichen Kinofilm, erreichte als Kinderbuch in den achtziger Jahren eine Auflage von über 100.000 Exemplaren und wurde von zahlreichen Fernsehsendern auf vier Kontinenten übernommen ( u. a. Spanien, China, Kanada, Ägypten). Im Sommer 2012 eroberten Hexe, Riese, Rumpelstilzchen auf einen Streich gleich drei Theaterbühnen in Rostock, Berlin und Dresden. Bei Google findet man inzwischen fast 63.000 Einträge. Nach dem „Spuk unterm Riesenrad“ ging es fröhlich und gruselig weiter: „Spuk im Hochhaus“ (1982), „Spuk von draußen“ (1987) und „Spuk aus der Gruft“ (1997). EDITION digital konnte auf die Originalfassung des Kinderbuchverlages von 1984 zurückgreifen. Aber bevor es so richtig spukt, fängt die ganze Spukerei erst mal ziemlich normal an und wir lernen die Familie Kröger kennen, die der Autor immer dann besucht, wenn … „Wenn es mir in Berlin zu laut und unruhig wird, schließe ich die Wohnung hinter mir ab, lade Papier und Schreibmaschine in den Trabant und fahre ein paar Tage nach Bärenklau. Das ist ein kleines Städtchen etwa nördlich von Berlin. Wer hier nur so durchfährt, könnte es für ein großes Dorf halten. Aber es gibt fünf Straßen, vier Betriebe, drei Gaststätten, zwei Schuhläden und ein Rathaus mit einem richtigen Bürgermeister, und darum ist Bärenklau eben doch eine Stadt und kein Dorf. Dort, wo die letzten Häuser stehen und schon bald der Wald anfängt, döst eine grüngestrichene Laube vor sich hin. Ich habe sie von meinem Onkel Felix geerbt, und mein Nachbar sagt immer, da müsste wenigstens mal neue Dachpappe draufgenagelt werden, und die Bretter seien auch schon ziemlich wurmstichig. Mit meinen Nachbarsleuten, den Krögers, komme ich gut aus. Wenn ich nicht da bin, passt Herr Kröger auf meine Laube auf, und wenn ich da bin, bringt mir Frau Kröger Kartoffelpuffer, selbst gebackenen Kuchen oder frisch gelegte Eier von ihren Hühnern. Am Anfang sagte ich einmal, das sei mir peinlich. Aber da lachte sie nur und meinte: „Bei so 'ner großen Familie fällt immer was ab.“ Krögers gelten als kinderreich. Darum durften sie sich auch das schmucke Einfamilienhaus bauen, auf das sie nun mit Recht sehr stolz sind. Herr Kröger arbeitet im Bärenklauer Margarinewerk. Dort muss er jeden Tag kosten, ob die Margarine, die in die halbe Republik verschickt wird, auch wirklich gut schmeckt. Obwohl er das schon seit vielen Jahren macht, sieht er noch schlanker und sportlicher aus als ich. Daran merkt man, dass Margarine wirklich sehr gesund ist, besonders die aus Bärenklau. Frau Kröger sitzt den halben Tag an der Kaufhallenkasse. Den anderen halben Tag braucht sie schon, um sich um ihre fünf Kinder zu kümmern. Weil die Kaufhalle „Kosmos“ heißt, hängt über dem Gemüsestand ein großes Bild von dem Fliegerkosmonauten Sigmund Jahn. Daneben hängt ein etwas kleineres. Aber die Dame auf dem Foto ist nicht die Frau Jähn, sondern die Frau Kröger, und darunter steht, dass sie die beste Kassiererin und obendrein dreifache Aktivistin ist. Jetzt brauche ich nur noch Krögers Kinder vorzustellen. Die beiden kleinen heißen Ruggiero und Nicole, aber die gehen noch in den Kindergarten und zählen für unsere Geschichte nicht. Die drei, auf die es hier ankommt, sind zwölf, elf und zehn Jahre alt und werden in ganz Bärenklau nur Umbo, Tammi und Keks gerufen, sogar in der Schule. Ihre richtigen Namen wissen sie selber kaum noch. Wenn man schon amtlich Jan Franz, Jörg Fridolin und Jolanda Franziska heißen muss, ist man froh über jeden einigermaßen brauchbaren Spitznamen.“ Auf andere Weise spukt es auch im Harz, wie Bernd Wolff in seinem erstmals 1997 bei Jüttners Verlagsbuchhandlung Wernigerode erschienenen „Sagenspiegel des Harzes“ zu berichten weiß: Teufelsmauer, Roßtrappe, Hübichenstein, Brocken - so vielfältig wie die Landschaft des Harzgebirges sind seine Sagen, in denen sich Denken und Hoffen, Freude und Schrecken, Leid und Zuversicht widerspiegeln. Dieses Sagenbuch, in dem Bernd Wolff die alten Begebenheiten auf eigene poetische Weise und mit der nötigen Portion hintergründigen Humors nacherzählt, hilft dem Leser über das Vergnügen am Text hinaus, die mündlichen Überlieferungen in ihrem historischen Zusammenhang zu begreifen. Dazu werden auch mitunter schriftliche Quellen herangezogen. Deshalb sind die Sagen nicht wie üblich nach Ortschaften, sondern nach Themenkreisen geordnet. Hüttenkobolde und Zwerge, Götter und Riesen, Hexen und der in diesen Bergen besonders präsente Teufel, Bergleute, Schatzsucher, Reiche, Arme und Geprellte sowie gruselige Nachtgeister bevölkern die Seiten. Jedes der übergeordneten Kapitel wird eingeleitet durch ein Zitat aus Goethes „Faust“, das zeigt, wie dieses Nationalepos unserem Gebirge besonders verbunden ist. So stellt sich unschwer die Verbindung von Volksdichtung und klassischer deutscher Literatur her, die beide aus einem Born geschöpft sind. Und hier eine kleine, sagenhafte Kostprobe: „Wie Wasser in den Vertiefungen der Wege, so sammelten sich im Harz die Sagen vor allem nach überstandener Unbill - fast hätte man Schaden genommen, woran lag es? Fast wäre einem das Gold über den Weg gerollt - warum nur passierte es nicht, wo man Furcht und Beschwörungen auf sich genommen hatte? Den Nachbarn hatte es getroffen - womit hat er sein Glück verwirkt? Im Harz war das Leben besonders hart, lagen die Siedlungen weitauseinander, Wälder voller Geheimnisse, in denen noch der Königsbann galt. Besonders verwegene Kerle hausten im Schutz der Schluchten: Vogelfreie, denen kein Gesetz heilig war, Räuber und Wegelagerer, Wilddiebe auf der Fährte des königlichen Hirsches, Finkenhanse mit Netz und Leimrute, Erzscharrer mit Schlegel und Kratze, Heiden, die dem alten Glauben anhingen. Wehe dem, der ohne sicheres Geleit die alten Pfade zog, die Heerstraßen, die Königswege durch Wildnis und Furten! Wehe, wenn er an eine Räuberburg kam statt zur einsamen Klause und Zelle, wenn er ins Elend geriet! Auf der Höhe orgelt der Sturm. Unten zur Harzkante hin lauscht alles atemlos, aneinander gefasst; droben bricht in wilder Wut das Wetter über kahle Kuppen her, faucht durch Wipfel, reißt Äste zu Boden, stürzt Stämme um, poltert Steine steile Hänge hinab. Am nächsten Morgen schimmern alle Berge weiß, als habe sich die Schleppe eines weiten Mantels darüber verfangen. Nach solchen Nächten wusste man zu sagen, der Wilde Jäger sei über den Harz getobt, Wotan, der Wütende, in all dem Fauchen und Donnern habe man Stimmen vernommen, Hetzlaute, Jiffen, Tutursels Ruf. Im weißen Umhang, im roten Umhang, wenn blutend die Sonne aufging, sei er dahergefegt, dem im rasenden Gewölk sich verbergenden Gold-Eber hinternach, auf Sleipnir, dem achtfüßigen Schimmel Schleifer, der alle Kuppen rundschleift. Frau Holle, auch Harke, in seinem Gefolge, Hüterin des Totenreiches, wehe, wer ihr ins Angesicht schaut! Sie wird ihm zeigen, was eine Harke ist. Zur Wintersonnwend, in zwölf heiligen Nächten, braust die Wilde Jagd daher; wer es wagt, ihr zu trotzen, wird überrannt, mit stinkender Pferdelende beworfen, ein Jahr lang anhaftend, dass man aussätzig ist und gemieden. Furcht vor Naturgewalten, lebendig in dunklen Stuben voller Qualm. Der rauschige Eber der Dezembernächtem, das Pferdeopfer auf hoher Klippe kehren in heimlich weitergeflüsterten Sagen wieder. Blut dampfte in der ovalen Vertiefung der Rosstrappe und taute das Eis an den Rändern, im Osten stieg Ostara, die Strahlende, über Berghänge und übersprang den Abgrund, ihre Lichtkrone erhellte die Tiefe, wo Schmelzwässer kochten und brodelten. Der dunkle Winterschlag schlug als Graupelwetter und Hagelwolke zu Grund und verwandelte sich in den schwarzen Hund. In den Sagen mischten sich Bruchstücke verwehter Mythen mit der neuen Lehre, noch entzündete man Jahr für Jahr Osterfeuer auf den Höhen, noch ging man schweigend Osterwasser, das heilige wiedererweckte wiedererweckende Lebenswasser, zu schöpfen. Wer schweigt, hört auf die Stimmen der Bäche. Doch der Brocken - wer war schon auf dem Brocken? Ganz Verwegene, die sich bis in die Nähe vorkämpften, fanden Bäume mit verdrehten Ästen und zottigen Flechtenbärten, fanden hingepolterte Granitblöcke, als hätten Riesen damit gewürfelt, gerieten in tückisches Moor oder waren unversehens von Schwaden ziehender Nebelhexen umgeben, die einen kichernd in die Irre führten, und wen es besonders schlimm traf, den glotzte mit gesenkten Hörnern und rotunterlaufenen Lichtern ein Auerochs aus dem Dickicht an, ein Ur, ein Herr Urian. Aber die klaren Granitgrusbäche glitzerten und glimmerten wie Gold, in den Moorlöchern stand rostig schillernd die Lache, die Eisen verhieß; immer wieder galt es die Angst zu überwinden, stets lockte das Abenteuer. In den Tälern dagegen wuchsen Ortschaften - die Enge der Gassen, in denen man sich kannte und doch nicht kannte, Geflüstertes und Weitergeflüstertes: droben auf den Schlössern, fern vorm Tor, nachts auf dem Markt... Unerklärliches, jemand war mit dickem Kopf gestorben, wer hatte wen umgebracht, dort und dort ging es nachts um. Fremde tauchten auf, verständigten sich mit geheimen Zeichen, wer ihnen nachschlich, kam nach Jahren verändert aus ferner Gegend wieder. Die Reichtümer der Tiefen zerrten an einem, das Dunkel des Bergwerks, in dem die Unschlittfunzel nur ein paar Schritte reichte, was war dahinter? Abends, in den flackernden Räumen beisammen. Sagen. Weitersagen. Sagen.“ Also, worauf warten Sie noch? Sagen. Weitersagen. Sagen. Weitere Informationen und Angaben finden Sie unter http://www.prseiten.de/pressefach/edition-digital/news/3770 sowie http://edition-digital.de/Specials/Preisaktion/. Über EDITION digital Pekrul & Sohn Gbr: EDITION digital wurde 1994 gegründet und gibt neben E-Books Bücher über Mecklenburg-Vorpommern und von Autoren aus dem Bundesland heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen. 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