Tumgik
#blondieundich
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Einmal, sagte ich, aber eigentlich wollte ich es schreien, einmal ist das Wort, das ich am meisten hasse. Einmal, einmal, einmal; wie oft haben wir es gesagt, wie oft haben wir es gesagt, wie oft wollte ich es dir in die Fresse kotzen. Wie Teile meiner Lippe fühlt sich einmal an, wie Teile meiner Zunge, die sich langsam löst, vom Rest meines Mundes aufgefressen wird. Nichts habe ich jemals mehr gehasst als einmal. Jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffne um einmal zu sagen, weil es dein Lieblingswort ist, würde ich meinen Mund am liebsten selbst für immer von außen verschließen. Dass ich überhaupt dein Lieblingswort am häufigsten sage ist eine Frechheit, immerhin bist du nicht mein Lieblingsmensch. Vielleicht der größte Fleck in meinem Leben, der mich irritiert, wie Tinte in einem neuen Tagebuch, die durch die Seiten durchtropft, weil sich die Produzenten dachten, hey, einmal, da machen wir dieses ansonsten wunderschöne Tagebuch wunderbar kacke, in dem man es nicht für das benutzen kann für was es da ist, weil jede verdammte Seite zu dünn für irgendeine Art von Stift ist und dann nennen wir das Lebenshilfe und in Wahrheit meinen wir Lebenslüge und weil es genau die Ästhetik unserer Zeit trifft, die nur einmal da ist, verkauft sich das Ding wie Butter und wir schwimmen einmal im Geld, bis wir alles ausgegeben haben für Unsinn und Schein und Hohn und wir einmal mehr nichts haben. Einmal, als ich dieses Tagebuch gekauft habe, bin ich einer Idee aufgegessen von einem Ding, anstatt dem tatsächlichen Ding und genauso fühle ich mich einmal, hier und jetzt, mit dir. 
Das Blondie, auf dem Boden liegend, starrte mich nur verständnislos an. Ich wütete mit meinen Armen durch die Luft und fühlte mich so machtlos wie ein Berg, der trotz seiner Größe immer an der gleichen Stelle steht. 
Einmal, schrie ich, denn meine Lungen hielten das Stillsein nicht mehr aus, gingst du ohne mich los zum Trinken und kamst nicht mehr heim, weil du vorm Mr Jones krepiert bist und wie traurig ist das? Einmal musste ich deine Mutter anrufen und darauf warten, dass der Piepston ein Ende nimmt, aber das tat er nicht, ich hab das Tuten immer noch im Ohr, während du in den Himmel Luftlöcher starrst, weil du einmal vergessen hast, dass du mit den neuen Medikamenten nicht trinken darfst. Einmal nannte ich dich mein Geschwisterkind aber dann warst du einmal mehr nicht da, wenn ich dich brauchte, hast mir den Rücken nicht freigehalten in den Momenten, in denen es gezählt hätte und einmal wollte ich dich dafür töten, aber dann trank ich doch einen Kaffee mit dir während ich einmal in die Bibliothek ging und alle Bücher über den perfekten Mord auslieh. Einmal kam ich nachts heim und ging zum frischen Blumenbeet meiner Mutter, nachdem ich einen ganzen Nachmittag darüber nachsann wie ich dich töten würde oder irgendwen, irgendwann würde ich bereit sein und einmal die Waffe erheben und damit den Rest meines Lebens zerstören, aber einmal kam ich nicht dazu und ließ die Waffe fallen und vergrub stattdessen meine Arme bis zum Ellenbogen im Blumenbeet und am nächsten Tag war meine Mutter verwirrt von den Tieren, die im Beet ihre Spuren hinterlassen hatten und ich wollte schreien, haha, reingelegt, das war einmal kein Tier, das war ich und wenn ich gekonnt hätte, hätte ich mich eingegraben, einmal wäre ich dann nämlich in das Erdinnere verschwunden und hätte wie ein Wurm im Dreck gelebt, hätte mich vom Ungeziefer ernährt, das im Boden lebt und einmal wäre ich frei gewesen von dir und mir und dieser ganzen Geschichte. Es war einmal, hast du mir erzählt und dann eine ganze Reihe Lügen, du und ich gegen den Rest der Welt, aber einmal ging ich über eine Brücke, erinnerst du dich und dann kamst du nicht nach, du gingst unter der Brücke durch und als ich nach dir rufen wollte, hallte meine Stimme einmal wider wie in einem Tunnel, der eintausend Kilometer lang ist und einmal kam es mir so vor als watete ich durch genau diesen Tunnel, aber du warst nicht hinter mir. 
Leute bleiben um uns herum stehen, aber ich habe einmal etwas zu sagen und ich kann nicht aufhören. 
Einmal, sagte ich und kniete mich hin, war es das Ende unserer Geschichte, bis sie wieder von vorne begann, denn einmal kniete ich neben dir und verriet dir, dass ich dich vor Liebe hasste, aber du hörtest nicht zu, weil du mit Rumzucken beschäftigt warst, weil dein Gehirn dabei war, deine Nervenzellen zu frittieren, aber einmal wusste ich wie die Geschichte ausgehen würde, weil ich weiß, was als nächstes passiert, ich kann den Krankenwagen schon hören, noch eine Straße, deine Mutter hat ihren AB angehört und ist auf dem Weg und einmal mehr wird sie mir sagen, dass ich kein Umgang für dich bin, als hätte ich dir einmal den Alkohol mit Gewalt in die Kehle gegossen, als hätte ich dich geküsst und dir dabei flüssiges Gift in den Körper gegossen wie bei Game of Thrones aber einmal mehr wirst du mich anrufen und sagen, die hat sich wieder beruhigt, komm vorbei und ich werde kommen und du wirst mir ne Kippe geben und nen Kaffee und mir die Bücher zeigen, die du gerade liest und ich würde dich am liebsten strangulieren, weil du einmal wieder nicht weißt, was du eigentlich bist für mich, aber stattdessen werde ich die Bücher nehmen und sie lesen und in ihnen nach dir suchen, aber dich nicht darin finden, denn einmal habe ich begriffen, dass du nicht die Wörter bist sondern die Seiten auf denen die Wörter stehen. Einmal werde ich mir wünschen, ich wäre stark genug gewesen, dich liegen zu lassen, nach Hause zu gehen, nicht mehr zurückzublicken, aber einmal mehr rette ich dir das Leben, während du meins zerbrichst. 
Du wirst mich später anschauen, wenn du mich in der Notaufnahme abholst, obwohl du versprochen hast, dass du es nie wieder tust, als ich das Versprechen brauchte um mir zu schwören, nie wieder in der Notaufnahme zu sein. In deinem Handschuhfach im Auto wird der Wodka liegen, den ich vor drei Monaten dort verstaut habe für die harten Zeiten, von denen ich wusste, dass sie wie eine immer wiederkehrende Woge des Meeres auf uns zu rollen. Ich rolle inzwischen nur das Fenster runter und nehme einen Schluck und dann schalte ich Bob Dylan an und schließe die Augen. Du fährst mich durch die Nacht und dann lässt du mich einmal mehr an dem Pfad raus, der zum Jägerhäuschen führt und da werde ich hinlaufen, nur der Wodka und ich, mein bester Freund, und du wirst nach Hause fahren und das Blondie wird verkabelt im Krankenhaus liegen und wenn ihre Mutter nach mir sieht bin ich einmal mehr längst im Wald und schaue in der Morgendämmerung den Rehen zu, die ich verscheuche, wenn die Jäger kommen und einmal habe ich sie gerettet aber nicht mich. 
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Das einzige, das wir sicher wussten, war, dass wir mit Unwissenheit nicht leben konnten. Die Unibescheide kommen niemals, sagte das Blondie, wir hätten uns genauso gut auf dem Mars bewerben können. Das wäre auch gerade weit genug weg gewesen von deiner Familie. Und Thede. Wow, sagte ich, wir sind nervliche Fracks. Du hast Thede seit mindestens anderthalb Jahren nicht mehr erwähnt. Ich weiß, sagte das Blondie tief seufzend, aber mehr weiß ich auch nicht. Außer, dass die Unibescheide nicht da sind. Sie ließ ihren Kopf auf den Tisch fallen. Ich trank einen Schluck Kaffee aus ihrer Tasse. Am Blondie bewegte sich nichts. 
Thede war der athletische Gott unseres Jahrgangs gewesen, bevor er sitzenblieb und der athletische Gott des Jahrgangs unter uns wurde. Hände wie Schaufeleimer, Arme wie Baumstämme und dazu das Gemüt eines Bernhardiners und die ganze Schule war ein kleines bisschen verliebt, inklusive der Lehrerzimmertür, die sich ihm magisch oft öffnete. Wir anderen schauten zu wie Thede traumwandlerisch durch die Schule wandelte, den Kopf immer beim nächsten Training. Dass er dumm wie die Tauben im Schulhof war, machte nur Snobs wie mir etwas aus. Das Blondie, ihrerseits eine große Ablehnerin von Intelligenz, konnte nichts davon abhalten, die Pausen plötzlich nicht mehr mit mir im Rauchereck zu verbringen, sondern mit Thede drüben beim Tischtennisballtisch. Ich sah zu und rauchte wütende Wolken in den Himmel. 
Der ganze restliche Schulhof sah auch zu. Da war sie, die wunderschöne, aber leider komplett durchgeknallte Heldin der Geschichte und er, der auf jede Art die klassische Heldenrolle besetzen konnte, solange man ihn nicht bat zu erklären was ein Held eigentlich ist. Sie waren wie gemacht füreinander, da alle großen Heldengeschichten im Kern Dramen sind. 
Zunächst ging alles gut. Das Blondie vergnügte sich und ich versuchte mich daran zu erinnern, mit wem ich befreundet gewesen war, bevor wir uns begegneten. Ich hörte das Essen kurzzeitig auf um so dünn zu werden wie sie. Sie wurde dank neuer Zucki-Pillen in der gleichen Zeit noch dünner, woraufhin ich das Essen ernsthaft aufhören musste und meine Eltern mir auf die Schliche kamen. Das Ergebnis war eine durchgeknallte Psychologin, die mich in allen Therapiesitzungen bat mir vorzustellen, ich sei ein Baum, den nichts entwurzeln konnte. Ich schüttelte wütend meine Äste um einige Kalorien zu verbrennen während sie schwafelte. Dann ging ich heim und in der Einsamkeit meines Zimmers fragte ich mich langsam aber sicher, ob ich Alleinsein glorifiziert hatte, weil es das Blondie gab oder ob ich mich schlechter kannte, als ich dachte. 
Die Antwort war vermutlich beides. 
Nach drei Monaten Turteltauben-Dasein und Schulhofneid erinnerte sich das Blondie meiner Existenz und mein ursprünglicher Plan sie mindestens eine Woche zu ignorieren zerfiel im Moment, in dem wir unseren ersten Tiefseetaucher tranken. Beim dritten hätten wir nicht einmal mehr gewusst, wer Thede eigentlich war und so kehrte in dieser Nacht alles zum Alten zurück. Erst als er anrief und anrief und anrief erinnerte ich mich daran, dass das Blondie nicht mehr mir allein gehörte und dann erinnerte ich mich an nichts, da ich bevorzugte nichts zu wissen, anstatt das. 
Natürlich stellte sich heraus, dass die Beziehung nicht so super war wie gedacht. Denn erstens waren wir noch nicht mal ganz 18 und nichts auf der Welt ist gut, wenn man nichtmal ganz 18 ist. Und zweitens war das Blondie ein schwieriger Mensch und Thede hatte seine eigenen Probleme und kurze Zeit später zerfloss sie in meinen Armen, da er sie nicht so liebte, wie sie gedacht hatte und alles furchtbar war. Mit der Großmut einer Kaiserin nahm ich sie zurück zu mir, auch wenn ich vermutlich die einzige war, die das so sah und von da an gingen wir Thede aus dem Weg. 
Das war zumindest der Plan, aber stellte sich heraus, dass das Blondie sein Herz verloren hatte und sich sicher war, es nie wieder zu bekommen. Das Leben macht keinen Sinn mehr, sagte sie sinnierend auf der kleinen Flußmauer sitzend von der aus wir runterspringen konnten, sobald wir sehr betrunken waren und unsere Füße baden wollten, und ich stimmte nicht zu. Das Leben war jetzt gerade, mitten im Sommer, zu Beginn unseres letzten Schuljahres eigentlich ziemlich perfekt. Das Wetter war warm, ich war braungebrannt und dünn, die Haare des Blondies glänzten in der Sonne wie flüssiges Gold und wir hatten Alkohol und Kippen, die wir legal nicht besitzen durften. Was hätte man nicht nicht mögen können?
Dieser Sommer war der erste, in dem ich verstand, wie schnell Freundschaften in die ein oder andere Richtung ausschlagen können; wie schnell etwas, das so fest zu sein schien wie meine Arme an meinem Körper sich langsam loslöst, verblasst und irgendwohin entschwindet, wo man es in seiner ursprünglichen Form nie mehr findet. Und ich lernte, dass ich mich selbst wohl niemals ganz kennen würde, denn meine Eifersucht, Kleingeisterei und Genervtheit gegenüber dem Blondie hätte ich niemals von mir erwartet. Das Leben war viel weniger gut als noch vor sechs Monaten, aber wir saßen zusammen auf dieser Mauer und stoßen an und taten als seien wir die Menschen von vor einem halben Jahr und dann kamst du aus dem Nichts und setztest dich neben uns und brachtest uns wieder zueinander auch wenn es das vermutlich letzte war, was du eigentlich wolltest. 
Dein Gesicht sieht aus als seist du als Kind zu viel in der Sonne gewesen, sagte das Blondie und ich kicherte und du lachtest laut auf und fragtest uns, ob wir noch was trinken wollten. Wollten wir. Dann rauchten wir eine gemeinsam und dann gingen wir in eine Kneipe gemeinsam und du ludst uns nicht ein, was wir fancy fanden. Und dann gingen wir auseinander ohne Nummern auszutauschen, da wir alle wussten, dass unsere Stadt klein genug war um sich immer irgendwo zu begegnen aber es zufällig aussehen zu lassen und als du mir zu blinzeltest bevor ich abdrehte um heim zu gehen schlug mein Herz einen Schmetterlingsschlag schneller. 
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