Im Land der Windmühlen
Im Land der Windmühlen
Rund um Amsterdam
Wasseradern überziehen das brettlflache Land mit einem Gitter aus Linien und Furchen und erinnern an Arbeiten des Künstlers Graham Fink, dessen Blätter Bleistiftstriche zieren, als wollte er das Muster eines Vogelzuges nachvollziehen, das im Frühjahr und Herbst den Himmel schmückt. Entschleunigung ist angesagt: Der Zauber von Deichen und Dünen, das engmaschige Muster an Radwegen die üppige Tulpenfelder einfrieden, und die seit Jahrhunderten um die eigene Achse rotierenden Flügelräder der übers Land verstreuten Windmühlen strahlen eine Ruhe aus, als vertraute sich die Erde der Kraft des Windes an, die sie, gleich einem fliegenden Teppich, in den Himmel hebt. „Niederlande“ heißt das Land voll von landschaftlicher Schönheit und exzentrischem Anspruch. Putzige Städtchen, stylische Architektur: Ob Amsterdam, Den Haag, Rotterdam oder Haarlem - der Fremde kommt aus dem Staunen nicht heraus. Welchem der unendlich vielen Puzzlesteine schenkt er Beachtung? Die Niederländer sind ebenso wagemutig-konservativ, wie traditionsreich-innovativ. So überschaubar ihr Land ist, so konkurrenzlos ist es in Sachen Abwechslung. Lassen wir uns ein auf eine Rundreise rund um die kunterbunte Amstel-Stadt. Vieles, allzu vieles gilt es zu entdecken!
Das brettlflache Land
Mit dem Rad nach Ouderkerk aa de Amstel
Wer hier nicht mit dem Bike unterwegs ist, ist selber schuld. In kaum einem anderen Land hocken die Einwohner so leidenschaftlich gerne auf dem Drahtesel. Die niederländischen Zweiradfahrer sind Europas Antwort auf Milliarden chinesische Velozipeden. Räder kann man hier an allen Ecken und Enden mieten. Dem Verhandlungsgeschick der Verleiher ist es zuzutrauen, dass sie dem Fremden gleich ein paar mehr unter den Allerwertesten jubeln. In der Regel nämlich ist man bereits mit einem überfordert. Allein das Einordnen in den fließenden Verkehr der City-Strampler verlangt dem Beginner einiges an Geschick ab – ist man erst mal drinnen, entkommt man dem linearen Verkehrsstrom nur mehr schwer.
Kaum, dass ich glücklich an der Amstel entlang radelte, fand ich mich auch schon inmitten einer unüberschaubaren Karawane von Rad-Afficionados, glitt von einer Ampel-Grünphase zur nächsten, blinkte links, lächelte nach rechts und ehe ich mich versah, war ich falsch abgebogen und landete in einer völlig anderen Windrichtung, wie wir Segler sagen. „Du radelst immer der Amstel entlang!“, schärfte mir der Radbevollmächtigte am Amsterdamer Leidensplein in lupenreinem Spanisch ein. Gut, dass ich in meiner Jugend die Sprache erlernte. Ich schien ihn dennoch missverstanden zu haben, denn vom Ufer der Amstel befand ich mich schon nach wenigen Kilometern meilenweise entfernt. So fuhr ich ahnungslos inmitten der Horde und verlor mich alsbald inmitten von Autobahnzubringern, Schnellstraßen und Industrieanlagen – bis ich endlich, mit gehöriger Verspätung, im idyllischen Ouderkerk, meinem eigentlichen Reiseziel, vor Anker ging.
Landschaft bei Ouderkerk
Das putzige Bilderbuchstädtchen ist zweihundert Jahre älter als Amsterdam, und sieht genauso aus, wie niederländische Provinz auszusehen hat: Flüsschen, Brückchen, Vorgärtchen - hiesiger Flachlandstyle eben. Da sich die hier Ansässigen eines Tages (weshalb auch immer) zum gänzlichen Verzicht auf Vorhänge entschlossen haben, präsentiert sich das Familienleben dem staunenden Besucher wie auf dem Tablett. Gerne verliert man sich hierzulande in Wohnungsinspektion und Gartenbeobachtung.
Ouderkerk aa de Amstel
Sehenswert:
Der alte Dorfkern von Ouderkerk, mit einer, wie der Ortsname schon sagt, Kirche aus dem 18. Jahrhundert
Der portugiesisch-jüdische Friedhof Beth Haim
Beschauliches Kleinstadtleben am Fluss
Mit dem Bus nach Monnickendam
Der 'Spielturm' in Monneckendam
Der 315er fährt direkt vom Amsterdam Centraal Busbahnhof ab. Nach den üblichen Ausfallsstraßen, findet man sich auf Wiesen und Feldern wieder, passiert Deiche und Wälder, um bald schon die ersten Vorboten des nahen Markenmeeres zu entdecken: Möwen, die in weiten Kreisen über das sumpfige Ufergebiet schweben, immer auf der Suche nach Futter. Wir bretteln zügig dahin, bis das verschlafene Örtlein Monnickendam erreicht ist. Das im 14. Jahrhundert zur Stadt erhobene Nest verdankt seinen Namen friesischen Mönchen („Monniken“), die sich im Schutz des zwischen Häusern und Meer errichteten Damm („Dam“) niederließen. Im Laufe der Jahre wuchs der Flecken zu einem der zentralen Fischereihäfen Nord-Amsterdams.
Zwei Monniken
Weshalb wohl heißt ein trübes Wässerchen im Nordwesten des Stadtkerns „Stinke Vuil“ (Stinkloch)? Wohl, weil die Monnickendammer bis ins achtzehnte Jahrhundert in der Hauptsache mit dem Verarbeiten von Walen beschäftigt waren, die sie droben, in der Nordsee, erlegten. Mit den Fischabfallprodukten wurde kurzer Prozess gemacht, sie wurden auf die Felder geworfen, oder in Kanälen entsorgt. Aus dem Rest wurde durch Erhitzen, Pressen und Schmelzen Fischtran gewonnen – und der stank erst recht zum Himmel. Umweltprobleme waren auch damals schon hausgemacht.
Am Fischereihafen
Heute ist von Luft- und Wasserverschmutzung nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Monnickendam hat sich im Laufe der Jahre zu einer wohlhabenden Vorzeigekleinstadt entwickelt. Man schlendert durch das hübsche Hafenviertel, vorbei an malerischen Kanälen und Backsteinhäusern, und bestaunt die an ihnen angebrachten „Giebelsteine“, die die Geschichte der Stadt abbilden. Eine Tour d‘Horizont durch die Kerkstraat und die Lindegracht lohnen. Aber aufgepasst: Des den nach oben gerichteten Blickes wegen ist Rutschgefahr angesagt: So manch ein Besucher tauchte in einem der vielen Flüsschen unter – um später, nach erfolgter Bergung, den Stadtrundgang als pitschnasse Kanalratte fortzusetzen.
Sehenswert:
Speeltoren – Im „Spielturm" befindet sich das älteste noch bespielbare Glockenspiel der Welt, das an Markttagen vom städtischen „Glöckner“ bespielt wird.
Grote of Sint Nicolaaskerk – Sehenswerte Kirche aus dem 15.Jhdt
De Waag - Ehemalige „Stadtwaage“, die in erster Linie dem Abwiegen von Käse diente.
Zugbrücke über den Binnendijkshaven – Schöner Hafen inmitten der Stadt
Mit dem Zug nach Zaandam
Stadthuis in Zaandam
„Zaandam ist wirklich bemerkenswert, ich könnte hier ein Leben lang malen. Bunte Häuser, hunderte von Windmühlen und Boote in allen Größen…“
Diese Zeilen schrieb Claude Monet an einen Freund, kurz nachdem er 1871 im niederländischen Städtchen vor Anker ging - um vier Monate zu bleiben. Viele Bilder entstanden hier: Landschaften, Portraits, sowie die wohl berühmteste Arbeit dieser Schaffensperiode: „Das blaue Haus in Zaandam“. Es lohnt sich durch die Stadt zu wandern, vorbei an Grachten und Bürgerhäuser, bunt bemalten Holzhäusern, über malerische Brücken, sich einfach treiben zu lassen und das Städtchen im Norden Amsterdams mit den Augen eines Künstlers zu betrachten. Wie viele Details offenbaren sich da plötzlich, wie viele überraschende Blickwinkel, wie viele Momentaufnahmen gilt es zu entdecken. Reisen auf den Spuren Claude Monets – der Gedanke ist verführerisch!
Architektur à la Zaandam
Ich verlasse den Bahnhof, gehe am Stadhuis vorbei, dem hiesigen Rathaus, das grün-weiß bemalt ist wie ein Spielzeughaus in Legoland, und überquere die geschwungene Brücke am Ankersmidplein. Dort staune ich über eine Ansammlung ineinander gesteckter, sich gegenseitig stützender Häuser, von denen ich nicht zu sagen weiß, wo das eine beginnt, und das nächste mit dem übernächsten verschmilzt. Eine Spielzeugwelt voll von optischen Täuschungen, die vom niederländischen Surrealisten Maurits Cornelis Escher, der nicht weit von hier, in der Provinz Friesland, das Licht der Welt erblickte, erdacht sein könnte. Lange verharre ich im Anblick dieser seltsamen Wohnburg, oder ist es ein Hotel? Ich versuche eine Struktur zu erkennen und wende mich endlich ab, beeindruckt vom Wagemut hiesiger Stadtplaner. Ganz in der Umgebung stehen, Giebel an Giebel, die nächsten Absonderlichkeiten, auch sie wie aus Bauklötzen aneinander gefügt. Ist das alles aus Stein gebaut, und mit surrealem Muster übermalt, Fachwerk vortäuschend? Sind die Häuser alt oder spielerische Gegenwart? Ich werde nicht schlau daraus, ich soll es wohl auch nicht.
Anderswelt in Holland
Dann wandere ich an einem Wasserarm entlang, wechsle hinüber aufs andere Ufer, der „Hermitage“, die später in die „Gedempte Gracht“ übergeht und erreiche endlich eine Wasserstraße, die „Zaan“. Linker Hand befindet sich ein kleines, grünes Haus. Ich vermeine es zu kennen. Es erinnert mich an ein Bild von Claude Monet, das ich im Vorfeld meines Besuches in einem Katalog entdeckt habe und das ich lange betrachtet habe - strahlt es doch eine Ruhe und Würde aus, wie ich es selten auf einer Leinwand dargestellt gesehen habe. „Tuinhuizen aan de Achterzaan“ (Gartenhäuser an der Zaan“) heißt das Bild. Und indem ich es vor mir sehe, verschwimmt Kunst und Wirklichkeit und Monets Inspiration verkehrt sich vor meinen Augen in Leben.
Auf den Spuren von Claude Monet
Das kleine, grüne Haus ist alles andere als das Gespinst eines Malers, es ist real und begehbar und entpuppt sich als ein Museum, klein zwar, aber authentisch.
Kunst ...
... und Wirklichkeit.
Es war „Monets Atelier“, und in ihm hängen all die Bildbeispiele seiner Zaandamer Arbeiten, die hier, während seines Aufenthaltes, entstanden. Und so vermählen sich Phantasie und Realität zu einer faszinierenden Konhärenz: Indem ich die Werke des Meisters (Reproduktionen zwar, aber - na wenn schon) betrachte und in mir aufbewahre, gehe ich später durch die Gassen, suche, finde, nehme wahr und wäge Monets Schaffen, seine Inspiration und mit der vorgefundenen Wirklichkeit ab. So betrachte ich Zaandam mit den Augen des Künstlers und erfreue mich an der wechselseitigen Metamorphose von zum Leben erwachter Kunst.
Die 'Gedempte Gracht'
Sehenswert:
Freiluftmuseum Zaanse Schans - Zahlreiche Windmühlen und alte Holzhäuser. Einstmals entstand hier ein, für das Zeitalter der industriellen Revolution charakteristisches Arbeiterviertel, woraus ein Freilichtmuseum entstand, das das historische Erbe des ersten Industriegebietes der Welt zum Thema hat.
Zaans Museum – Kulturhistorische bedeutende Exponate zur Wohn- und Industriestruktur
Zar-Peter-Haus – Eines der ältesten erhaltenen Gebäude der Niederlande. Das Haus im russischen Viertel von Zaandam wurde 1632 aus altem Schiffsholz errichtet. Hier wohnte der russische Zar Peter der Große, während er den bürgerlichen Beruf des Schiffszimmermanns erlernte.
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