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#trauertagebuch
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Wann hört's denn endlich auf?
Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben, werden oft (eigentlich, glaube ich, fast immer) früher oder später mit ein und derselben Erkenntnis konfrontiert: irgendwann hat die Umwelt keinen Bock mehr auf ihre Trauer. Und sehr oft passiert das sehr viel schneller, als man denkt!
Oft sind die Menschen um einen herum, besonders die sehr nahen Menschen (aber auch dies ist nicht immer der Fall, dazu mal in einem anderen Post), bereit sich sehr intensiv um den Trauernden zu kümmern, sich auch zum tausendsten Mal dieselben Stories, Zweifel, Erinnerungen und Ängste anzuhören, und das Thema geduldig zu ertragen. So die ersten 6 Monate ungefähr. Danach wird begonnen einem dezent zu vermitteln, dass jetzt vielleicht einmal auch gut ist.
Natürlich äußern die Wenigsten das ganz genau so direkt. Aber man bekommt es schon mit. Und manchmal beginnt man auch damit sich selbst zu sanktionieren, es mehr und mehr für sie zu behalten, was man fühlt, woran man denkt, wie sehr es immer noch den Alltag einnimmt. Das kann über Jahre gehen. Ich weiß noch genau, wie ich irgendwann begonnen hatte, mir nach Treffen mit Freunden immer wieder vorzunehmen, nicht mehr so viel über das Thema zu sprechen.
Und dann kommt aber doch früher oder später der Punkt, wo es tatsächlich nicht mehr den gesamten Alltag vereinnahmt. Wo viel passiert ist. Wo man viel neues erlebt hat und irgendwie einen ganz anderen Alltag hat. Wo man generell sich vielleicht einmal umschaut und denkt, "unglaublich, dass ich jetzt gerade genau HIER bin im Leben. Ich hätte es mir vor ... Jahren nicht einmal träumen können". Aber auch wenn es dann mal soweit ist, hat man trotzdem immer wieder einmal diese Tage. Die Tage an denen auf einmal etwas hochkommt, oder an denen man irgendetwas komisches geträumt hat, an denen ein Ort, ein Gegenstand, ein Lied etwas in einem auslöst, und dann kommt sie hoch – die Trauer. Manchmal leise, manchmal mit voller Wucht, einem Wutausbruch und einem Heulanfall gleich dazu.
Nun sind bereits 3,5 Jahre vergangen, seitdem mein damaliger Partner gestorben ist. Und wenn ich einen dieser Tage habe, bin ich mittlerweile am Liebsten allein. Nicht unbedingt, weil ich Einsamkeit suche, zumindest vielleicht nicht den ganzen Tag über, aber doch weil ich ganz klar merke, dass meine Umwelt es "belastend" findet, wenn ich nun noch trauere, wenn ich wieder so intensive Emotionen habe, wie in den ersten Wochen nach seinem Tod, wenn ich verzweifelt wirke und sie hilflos sind.
Was ich davon halten soll, weiß ich nicht. Es ärgert mich und es isoliert mich unglaublich in diesen Momenten vom Rest der Welt. Ich frage mich, wieso ausgerechnet ich das alles erleben musste (wie sich das wohl jeder Mensch fragt, der den Verlust eines geliebten Menschen überlebt hat), und aber jetzt eben immer noch weiter erleben muss durch diese Isolation. Gleichzeitig versuche ich meine Freunde zu verstehen und mich in sie hinein zu versetzen. Zu verstehen, dass sie ihr eigenes Leben und ihre eigenen Probleme haben. Zu verstehen, dass sie mich Anfangs intensiv begleitet und unterstützt haben, und sich nun vielleicht auch wieder etwas absondern wollen und müssen. Zu verstehen, dass die meisten Menschen sehr Zielorientiert denken und handeln, und erwarten, dass nach so viel Einsatz, Geduld, Zuhören und gut Zureden, ich doch nun endlich mal "ganz" und "unwiderruflich" fertig getrauert haben muss, und wenn nicht, dass sie eben auch nichts mehr tun können. Ich glaube der Frust über die "Rückfälle" ist für einige groß und offenbart eine tiefe Unsicherheit über sich selbst, ihre Selbstwirksamkeit, aber auch ihre generelle Weltsicht. Der Tod und die Trauer sind eben zwei so Sachen: sie gliedern sich leider nicht in die ziel- und zweckorientierte Logik unseres modernen Alltags. Sie haben eine andere intrinsische Logik: sie sind zyklisch und dienen keinem Zweck, sie sind Zweck an sich. Wenn überhaupt, wenn man es unbedingt möchte, so könnte man sagen, denke ich, dass die Trauer uns daran erinnert, dass wir eben noch sehr wohl lebendig sind. Und dass das Leben sich fast immer durch Fühlen Ausdruck verleiht.
Meine Freunde sind keine Egoisten, keine stumpfen, dummen Menschen, keine herzlosen und trockenen Pragmatiker und Technokraten. Sie sind normale Menschen, gute Menschen, herzliche Menschen, hilfsbereite Menschen. Aber sie sind eben auch nur Menschen. Und die meisten von ihnen haben das, was ich erlebt habe, noch nie erlebt. Nicht einmal mit ihren Großeltern. Sie wissen nicht, was es bedeutet, dass jemand da ist und dann auf einmal nicht. Und das jetzt für immer. Sie können es sich, beim besten Willen, einfach nicht vorstellen. Das weiß ich ganz genau, denn ich konnte es auch nicht, obwohl ich mich für einen sehr emphatischen Menschen halte. Es ist eine sogenannte "Transformative Erfahrung". Bevor man sie hatte, kann man nicht wissen, wie es ist, sie gemacht zu haben. Nachdem man sie hatte, kann man nicht mehr wissen, wie es ist, sie nicht gemacht zu haben. Es gibt nie ein vor und nie ein zurück. Man ist durch diese unsichtbare aber felsenfeste Wand für immer getrennt und in seinen respektiven Welten gefangen. ***
Ich habe heute einen tollen Podcast entdeckt. Er heißt "Ich bin hier und Du bist tot." Dieser Name. Für mich sagt er schon alles. Das ist genau wie ich mich fühle, wenn ich es einmal wieder so stark fühle. Immer wenn ich diesen Verlust ganz deutlich fühle, fühle ich ihn ganz genau so und keine Worte könnten es besser ausdrücken – ich bin hier. Und Du – Du bist nicht irgendwo anders, nicht "dort" (im Himmel, auf einem anderen Planeten, unter der Erde in einem Sarg, als ephemere Materie irgendwo "unter uns") – Du "bist" tot. Wie auch immer mein Verstand das zu umreißen versuchen soll. Die erste Folge, die ich daraus gehört habe, hieß: "Warum Trauernde sich oft einsam fühlen". Es war eine sehr gute Folge. Ich bin spazieren gegangen und habe geheult. Ich bin auf einem Friedhof spazieren gegangen – nicht dem Friedhof, wo mein Freund begraben ist, sondern einfach auf einem Friedhof in meiner Nähe. Dort lässt es sich prima heulen, es fällt niemandem sonderlich auf und keiner wundert sich oder schaut komisch. Und es gibt normalerweise auch haufenweise ruhige Orte, schöne Bänke und Natur, Blumen, Bäume... früher bin ich nie einfach so über Friedhöfe gelatscht. Das war für mich wirklich krass merkwürdig. Ich habe auch immer befürchtet, dass ich vielleicht Trauernde stören würde. Doch nachdem mein Freund gestorben ist, ist ein Friedhof zu "meinem" Ort geworden, wie es ein Buchladen, ein Cafe, ein Museum oder ein Kinosaal ist.
Ich weiß, das was ich erlebe ist "normal". Ich weiß, dass es oft vorkommt, dass Menschen mit einer Verlusterfahrung eben einsam sind. Sich nicht nur so fühlen, sondern es eben auch sind. Ich ärgere mich nicht und ich bin auch nicht beleidigt. Diese Erfahrung hat meine Beziehungen und eben auch meine Freundschaften sehr transformiert. Die letzten drei einhalb Jahre haben alles sehr verändert, aber ich bin niemandem böse. Es ist einfach so. Es war keine Veränderung zum Schlechteren oder zum Besseren, es ist wirklich einfach alles anders und wir nie wieder so sein wie früher. Das habe ich neulich irgendwie wirklich ganz klar erkannt und verstanden und irgendwie plötzlich "verinnerlicht".
Jedenfalls kam ich heute dann irgendwie auf die Idee anzufangen, so ein kleines Trauertagebuch zu führen. Über diese Tage. Aber auch über andere Tage, über Erinnerungen und Gefühle, Gedanken, Zweifel, Hoffnungen und Emotionen, die ich vielleicht nicht mehr unmittelbar mit meiner Umwelt teilen kann. In meinem jetzigen Leben gibt es keinen wirklichen Platz mehr dafür, in dem es "aus den Nichts" "angemessen" wäre, über den Tod und die Trauer zu sprechen. Aber auch über das Leben, das Überleben, das Weiterleben, die Freude, die Hoffnung, die Erinnerung und die Zukunft, die sich aus ebendieser speist. Vielleicht liest das ja jemand irgendwann einmal und vielleicht wird es ihr oder ihm helfen diese kleine Vergewisserung zu bekommen (obwohl es eigentlich ja jeder von uns weiß): Du bist nicht allein, Du bist nicht "komisch", Du bist nicht "kaputt", Du trauerst nicht "falsch", alles ist ok mit Dir und mit Deiner Art und Weise Deine Emotionen und Gefühle zu verarbeiten.
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joanapeters-blog · 3 years
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