Tumgik
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2. Aufnahmeprüfung
… die sechs Monate bis zu meiner Prüfung vergingen wie im Flug. Ich hatte noch nicht einmal ansatzweise das Gefühl genug trainiert zu haben, als meine Schwester und ich bereits auf ihrem Drachen “Fireball” saßen und auf dem Weg zum Kampffeld waren.
Marinea und meine Mutter waren sich sicher, dass ich die Prüfung mit Leichtigkeit überstehen würde, doch ohne eine vorherige Begegnung mit einem Vampir, zweifelte ich langsam an meinen Chancen. Vielleicht überragte er mich um mehrere Köpfe, besaß übermenschliche Kräfte oder konnte mich ohne eine Berührung manipulieren.
An uns flog das zauberhafte “Herotal” vorbei – mein Geburtsort und mein derzeiter Wohnort, nachdem wir für mehrere Jahre an den Rand von „Laudalia“ gezogen waren, um den Verlust meines Vaters zu betrauern. Wir lebten gegwärtig in einem alten Bauernhaus, das etwa 110 Quadratmeter umfasste und direkt an das Kirchengebäude der Werwölfe anschloss. Ein kleiner Seufzer drang über meine Lippen, denn in mir flammte unweigerlich der schmerzliche Gedanke auf, dass ich all das eventuell nie wiedersehen würde. Was erwartete eine Hexe eigentlich nach dem Tod? Landeten wir unabwendbar in der Hölle oder gab es die Möglichkeit, dass wir trotz unserer dunklen Gaben in den Himmel kamen? In unserer Welt gab es Geister … verlorene, mächtige Seelen, die den Weg ins Licht nicht gefunden hatten, aber war das ebenfalls eine Option für unsere Art? Wiedergeburt kam mir als kleiner Hoffnungsschimmer in den Sinn oder ein einfaches Ende ohne Konsequenzen. Ob es wehtat, wenn der Körper den Betrieb einstellte?
Wir kamen an dem Teil der Unterwelt an, der weder den Hexen noch den Aluka gehörte, sozusagen neutrales Gebiet. Offiziell lebten hier Werwölfe und Zauberer friedlich miteinander, weswegen es den liebevollen Spitznamen „Kleine Schweiz“ trug. In Geschichtsbüchern und auf Landkarten war dieser Ort allerdings unter der Bezeichnung „Midena“ zu finden.  
Marinea wies Fireball an zu landen und durch ihre strenge Erziehung gehorchte er aufs Wort. Wir rutschten von seiner schuppigen, orangenen Haut hinunter, die im hellen Licht der Sonne funkelte und belegten seine Gestalt mit einem Zauber, um ihn vor Angriffen zu schützen. Die restliche Strecke müssten wir ohne ihn überwinden und Marinea hätte keine ruhige Minute, wenn sie ihren geliebten Drachen nicht in Sicherheit wüsste. Witzig, wenn man bedachte, dass sie ihre eigene Schwester gerade ins offene Messer laufen ließ.
Den restlichen zugewachsenen Weg, der sich durch den tiefen, düsteren Diestelwald schlängelte, mussten wir zu Fuß hinter uns bringen.  
»Wo ist es?«, fragte ich neugierig und zugleich etwas nervös.
»Vor dir, nur noch 200 Meter entfernt«, beantwortete sie mir schmunzelnd meine Frage, aber klang dabei
nun sehr viel sorgenvoller, als noch ein paar Stunden zuvor.
Hatte sie ebenfalls die Hoffnung auf einen Sieg meinerseits verloren? Wie sollte ich an mich glauben, wenn nicht einmal meine zuversichtliche Schwester es tat? Meine weiße Fahne lag leider unter meinem Bett, obwohl ich mir gerade wünschte, dass ich sie eingepackt hätte. Im Notfall würde ich wohl mein Höschen ausziehen und an einen Stock binden, wenn mir denn die Zeit für eine Kapitulation bliebe.
Umso näher wir dem Feld kamen, desto schwindeliger wurde mir. Der Boden unter meinen Füßen kam mir eigenartig schwammig vor. Beim Auftreten gab er eigenartige Geräusche von sich, fast wie eine Art unangenehmes Schmatzen. Um was für einen Ort handelte es sich hier?
Wir überwanden schließlich die letzten Meter und erreichten den Rand des langgezogenen Kampffeldes. Es handelte sich um eine schlichte Lichtung, die von Menschenhand erschaffen und mit einem riesigen Schild als „Blutschneise“ gekennzeichnet wurde. Der Vampir schien noch nicht anwesend zu sein, denn außer mir und Marinea befand sich niemand an diesem Ort. Wenn sie sich nun extra für mich einen besonders starken Gegner ausgesucht hatten, weil in mir nicht nur dunkle, sondern auch rote Magie schlummerte? Darüber dachte ich lieber nicht weiter nach, sondern konzentrierte mich stattdessem vollkommen auf meine Fähigkeiten, da diese oft nicht richtig funktionierten, wie es typisch für Hexen in ihrer Anfangszeit war.
Mein Puls stieg ins Unermessliche, obwohl ich wusste, dass dies den Vampir nur noch zusätzlich anstacheln würde mich möglichst schnell zu töten. Jedem meiner Gattung war bekannt, dass Aluka dem Blut einer Hexe nicht widerstehen konnten. Trotz dessen unterließ mein Herz es nicht Massen von Blut eilig durch meinen Körper zu pumpen.
»Kannst du mir einen Tipp geben, bevor ich ins Verderben springe?«
Meine Zähne klapperten bei jedem Wort das ich sprach, dennoch war ich vollkommen auf meine Aufgabe fokussiert.
»Lass deine Hände oben und halte ihn auf Abstand«, reagierte Marinea geschäftig, als würde ihr die Situation nichts ausmachen und deutete anschließend mit ihrem Zeigefinger auf die Mitte des Feldes. »Du bist vor seinen Fähigkeiten relativ sicher, wenn er hinter dieser Linie bleibt.«
Mir wurde aufgrund ihrer beherrschten Stimmlage sofort klar, dass ihre Sorge um mich mit jeder Sekunde wuchs und sie es lediglich nicht zeigte, um mich nicht weiter zu verunsichern.
»Okay, dass kann ich mir merken. Noch etwas Wichtiges?«
Nun begannen auch meine Beine zu zittern. Der Vampir konnte nicht mehr weit entfernt sein, denn die natürlichen Instinkte einer Hexe warnten sie vor drohender Gefahr.
»Lass dich nicht von ihm um den Finger wickeln«, erwiderte sie und sah mich dabei eindringlich an.
Wollte sie mich auf den Arm nehmen? Wer erlag schon dem eigenen Gegner während eines Kampfes? Ich litt mit Sicherheit nicht unter dem Stockholm-Syndrom.
»Wie meinst du das? Wieso?«, fragte ich sie verwundert, worauf sich ihre filigranen Hände zu Fäusten ballten.
»Versprich es mir einfach«, sagte sie darauf nur und ich nickte widerstandslos, obwohl ich nicht wusste, ob ich ihr etwas zusichern konnte, was ich nicht verstand.
Im Wald raschelte es, woraufhin zwei schwarze Gestalten eilig um das Feld huschten und sich nuschelnd besprachen. Sie waren unnatürlich schnell, fast unsichtbar für meine Augen. Der Sinn des Sehens war bei den meisten Hexen nicht so stark ausgeprägt wie der des Riechens oder Hörens, weshalb ich ihren Geruch und ihre Stimmen bereits von dieser Distanz aus erfassen konnte. Sie rochen sehr süßlich nach Freesien oder Nelken.
»Pass auf dich auf. Ich bin direkt hier«, meinte meine Schwester in einem fürsorglichen Ton, sobald die beiden Aluka das Feld betraten.
Marineas Blick war bestückt mit Sorge, welche durch meine zitternden Knie nicht gerade gemindert wurde. Es gelang ihr nie eine Mauer aus Gleichgültigkeit lange aufrecht zu erhalten. Entweder musste sie vollkommen schweigen, um ihre Emotionen nicht zu verraten oder direkt mit Abwehr reagieren. Flüchtig nahm sie mich in den Arm und ich seufzte leise.
»Ich tue mein Bestes. Hab dich lieb und achte auf Mama, falls … mir etwas passiert«, gab ich erst zurück, als sie mich wieder freigegeben hatte und ich schon mit einem Fuß auf dem Kampffeld stand.
»Ich dich auch und rede keinen Schwachsinn. Du hast schon schlimmere Dinge überstanden«, rief sie mir noch nach und verschwand daraufhin geräuschlos in den Wald. 
Mittlerweile trennten mich nur noch drei Meter von dem Vampir, wodurch ich ihn deutlich erkennen und analysieren konnte. Seine Größe überschritt meine um höchstens sechs Zentimeter und seine ganze Gestalt wirkte eher schwächlich, fast ein wenig feminin. Seine Haare waren schwarz und ordentlich nach hinten frisiert, was mich vermuten ließ, dass es sich um ein sehr eitles Wesen seiner Gattung handelte. Wie sollte ich seinen Kleidungsstil beschreiben? Er trug ein schlichtes Shirt, eine Lederjacke, dazu passende dunkle Stiefel und eine schwarze Jeans. Die relativ schlanken Arme schienen mit Tattoos verziert zu sein und sein Hals wurde von zwei Ketten geschmückt. Aufgrund der Entfernung konnte ich sein Gesicht nicht allzu deutlich erkennen, aber da dies im Umkehrschluss bedeutete, dass uns genug Distanz voneinander trennte, beschwerte ich mich darüber nicht weiter.  
»Loresti [Miststück]«, rief der unbekannte Vampir mir zu und ließ seine Stimme dabei beben, als wollte er, dass meine Knie alleine durch seine Worte zitterten.
Unbeeindruckt blickte ich zu ihm hinüber, blinzelte ein paar Mal und stieß anschließend einen provozierenden Gähner aus. Meine Anspannung ließ langsam nach und wich meinem natürlichen Kampfinstinkt. Entweder würde ich in Würde sterben oder diesen Vampir töten. Eine weitere Option ließ ich mir gar nicht erst offen.
Seine Worte sollten mich beleidigen, aber wer bildete sich etwas auf die Meinung des Feindes ein? Neben unserer Sprache, wurde auf dem vampirisch besiedelten Teil der Erde “Vareski” gesprochen und aufgrund einiger TV-Sendungen wusste ich, dass er mir gerade eine Abfälligkeit um die Ohren geworfen hatte. Reife schien nicht seine Stärke zu sein. Ich wollte mir seine Dreistigkeit dennoch nicht kommentarlos gefallen lassen und erwiderte mit den paar Worten Dukio die ich sprach: »Wollo de amfeo ano haw dio Angeo?« [Wollen wir anfangen oder hast du Angst?] 
Das übertraf schon fast mein angeeignetes Wissen, aber es schien ihn überzeugt zu haben, da seine Mundwinkel sich nach unten senkten, als hätte ich seine Mutter beleidigt. Wer wusste schon, ob ich das nicht sogar getan hatte. Vielleicht wollte ich auch einfach eine Pizza bei ihm bestellen. Meine Sprachkenntnisse passten schließlich auf eine Din A6 Seite.
Meine Worte reizten ihn derartig, dass er mit einem Satz auf mich zugesprungen kam. Schnaufend warf ich mich zur Seite und versuchte mich eilig wieder aufzurappeln, aber ehe ich es schaffte auch nur ansatzweise aufzustehen, kniete er bereits über mir.
»Sehe ich etwa ängstlich aus?«, zischte er und seine hellgrünen Augen funkelten mich zornig an.
Sein Gesicht war noch attraktiver als der Rest von ihm. Jetzt verstand selbst ich, wieso Marinea mir gesagt hatte, dass ich mich nicht von ihm um den Finger wickeln lassen sollte. Er grinste, da mir meine Angst ins Gesicht geschrieben stand. Mein Herz begann erneut zu rasen und mein Puls bewegte sich in einen ungesunden, arrhythmischen Bereich. Seine spitzen Schneidezähne kamen zum Vorschein, als er seine Mundwinkel zu einem dreckigen und hämischen Lächeln hochzog. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass diese Zähne sich gleich in meinen Hals bohren würden. Mit aller Kraft die ich besaß riss ich meine Arme nach oben, die er gewaltsam hinunter drückte und warf ihn mit einer kurzen Handbewegung gegen den nächsten Baum. Wenigstens diese Fähigkeit schien mich heute nicht im Stich zu lassen.
»Du siehst jetzt auf jedenfall weniger gestriegelt aus«, keuchte ich angestrengt und begab mich dabei zurück auf meine wackeligen Beine.
Mein Blick ruhte weiterhin auf ihm, während ich mich, nach Luft ringend, auf meinen Knien abstützte, als wäre ich eine alte Frau. In einer Geschwindigkeit die ihn für mich unsichtbar machte, bewegte er sich tänzerisch um mich herum. Er wollte verhindern, dass ich seinen nächsten Angriff kommen sah, aber dies unterband ich, indem ich meine Augen schloss und mich auf meine ausgeprägteren Sinne verließ. Sobald der dunkelhaarige Vampir ein weiteres Mal auf mich zugesprungen kam, was ich an dem dumpferen Geräusch des Auftritts erkannte, riss ich meine Augen wieder auf, hielt ihm meine Hand entgegen und schleuderte ihn mit einer Feuerkugel nach hinten.
Beeindruckt starrte ich in meine rötlich leuchtende Handfläche. Hatte ich gerade wirklich die Macht des heiligen Feuers genutzt? Gehörte ich zu den Auserwählten?
Mein attraktiver Gegner fauchte leise, so dass ich mir keine weiteren Gedanken darüber machen konnte. Er erhob sich langsam vom Boden und putzte seine Kleidung ab. Sein ehemalig graues Shirt war nun mit schwarzem Russ bedeckt und seine schlichte schwarze Jeans wies unzählige Brandlöcher auf.
»Die Hose war teuer«, motzte er und grinste schief, wodurch erneut einer seiner spitzen Reißzähne zum Vorschein kam, die nur halb so lang waren, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
»Eventuell hättest du dich passender kleiden sollen, Aluka«, meinte ich daraufhin nur schnippisch und wunderte mich, wie leicht es mir plötzlich fiel einen ebenso abwertenden Tonfall wie er an den Tag zu legen.
»Ich dachte mir, dass du es mir in diesem Outfit leichter machen würdest«, erwiderte er voller Süffisanz und verschränkte dabei arrogant seine Arme ineinander.
»Sind wir hier um über dein Aussehen zu reden oder uns gegenseitig umzubringen?«, fragte ich, um mich nicht unfreiwillig auf die Anspielung einzulassen, dass er mich mit Leichtigkeit für sich gewinnen könnte, wenn er es darauf anlegen würde.
»Macht dich meine Erscheinung nervös?«
Er strich über seine Brust und schnalzte kurz verführerisch mit der Zunge. Versuchte dieser armselige Vampir tatsächlich mich auf diesem billigen Wege aus der Fassung zu bringen? Sah ich aus wie ein Flittchen? Unnauffällig schielte ich an mir hinab, um nachzusehen, was ich trug, aber weder mein dunkles Shirt, noch die hochgeschnittene Hose ließen darauf schließen, dass ich ein leichtes Opfer wäre.
»Das habe ich nie behauptet.«
»Ich kann es an deinen Augen erkennen, wie sie mir folgen. Dieser schmachtende Blick«, sprach er in einem Ton, der fast teuflisch klang, aber mir lediglich einen sarkastischen Lacher entlockte.
Offenbar hatte er mit einer anderen Art Frau gerechnet, wenn er davon ausging, dass diese lahme Nummer bei mir zog. Natürlich handelte es sich bei ihm um eine ansehenswürdige Person und normalerweise fände ich auch sein übertriebenes Ego interessant, aber sicherlich nicht, wenn es um mein Leben ging. Am liebsten hätte ich den Boden unter ihm wortlos zum Beben gebracht, aber es funktionierte nicht.
»Lass es gut sein. Du bist nicht mein Typ.«
Sein Grinsen wurde noch breiter. Mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck drückte er sich seinen schmutzigen Zeigefinger an seine Schläfe und beobachtete mich, als wollte er auf diese Weise meinen Schwachpunkt finden.
»Das ist sehr interessant. Ich dachte, dass ich gerade auf wilde Frauen ansprechend wirke.«
Sein Unterton nahm einen süffisanten Klang an, weil er sich wusste, dass mich dieses lächerliche Verhalten provozierte.
Genervt verdrehte ich meine Augen und plötzlich, in nur diesem einen kurzen Moment der Unachtsamkeit, kam er auf mich zu gerannt. Kraftvoll warf er mich gegen den hinter mir stehenden Baum. Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen Körper und ich hustete erschöpft. Etwas rotes, dickflüssiges lief an mir hinab. Mein Blut. Es strömte in Mengen aus meinem Kopf und bedeckte innerhalb von wenigen Sekunden meine Hände, die ich keuchend auf die Wunde presste. Mit letzter Energie rappelte ich mich wieder auf und richtete meine Augen zurück auf sein herrliches Gesicht.
»Hm, wer wird wohl der Verlierer dieser Prüfung sein?«
Für ihn war diese Frage rein rhetorisch, doch mein Leben war mir zu lieb, als dass ich so schnell aufgeben würde.
Durch meine nachtschwarzen Wimpern, schaute ich von unten zu ihm auf und grinste ähnlich wie er es zuvor getan hatte. Daran hinderte mich nicht einmal mein schwindendes Bewusstsein. Mit einer einzigen Handbewegung schleuderte ich ihn in den Dreck und drückte ihn so fest wie ich es schaffte in den nassen, matschigen Boden. Meine Kräfte fesselten ihn und übernahmen die Kontrolle über seine Gestalt.
»Du, wer sonst?«
Diesmal war er es dessen Augen angstgeweitet waren und es beruhigte mich auf eine gewisse Art, dass er doch etwas wie Empfindungen besaß. Meine Prüfung schien so gut wie bestanden. Ich müsste nur noch meinen Zeige- und Mittelfinger in seinen Hals rammen und er würde zu Staub zerfallen. Doch … Ich empfand Mitleid. Tiefes Mitleid, trotz dessen, dass ich wusste, dass es falsch war.
»Mach schon oder willst du mich foltern?«, sprach er mit gequälter Stimme, obwohl seine Schmerzen nicht annähernd mit meinen zu vergleichen wären.
Das Blut, das aus der Wunde an meinem Hinterkopf lief, tropfte auf seine Kleidung und sein Gesicht. Es wunderte mich, dass es keinerlei Reaktion bei ihm auslöste.
Sein Blick wurde zärtlich, fast einfühlsam, als sich Tränen in meinen Augen bildeten, weil ich es einfach nicht übers Herz bringen konnte ihn zu töten.
»Wir haben fair gekämpft und du hast gewonnen. Nun verrichte schon dein Werk. Es ist okay so, nur bitte lass mich nicht zu lange warten.«
In einer schnellen Bewegung stand ich auf und ging ein paar Schritte davon. Tränen rannen über meine Wangen und ich schüttelte langsam, wenn auch deutlich meinen Kopf.
»Ich kann das nicht. Kapierst du das nicht? Ich schaffe es einfach nicht jemanden umzubringen ohne einen wirklichen Grund zu haben. Bring mich um, dann habe ich es wenigstens hinter mir.«
Die letzten Worte verschluckte ich, war mir aber sicher, dass er sie verstehen würde. Ich löste den Zauber von seiner Gestalt und drehte ihm den Rücken zu.
»Kurz und möglichst schmerzlos.«
Seine Schritte näherten sich mir unsicher. Seine linke Hand legte sich an meine Hüfte, während die Finger seiner Rechten mein Haar zur Seite strichen. Ich spürte seinen süßlichen Atem in meinem Nacken und seine unnatürliche Kälte auf meiner Haut. Seufzend schloss ich meine Augen und wartete darauf, dass es geschah.
»Mach das Beste aus dem Leben, das ich dir gelassen habe und sag meiner Schwester dass ich sie liebe. Sie steht dort hinten«, bat ich ihn, als ich seine Lippen und zwei scharfe Zähne meinen empfindlichen Hals berührten.
Ich vernahm ein leises Ächzen von ihm. Sein Mund schloss sich wieder und er wich ein paar Schritte von mir zurück.
»Geh, sofort. Warte keine Sekunde.«
In einer einzigen, grazilen Drehung wandte ich mich zu ihm um, so dass mein Haar im kühlen Wind wehte. Sein Blick schien gequält und seine Lippen waren voller Beherrschung aufeinander gepresst.
»Danke«, flüsterte ich vollkommen entkräftet.
»Lauf so schnell du kannst, bitte.«
Nickend verschwand ich, ohne auf eine weitere Aufforderung zu warten, in den Wald, wo meine Schwester mich empfing. Noch einmal schwenkte ich zu ihm um. Er kniete auf dem Boden und versuchte gegen das anzukämpfen was er war.
»Lass uns gehen«, schrie meine Schwester und packte mich am Arm. 
Ihr Gesicht war tränenüberströmt und erst als sie mich hinter sich herschleifte wurde mir bewusst, was ich eigentlich gerade getan hatte. Fast hätte ich meine Familie alleine gelassen, genau wie mein Vater viele Jahre zuvor und das nur wegen eines Vampirs, den ich nie wieder sehen würde.
Marinea schwang sich auf Fireball und zog mich mit zu sich hinauf. Gemeinsam flogen wir zurück nach Herotal, um zwischen den Hexen Schutz zu suchen. Wir erzählten die gesamte Geschichte meiner Mutter, aber sie machte eher einen geschäftigen Eindruck, als dass sie sich ärgerte oder sorgte. Vermutlich verbarg sie all ihre Gefühle unter ihrer professionellen Miene, um mich nicht aus dem Haus zu jagen oder mir eine Ohrfeige zu erteilen. Marinea kümmerte sich um die Versorgung meiner Wunden, jedoch spürte ich deutlich, dass es sie Beherrschung kostete mir keine Predigt zu halten. Aufgrund meiner gescheiterten Prüfung würde ich niemals auf das Buffington gehen können und anscheinend hielt meine Schwester das bereits für eine angemessene Strafe. Zwar murmelte sie immer wieder, dass meine Gabe, die Macht des heiligen Feuers, verschwendet an mich wäre, aber anstatt darüber erbost zu sein, stimmte ich ihr zu. Was sollte ich mit dieser Fähigkeit, wenn ich niemals lernen würde sie richtig zu nutzen? Wie würde mein Leben überhaupt weitergehen?
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1. Einführung in den Hexentum
»Evelina van Rossouw«, drang mein Name durch die großen, goldenen Hallen, so dass ich aufschrak und mich fragend umblickte. War ich denn schon dran? »Evelina van Rossouw«, wiederholte die Person sich und klang dabei bereits deutlich energischer. Die Stimme meiner Mutter erklang an meinem Ohr und zischte mir in einem flüsternden Tonfall zu, dass ich gehen sollte, da ein Jungspund, wie ich es war, keine der obersten Hexen warten ließ. Mein Herz hämmerte arrhythmisch gegen meinen Brustkorb und ich wusste, dass alle im Saal es hören konnten, denn jeder hier besaß unglaublich feine Ohren. Ich hoffte nur, dass sie mir meine Aufregung nicht allzu übel nehmen würden, da dieser Tag ein ganz besonderer war. Ab dem nächsten Schuljahr dürfte ich endlich, genau wie meine große Schwester Marinea, das Buffington Hexeninternat besuchen. Doch die Einführung zu einer Junghexe wartete noch auf mich. Mit vorsichtigen, kleinen Schritten schwebte ich über den schwarzen Teppich, der auf einem goldenen Untergrund lag. Diese Farbkombination war unser Zeichen. Das Zeichen dafür, wie gefährlich Unseresgleichen sein könnten, wenn sie sich nicht so zivilisiert verhielten wie wir es taten. Die anderen geladenen Gäste blickten erwartungsvoll auf mich herab und ich ging ein bisschen schneller, bis ich schließlich vor meinem großen Vorbild Olga Stuarts stand. Sie war der Oberste Hexenvorstand und der Fähigkeit des heiligen Feuers mächtig. Nur sehr gute, von unserer Göttin Castanea bereits im Kindbett ausgewählte Hexen konnten diese Magie erlernen. Olga stand kurz davor die 350 Jahre zu überschreiten, aber ihre äußere Erscheinung glich weiterhin der einer 20 Jährigen, wenn man von den grauen Haaren absah, die sie streng zu einem Dutt gebunden hatte.
Ihre papierene, schlanke Hand legte sich auf meiner Schulter ab und ihre blauen Augen drehten sich nach innen, so dass von ihrer Iris nichts übrig blieb. Ein kalter Schauer rann meinen Rücken hinab und ein leichtes Gefühl von Übelkeit breitete sich in meinem Magen aus, das ich jedoch zu ignorieren wusste. Mit französischem Akzent und einer mechanischen, dämonischen Stimme, raunte sie an mich gewandt: »Liebe Evelina Timea van Rossouw, nun wirst auch du in den Hexenzirkel eingegliedert. Ich sehe Macht, Liebe, Leidenschaft und große Abenteuer in deiner Zukunft. Du wirst Wege bestreiten, die noch nie einer vor dir betreten hat und vielen unserer Art ein neues Leben schenken. In dir schlummern viele Fähigkeiten und die solltest du nutzen. Alles Gute für deine Reise als vollwertige Hexe und mögen all deine Ziele in Erfüllung gehen. Lass mir dir nun ein kleines Geschenk überreichen.«
Ihre Augen nahmen wieder die bläuliche Farbe an, ihre Stimme verlor den unheimlichen Klang und ihre schlanke Gestalt wandte sich von mir ab. Sie schob ihre langen, dürren Finger in einen braunen Bastsack und murmelte etwas auf „Dukio“ unserer weltweit verbreiteten Hexensprache. Zu jedem neuen Mitglied im Hexenzirkel sagte sie das Gleiche, das seit 200 Jahren. Irgendwann würde mir das zu anstrengend werden. Madams Stuarts drehte sich mit geheimnisvoller Miene zu mir, ehe ich weiter über ihre Arbeit nachdenken konnte und neigte ihren Kopf geschäftig zur rechten Seite hin. »Halt deine Hand auf«, befahl sie mir und ich gehorchte widerspruchslos. Etwas Kleines mit Flügeln und blauen Schuppen rannte auf meiner Handfläche im Kreis herum. Neugierig hielt ich es näher an mein Gesicht und beobachtete es. Es schien hilflos und zugleich vergnügt. »Das ist ein Wasserdrache, bitte gib ihm einen Namen«, sagte sie in einem ruhigen, jedoch strengen Ton. »Sofort?«, fragte ich mit einem entsetzten Unterton, da ich mir über so etwas gar keine Gedanken gemacht hatte. Danke Mama für die Warnung. »Wir müssen ihn doch taufen«, erwiderte sie und lachte dabei beherzt auf. Einen Moment ließ ich mir Namen durch den Kopf gehen. Der Drache meiner Schwester hieß “Fireball” und der meiner Mutter “Earth”, also kamen ähnliche Namen wie diese schon einmal nicht in Frage. »Wie wäre es mit Triumphalis?«,beantwortete ich Olga, die mich bereits ungeduldig ansah, endlich ihre Frage. »Ein sehr schöner Name«, meinte sie darauf und hielt ihn in eine kleine mit Pentagrammen verzierte, vergoldete Schale. Er fauchte leise, war aber noch zu jung um sich wehren zu können. Unsere große Meisterin brachte einen weiteren Satz auf Dukio heraus, den ich leider noch nicht verstand und legte mir anschließend meinen Drachen wieder in meine Handfläche. Feucht und kalt war er, schüttelte sich vor Nässe. Ich steckte ihn in meine große Jackentasche und ließ ihn mit dem Kopf hinausschauen, damit er nicht froh, aber genügend Luft zum Atmen bekam. »Er wird es gut bei dir haben, das sehe ich. Setz dich bitte wieder zu deiner Mutter«, sprach sie freundlich und zugleich distanziert, als wäre es unprofessionell Emotionen zu zeigen. Wie meine Mutter es mir hunderte Male vorher gesagt hatte, verbeugte ich mich und ging davon. Bis der nächste an der Reihe war, starrten mich noch ein paar erfahrene Hexen an. Sicherlich fragten sie sich wo mein Vater war oder woher meine rosafarbene Mähne kam, doch all das wussten wir selber nicht. Wir hatten zuletzt vor zehn Jahren, kurz vor einem Vampirangriff, von unserem männlichen Oberhaupt gehört und meine seltsame Haarfarbe trug ich, ebenso wie meine Schwester ihr helles Türkis, bereits seit meiner Geburt. Nach zwei weiteren langweiligen Stunden wurde endlich eine Pause gemacht und ich floh vor die Tür. Zwei andere Meinesgleichen standen dort und wendeten sich mir zu, sobald sie mich kommen hörten. Sie schienen in meinem Alter zu sein. Die große Eisentür fiel hinter mir zu und obwohl es in Strömen goss schlug ich nicht wieder den Gang ins Innere ein. Die beiden, ein Junge und ein Mädchen, waren schon komplett durchnässt. »Wie heißt ihr?«, sprach ich sie mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht an, um sie nicht direkt mit meiner zynischen, gleichgüligen Art zu überfordern. Der Junge reichte mir die Hand, bereitwillig ergriff ich diese, obwohl ich Berührungen eher vermied. »Mein Name ist Niclas Montgomery, nett dich kennen zulernen.« Er hatte kurzes braun-blondes Haar, darauf abgestimmte braune Augen und war etwas kleiner als meine Wenigkeit. Ich ließ seine Hand los und das Mädchen schaute schüchtern auf den Boden, da ihr nun wohl klar wurde, dass sie sich nun ebenfalls vorstellen müsste. Anscheinend schien sie ein wenig Soziophob und unsicher zu sein, aber wer konnte ihr das bei der heutigen Gesellschaft schon verdenken? Es dauerte einen Moment, bis sie sich schließlich überwandte und leise murmelnd stammelte: »Ich bin Christine Willoghby und wer bist du?«
Obwohl ihre schwarzen Haare nicht einmal ganz schulterlang waren, hatte sie diese zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ihr Gesicht war etwas ründlich, aber dennoch definiert. Ihren Kleidungsstil würde ich als Gothik-Schick mit mädchenhaften Einflüssen bezeichnen. Niclas wirkte neben ihr, trotz seiner freundlichen Ausstrahlung, vollkommen unscheinbar. »Evelina van Rossouw, ihr geht nächstes Schuljahr auch aufs Hexeninternat?«, stellte ich mich vor und sprach direkt dir erste Schlussfolgerung aus, dir mir in den Sinn kam. »Ja, mein größter Traum wird endlich wahr«, beichtete Niclas, der seinen Überschwall von Gefühlen kaum zügeln konnte. »Wirst du gebracht oder fährst du mit dem Zug?«, erwiderte diesmal Christine und schaute leicht auf, woraufhin ich lächelte. »Mit dem Zug.« »Wir auch. Hättest du Lust dich uns anzuschließen und im selben Abteil zu fahren? Dann würden wir vorher auch dich warten«, schlug Niclas vor und Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. »Sehr gerne.« Ich hatte keine sonderlich große Absicht alleine zu fahren, weswegen es mir fast gelegen kam diese zwei Gleichaltrigen getroffen zu haben, die nicht sofort unsympathisch auf mich wirkten. »Kommt ihr bitte wieder rein. Es geht weiter«, sagte eine Ratsvorsitzende zu uns und wir folgen ihr zurück zu unseren Plätzen. Meine Mutter schien sich über etwas zu ärgern, da ihre Lippen zu einer strengen Linie gepresst waren und sie steif geradeaus schaute, was sie immer nur dann tat, wenn ich ihre Wut nicht sehen sollte. »Was ist los, Mama?«, fragte ich in einem besorgten Tonfall. »Nicht so wichtig«, erwiderte sie mit gedämpfter und beherrschter Stimme. Damit war das Gespräch beendet, das wusste ich. Gelangweilt lehnte ich mich zurück in den alten Stuhl. Er war kalt und steinhart, genau wie der Rest dieses Schlosses. Es gehörte Olga und ihrem Ehemann, den man als Hexe, außerhalb des Rates nie zu sehen bekam. Es wurde sogar gemunkelt, dass er bereits seit vielen Jahren nicht mehr am Leben sei, aber Olga ihre Einsamkeit nicht preisgeben mochte. Diese ganze Unterkunft, in der wir uns gerade befanden, war bekannt unter dem Namen Blocksberg. Die meisten Menschen stellten sich darunter einem Berg mit unterirdischer Höhle vor, aber das wurde ihnen nur durch schlecht gemachte Hexenfilme vermittelt. Zu unserem Schutz berichtigten wir diese Annahme jedoch nicht, wobei einige andere Gerüchte doch ziemlich irrwitzig waren. Wir flogen weder auf Staubsaugern oder Besen, noch hatte jeder von uns eine riesige Warze auf der Nase … vollkommen absurd. Eine Hexe nach der letzten Hexenprüfung musste nur mit den Fingern schnipsen und schon befand sie sich an dem Ort zu dem sie wollte. Außerdem benutzen wir keine Zaubersprüche, da wir dies den “Unwürdigen” überließen. Menschen, die sich an der dunklen Magie versuchten. Die Sterblichen bezeichneten sie als „Zauberer“. Und unsere Optik konnte genauso variabel sein, wie die jedes anderen Wesens. Es gab an unserer Erscheinung nichts Markantes, was uns als Hexen ausmachte.
Gegen 2 Uhr morgens fand der „Verabschiedungszauber“ statt. Die Junghexen, die dieses Jahr ins vierte Jahr kamen, versammelten sich auf der Bühne und erschufen gemeinsam eine magische Farbenpracht. Glitzer flog über unsere Köpfe hinweg und Regenbögen explodierten, aber mein Augenmerk lag alleine auf einer Person. Vielleicht wirkte ich oftmals unterkühlt und desinteressiert, jedoch hieß das nicht, dass ich mich nicht zu jemandem hingezogen fühlen konnte. Doof gelaufen, wenn dieser Mensch oder in diesem Falle Hexer, dich lediglich als Freundin sah und eine andere Frau bevorzugte. Ein kleiner Seufzer drang über meine Lippen und meine Laune verschlechterte sich schlagartig. Ich wollte meinen Blick senken und an etwas anderes denken, aber ich hatte ihn die Sommerferien über nicht gesehen, wie sollte ich da meine Augen abwenden können? Sein wuscheliges, hellbraunes Haar wirkte etwas länger und seine Armmuskulatur deutlich ausgeprägter. Offenbar war ihm ein kleines Bäuchlein gewachsen, aber die Kilos standen ihm gut und sein Dreitagebart schien definierter zu sein. Viele Frauen begehrten ihn und nach seinen vielen wechselnden Partnerschaften, war er nun bereits seit ein paar Monate mit der widerlichen Cinderella Dalton liiert. Vermutlich dürfte ich mir bald wieder anhören, was für ein Miststück sie sein konnte, aber was sollte ich dazu sagen, wenn er die guten Frauen immer übersah? Mich zum Beispiel. Ich spielte mit dem Gedanken meinen Kopf gegen den Stuhl vor mir zu schlagen und ohnmächtig zu werden, aber das wäre vermutlich kein sonderlich beeindruckender Auftritt. Nach zehn Minuten endete das Farbenspektakel und Olga beendete die Veranstaltung mit einer Rede auf Dukio. Niemanden störte es, dass der Großteil der Gäste diese Sprache noch nicht verstand. Langsam erhoben sich die vordersten Sitzreihen und strömten durch den Haupteingang nach draußen. Ich suchte noch Niclas und Christine, ehe ich ging, um mich von ihnen zu verabschieden. Nachdem ich das getan hatte, hielt ich mich an meiner Mutter fest, die uns nach Hause teleportierte. Nur einen Tag später war dann auch schon die Anmeldung für das Buffington da. Mit meiner Schwester zusammen füllte ich die Dokumente aus und ließ anschließend unsere weiß-braune Eule Noctua los, um den Brief abzuliefern. Eine Woche später flog der Termin zur Aufnahmeprüfung, in Form einer schwarzen, mies drein blickenden Eule namens Rabia, herein, worüber ich mich wie ein kleines Kind freute, denn nicht jeder bekam diese Chance. Natürlich wusste ich nicht, ob ich es aufgrund meines Könnens oder wegen des Ratsranges meiner Mutter versuchen durfte, aber ich würde gewiss alles geben, um ihnen zu zeigen, dass es sich bei mir um eine vorbildliche Kämferin handelte. Nur Hexe mit einem Anzeichen zu Talenten und Leute mit viel Geld bekamen die Möglichkeit sich weiter zu entwickeln. Bei mir handelte es sich jedoch nicht um ein Wesen, das lediglich aufgrund ihres Namens gefürchtet werden wollte. Mir war es wichtig stark zu werden, um unsere Gesellschaft und unsere Art schützen zu können. Meine Schwester Marinea war fast mit ihrem zweiten Jahr durch und sie schien gute Forschritte zu machen. Es standen bereits einige Trophäen für Heilkunde in unserem Regal und an unser Wand im Wohnzimmer prangte eine goldene Urkunde mit der Aufschrift „Schülerin des Jahres 2900“. Die Lehrer waren begeistert von ihr und natürlich hoffte ich einen ähnlichen Eindruck zu hinterlassen. Triumphalis war inzwischen schon ein ganzes Stück gewachsen und schlief mit bei mir im Bett, obwohl meine Mutter dagegen war. Fütterung führte ich per Hand mit toten Mäusen durch. Auch wenn es sich ekelig anhört, war es für eine Hexe ganz normal. Mit meiner Mutter, die übrigens Elizavetha hieß und Marinea lernte ich die zehn wichtigsten Hexenregeln auswendig. Sie unterschieden sich nicht sehr von den menschlichen christlichen Geboten, wobei der Schwerpunkt darauf lag keinerlei Beziehungen mit einem “Aluka” auch Vampir genannt, einzugehen und die Unbeliebtheit aller Hexen nicht noch zu verstärken. Die Regeln kamen mir nicht schwer einzuhalten vor. Obwohl ich noch nie einen Vampir getroffen hatte, war ich mir sicher den Erzählungen unserer weisesten Mitglieder glauben schenken zu können und in solch ein unberechenbares, dunkles Wesen könnte ich mich niemals verlieben. Alle anderen Regeln brachen höchstens Mörder, Verräter oder Ungläubige und dazu gehörte ich keinesfalls. Es gab zwar ein paar Vorschriften über die ich mich nur wundern konnte, wie dass Olga beschlossen hatte, eine Hexe müsste vorher heiraten, um den Partner berühren zu dürfen. Castanea hätte dies angeblich im Schlaf zu ihr gesprochen. Ich zweifelte diese Behauptung an, aber da das als Hochverrat galt, sprach ich diesen Gedanken nicht aus. Castanea, die Hexengöttin an die wir glaubten, soll wunderschön und übermächtig stark gewesen sein. Außerdem soll sie uns von den Aluka befreit haben. Die Blutsauger, was auch die Bedeutung von “Aluka” ist, glauben an den Gott Ravyn. Er und Castanea waren die größten Feinde und verboten jeweils ihren Völkern mit der anderen Art in Kontakt zu treten. Jeder der gegen diese Regel verstieß musste getötet werden. Dieses Gesetz war bis heute in Kraft und wurde vom Hexenrat unnachgiebig durchgesetzt. Sechs Monate bevor man auf das Internat gehen durfte, musste man die Aufnahmeprüfung absolvieren, die sich “Fluch der Vampir” schimpfte. Es ging darum einem Vampir gegenüber zu treten und ihn zu vernichten. Natürlich machten die Aluka das ebenfalls nicht freiwillig, auch bei ihnen handelte es sich um eine Prüfung. Wahrscheinlich hielten uns viele, durch diese Art das Können zu testen, für brutal und herzlos, aber der Krieg herrscht inzwischen seit vielen Jahren, wobei es auch gegenwärtig noch immer um Leben und Tod ging. Meine Furcht vor der Prüfung war groß, weil ich nicht hervorsehen konnte, was für ein Charakter mir gegenüber stehen würde und ob er eventuell brutaler wäre als ich. Ich bevorzugte psychischen Schmerz und mied körperliche Handgreiflichkeiten, aber für diese Prüfung müsste ich alle Berührungsängste und Unsicherheiten ablegen. Marinea hatte ihre Prüfung, trotz ihres großen Herzen, ohne große Zwischenfälle abgeharkt. Doch ihr Ehrgeizig übertraf meinen geringen Eifer um Welten. Ihre Zukunftspläne waren ihr Ansporn und ihr Antrieb. Bereits seit ihrer Kindheit verfolgte sie den Traum eine weiße Hexe zu werden und Wesen jeglicher Art mit ihren Fähigkeiten zu retten. Dafür würde sie alles tun. Ich dagegen hatte noch keine festen Vorstellungen von meiner Zeit nach dem Buffington, außer dass ich nicht dasselbe wie Marinea machen wollte, da mir dies zu langweilig und zu vorbildlich erschien. Außerdem durchfloss meinen Körper fast ausschließlich dunkle Magie und den Worten einer der Ältesten nach, schlummerte eventuell sogar ein Funke roten Zaubers in meinen Adern. Eine seltene Gabe, die einer noch geringeren Anzahl unserer Art die Macht des heiligen Feuers schenkte. Meine Kräfte waren noch sehr schwach und ich hatte nur die Fähigkeiten, Leute ohne sie zu berühren durch die Luft zu schleudern und kleinere Erdbeben zu erzeugen. Der Vorteil meiner Schwester war, dass sie bereits vor ihrer Prüfung Wasserbälle werfen, Gegner zu Eis gefrieren und diese lähmen konnte. Darum beneidete ich sie jetzt. Ob ich es schaffen würde einen Vampir, auch wenn dieser noch sehr jung und unerfahren war, zu töten vermochte ich deutlich zu bezweifeln, was ich jedoch vor meiner Familie verschwieg. Ich versuchte positive Gedanken in meinen Kopf zu hämmern, denn um letztendlich im Buffington aufgenommen zu werden, musste ich diese Prüfung als letztes Hindernis überstehen und ich wollte unbedingt an dieses Internat. Die Sorge bei dieser Prüfung zu sterben kam mir wie mein geringstes Problem vor.
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