Tumgik
pontati · 5 years
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“Warum unbedingt Schottland?”
 Fast jeder fragte mich das. “Da regnet es doch immer und es ist kalt!” - “Ja, genau darum will ich da hin. Ich hasse Hitze.” Der dritte Sommer war das jetzt, an dem ich mich tagsüber fast nur noch drinnen aufgehalten habe, weil ich keine Hitze vertrage.“ Vermutlich war ich mal Eskimo”, sagte ich bisher immer. Seit Januar sieht alles anders aus, denn da kam mein Ergebnis von “My heritage”. Es haute mich quasi um. 10 Generationen zurück entstamme ich zum Großteil dem britischen Inselreich. Und jetzt bin ich also hier. Foyers am Loch Ness. Mittwoch, 9.10.2019
Samstag, 5.10.2019 Als ich mich nochmal umdrehe und das Häusl absperre, rutscht mir ein “Goodbye” heraus. Normalerweise würde ich ja “Ciao” oder “Servus” sagen. Die Hunde laufen draußen rum und spielen, die Tür vom großen Haus ist abgeschlossen. Kann nicht warten, ich hatte Leo gesagt, dass ich gegen 20.00 Uhr in Königswinter bin. Ich pfeife Monte zum Auto. Fahre los, ohne mich von meinem Vermieter Christoph zu verabschieden. Ich komme ja wieder.
Nach 600 km und zwei Pausen komme ich pünktlich an; die letzten 500 Meter war ich zu schnell dran. Rotes Flash. Mist! Leo holt mich mit ihrer Hündin “Musca” vom Parkplatz ab. Vor Kurzem hat sie ihr Haus im Oberbergischen verkauft. Sie, die man eigentlich immer irgendwo im Garten graben sah. Mitten in die Stadt ist sie gezogen. In die Fußgängerzone sind es 20 Meter, zum Rheinufer sind es 100 Meter. Ein heimeliges Fachwerkhaus von 1790 auf drei Etagen verteilt. Welch ein Kontrast. Aber es passt gut zu ihr und ich merke, wie wohl sie sich da fühlt. Zur Feier des Abends trinken wir Kölsch! Es tut so gut, sich mit Leuten von früher auszutauschen. Resümees zu ziehen und immer wieder so feine Nuancen von Altersweisheit bestätigt zu finden. Ich erzähle ihr von diesem Ferienjob in München. 1979 war das. Ich arbeitete bei einer Firma, die Feuersicherheitssysteme entwickelte. Die Crew war international. Der Chef war Franzose, die anderen waren Engländer und Italiener. Die Kommunikation fand weitgehend auf Englisch statt. Nach zwei Wochen konnte ich mich fließend unterhalten. Patrick, der Chef, brachte eines Tages seine kleine Tochter Camille mit. Sie war anderthalb. Seine Frau war ihm davon gelaufen und hatte ihm das Kind dagelassen. Ich kümmerte mich die restlichen zwei Wochen um die Kleine und er war begeistert. Da nicht nur mein Job zu Ende ging, sondern auch ihrer und sie wieder zurück mussten, wollte er mich als Au Pair mit nach Paris und später nach London mitnehmen. Und ich lehnte ab. Ich hatte gerade erst die Zusage für den Studienplatz an der Kunstakademie erhalten und wollte mit meinem damaligen Freund nach Griechenland in den Urlaub, wofür ich ja gerade jobbte. Viele Jahre später bereute ich diese Entscheidung. Ich hatte immer das Gefühl, etwas Wichtiges versäumt zu haben. Und genau das will ich jetzt nachholen. Mit fast 60.
Sonntag, 6.10. Nach der ersten Morgenrunde mit den Hunden frühstücken wir, bzw. ich trinke morgens nur einen knappen Liter Milchkaffee. Ich mache mir eine Semmel mit Leberwurst fertig und packe das Ei mit in die Tüte. Eigentlich wollen wir noch eine Stunde mit den Hunden laufen, aber es hat zu regnen angefangen. Ich entscheide mich zum Losfahren in Richtung Amsterdam zur Fähre. Ein kurzer Abschied und festes Drücken. Wir wünschen uns alles Glück der Welt.
Ich tanke ein letztes Mal in Deutschland. Lese Städtenamen wie Wesel, Bocholt, Hünxe, Kirchhellen. Kenne ich alles. Von 1985 bis 1987 haben wir in Vreden gelebt, wenige Kilometer von der niederländischen Grenze weg. Dort habe ich in der Mauerstraße mein zweites Kind zur Welt gebracht.
Als ich am Hafen ankomme, liegen links und rechts die beiden Fähren. Riesenschiffe sind das. Mein Umweltgewissen hebt gerade einen schwarzen Zeigefinger! Die fahren mit Schweröl. Aber ich mache ja keine Kreuzfahrt. Ich will nach Schottland und habe da was vor. Ja, was will ich da eigentlich! Der Brexit hängt sein Monaten wie ein Damoklesschwert über allem. Wenn er „no deal“ ist, verliere ich meinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld und muss sofort retour nach Deutschland. Dann waren es halt drei Wochen Urlaub in SchottIand, wofür allein schon 800 Euro nur für Sprit und Fähre draufgehen. Beim Einchecken wird der Hundepass weitaus genauer kontrolliert als meine Unterlagen. Am Freitag war ich noch bei der Tierärztin, habe ihm vor ihren Augen das Entwurmungsmittel gegeben und sie hat alles bis auf die Stunde genau in seinem Ausweis vermerkt. Man reicht mir ein Chiplesegerät und ich halte es in seiner Autobox kurz dran. Alles okay. Eine Station weiter wird nochmal mein Ausweis kontrolliert. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Waffe ganz unten drin einzugraben. Die Genehmigung dafür hätte allein bei den Schotten 6 Wochen gedauert. Scherzeshalber fragte ich Pete, wie lange ich dafür ins Gefängnis müsste, wenn sie mich beim Schmuggeln erwischen. “Not sure but years not weeks and weapon confiscated and destroyed”, schrieb er zurück.
Ich gehöre zu den wenigen Reisenden mit Hund. Eigentlich habe ich „Hund im Auto“ gebucht, aber ich darf ihn kostenlos mit in die Kabine nehmen. Eines der Betten habe ich doppelt mit einer Decke abgedeckt und jetzt sitzt er da. Die Motoren drehen auf, das Schiff vibriert und rumpelt. Er sieht draußen alles vorbeiziehen. Ist ihm nicht geheuer. Aber nach einer Stunde ist alles gut. Wir gehen dreimal auf das Hundedeck, wo er pinkeln kann. Das Netz läuft noch einige Zeit, dann ist es tot. Netzjunkies buchen jetzt einen Zugang über die Sat-Anlage. Brauche ich nicht. Ich stromere noch ein wenig auf den anderen Decks rum, gehe ganz rauf in die Sky-Bar, die bei diesem Wetter natürlich zu ist. Ein paar Zur Feier des Tages trinke ich den mitgebrachten Piccolo. Freue mich einfach.
Montag, 7.10. Ich wache mit der Morgendämmerung auf, kurz darauf kommt die erste Durchsage. Erstmal mit Monte auf’s Hundedeck - er pinkelt, will aber keinen Haufen machen. Leider kann man da kaum laufen, es ist relativ eng abgesperrt. Auf der Fähre von Genua nach Tunis waren auch Hunde mit und die Leute konnten auf einem der unteren Decks das ganze Schiff umrunden. Danach lasse ich ihn in der Kabine alleine und gehe bei Starbucks einen Milchkaffee trinken. Es herrscht reger Betrieb, manche ziehen schon ihre Koffer hinter sich her. Die meisten schauen wieder auf ihre Handys, vermutlich gibt es wieder Empfang. Es wird Zeit zu packen. Als ich unten in der Kabine bin, kann ich bereits den Anfang des Hafens vorbeiziehen sehen. Panik! Schnell packe ich alles zusammen, hake die Leine ins Hundehalsband und gehe mit ihm zur Garagentür. Sie ist noch verschlossen. Weitere Passagiere kommen hinzu. Als das Schiff angelegt hat, geht die Tür auf und alles eilt zu den Autos. Monte ist merklich froh, wieder in seine Box zu können. Dann gehe ich in aller Ruhe zurück zur Kabine und hole mein Zeug. Erinnere mich immer wieder an diesen völlig unnötigen Stress damals in Genua und Tunis. Man sitzt nämlich eine halbe Ewigkeit im Auto und wartet, dass man ausfahren kann. In dieser Zeit könnte man auch 20 Hunde oder Kinder einzeln zum Auto bringen.
Irgendwann sind wir draußen, reihen uns in verschiedene Schlangen ein. Es regnet in Strömen. Die Geländeautos halten alle am Zollgebäude. Aha. Jäger tragen ihre Waffen rein. Die haben das besser geplant. Ein Mann in einem Häuschen kontrolliert meinen Ausweis. “How are you?”, fragt er und lächelt breit. “Are you moving?” und deutet auf das Olivenbäumchen. Ich lächle zurück und sage “Maybe. But I have to wait for the Brexit.” Er verdreht die Augen und lacht, wünscht mir alles Gute. Dann fahre ich los. Große Schilder stehen da. Links fahren! Ich konzentriere mich, stelle mir vor, auf einer Eisenbahnschiene zu fahren, immer drauf zu bleiben. Egal, wie breit die Straße ist. Es fällt mir nicht schwer, denn ich bin eh eine Linke und ich fühle mich wohl in der Linkswelt. Als ich vor drei Jahren nach Cardiff geflogen bin und dort in ein Mietauto stieg, war es für mich, als sei ich nie anders gefahren. Der Umstieg zurück in Deutschland dauerte damals fast eine Woche, obwohl ich das Auto in Wales nur drei Tage fuhr.
Ich halte an einem breiten Grünstreifen, lasse Monte raus. Aufgeregt schaut er umher. Seine Nase vibriert, er fährt mit ihr wie wild in der Luft rum und dann hat er sie am Boden, rennt los, ich hinten an der Leine wie so ein unbedeutendes Anhängsel. Irgendwann kann er sich am Zaun endlich lösen. Ich sammle sein Geschäft ein und werfe die Tüte in den gut gefüllten Mülleimer an einem Laternenpfahl. Hinterlassenschaften der europäischen Festlandhunde. Die Jäger rauschen vorbei; einige reißt es, als sie Monte sehen. Tja. Ihr: Gewehr. Ich: Hund! Ein junges Paar mit Kleinkind steht auch da. Sie ist Deutsche und redet mit der Kleinen deutsch. “Hund! Hund!” sagt sie immer und zeigt auf ihn. Als der Mann hinzutritt, wirft Monte sich sofort an ihn ran. Er liebt einfach Männer! Sie lachen, als ich ihnen das erzähle.
Als ich ca. zwei Stunden später die Grenze zu Schottland passiere, halte ich an. Es ist eine besondere Touristenattraktion mit einem Steinmonument. Die schottische Fahne tanzt im Wind, als ich ein Foto mache. George hat nochmal auf dem Messenger geschrieben. Die Hirschbrunft ist auf und ich könnte Arbeit für Monte bekommen.  Ich antworte ihm, dass ich vorbeikomme in Inverurie, wenn es passt. Pascha ist nach seinem schlimmen Bandscheibenvorfall noch nicht einsatzfähig und Emil, seinen neuen Welpen, hat er letzte Woche vom Nachsuchenkollegen aus Deutschland geholt. Es tut gut, jemanden zu kennen. Anlaufpunkte zu haben.
Irgendwann folge ich dem Schild nach Inverness. Die Highlands nähern sich. Das Navi schickt mich nach links in Richtung Fort Augustus. Denke mir nicht viel dabei. Die Straße wird schmal und schmäler. Löchriger. Ab jetzt heißt es “Singletrackroad”. Links und rechts sind kleine Buchten zum Stehenbleiben. Dann türmt sich der Himmel auf. Das Wetter veranstaltet für mich ein “Welcome”. Wolken, Wind und eine Sonne, die wie mit Lichtpfeilen in die Landschaft schießt und Farben generiert, die ich sofort mit der Toskana verbinde. Total verrückt. Völlig unterschiedliche Landstriche! Ich weiß noch nicht, woran das liegt, aber ich vermute es im Auftreffwinkel der Sonne und der Reflexion des Lichts. Und des Meeres? Dieses Licht - diese Farben, das ist wie auf den vielen Schottland-Fotos, die ich bisher gesehen habe. Das, was mich hierher gesogen hat. Ich könnte heulen, so schön ist das.
Fast 30 km auf einer Straße, die man in Deutschland eventuell noch als Wirtschaftsweg durchgehen lassen würde, auf dem dann aber nur Fahrzeuge mit spezieller Erlaubnis fahren dürften. Mein Jägerherz hadert mit mir selbst. Zur besten Schusszeit hier rumzugurken! Mir begegneten auf der ganzen Strecke ca. 10 Autos. Ein Wunder, dass ich bisher noch keinen Fasan totgefahren habe. In Gruppen laufen sie auf der Straße rum oder sind in den Wiesen zwischen den weißen Wollknäueln in Form von Schafen. Selbst dann am Loch Ness, wo ich eine Zeitlang entlang fahre, ist es so eine Straße. In Deutschland wäre das mindestens eine Panoramastraße. Selbstverständlich die eine Hälfte mit Villen am See bestückt. Hier nicht. Der See ist bis zum Ufer von Wald gesäumt und hin und wieder erhascht man ein wunderbares Bild, das „Klick“ macht in einem. Ich danke dem Herrgott, dass die Schotten nicht wie die Deutschen sind. Fast juble ich über diese Straße! Diese Szenen. Dieses Licht. Und nichts davon ist kaputt kommerzialisiert. Ganz genauso die Hecken, die man im gesamten Großbritannien sieht. Fast jedes Feld, jede Wiese ist von einer Hecke oder einer Mauer umgeben. Als ich zum ersten Mal 1987 in England war, habe ich nur noch gestaunt darüber! Und es ist immer noch so. Sie hauen das Graffel einfach nicht weg wie bei uns. Es verleiht der Landschaft ein Gesicht und eine Persönlichkeit. Ich liebe diese Hecken einfach und könnte dafür Land und Leute immer wieder umarmen.
Irgendwann bin ich da, finde aber Valeries Haus nicht. Google Maps scheint sich hier doch nicht so gut auszukennen, denn es führt mich zu Nr. 11. An den anderen Häusern kann ich keine Nummern sehen. Zweimal fahre ich um den Block, dann sende ich ihr eine Nachricht. „No 2 … white car outside … outside light on.“ Ah! Stehe fast davor. Wir begrüßen uns und es ist einfach sofort dieses Sympathiegefühl da zwischen uns. Als ich das Gröbste im Zimmer verstaut habe, bringe ich den geschenkten Rotwein von Kurt und Camembert mit runter in ihr heimeliges Wohnzimmer. Bin heilfroh, dass ich so ziemlich alles verstehe, was sie erzählt und verliere endgültig meine Scheu, drauf los zu quatschen. Sie erzählt mir von einer Deutschen namens Johanna, die hier  Akupunktur macht und mir vielleicht weiterhelfen kann. Sie bräuchten Leute hier, weil viele abwandern aus den Highlands. Klingt gut.
Dienstag, 8.10. Habe halbwegs gut geschlafen. Der Akku meines Laptops geht zur Neige. Morgens frage ich Valerie, ob sie einen Adapter hat. Hatte sie mal, aber sie kann ihn nicht finden. Sie nennt mir einen Laden im Dorf, wo man das kaufen könnte. Geht nicht, denn ich muss erst Geld abheben. Gegen 11 mache ich mich auf nach Inverness. Wieder so eine Rumpelpumpelstraße! Einfach unglaublich. Es geht immer am See entlang. Nur am Ende stehen ein paar Häuser näher am See, sonst nichts vom sonstigen Chic solcher Orte. Ich kann es kaum glauben, dass es so etwas überhaupt noch gibt. Und ich hoffe inständig, dass sich hier niemals so eine protzige Reichenschicht ausbreiten wird, wie auf dem europäischen Festland üblich. Inverness ist ein hübscher Ort mit vielen alten Häusern im typischen Stil, alles kleiner als in Deutschland. Aber um so vieles schöner. Der Wind trägt die Seeluft in den Ort. Man kann das Meer riechen. Nach der Bank und dem Adapter werfe ich ein paar Münzen in die Parkuhr und hole Monte aus dem Auto, laufe ein wenig mit ihm herum. Die Leute schauen ihn neugierig an. Hier begegnet man nur Border Collies, Spaniels und Corgies. Mir zumindest geht es so.
Weiter außerhalb tanke ich wieder mal voll. 1.28 kostet hier der Diesel. Pfund natürlich. Ich stelle mir einfach vor, dass es Euro sind. Später, als ich mich nach Foyers aufmachen will, sehe ich ein Schild “Culloden Battlefield”. Ich schalte das Navigequatsche aus und folge dem braunen Schild, das mich auf eine Hochebene führt. Fahnen wehen. Der Wind treibt die Wolken darüber. Als ich auf dem Platz stehe, kann man es fast spüren, was 1746 hier vorging. Blutgetränkte Erde. Mir fällt eine Passage aus “Krieg und Frieden” ein, wo ein Soldat schwerverletzt auf dem Schlachtfeld liegt und er sein Leben vorbeiziehen sieht. Ich hätte das Buch jetzt gerne hier. Die Sonne blitzt wieder aus Schwaden von Sprühregen. Das Ende eines Regenbogens steckt wie ein breiter Balken im Museumsgebäude und ragt in den grauen Himmel hinauf. Blumen und Münzen liegen vor einigen Gedenksteinen.
Mittwoch, 9.10. Heute mal alles etwas ruhiger ... langsam kommt der Rest von mir an. Erneut ein sprühender Morgen, der Wind stäubt einem ständig feine Tröpfchen ins Gesicht. Ich habe die Hundewiese gefunden - riesig und eingezäunt. Monte rennt seinem geliebten Ball kurz hinterher, nimmt ihn auf, lässt ihn wieder fallen. Eifrig sucht er wedelnd alles ab. Irgendwann verschwindet er fast in der Wiese ... ein Karnickelloch. Löcher! Das findet er natürlich super. X-mal arbeitet er ihre Spuren im hohen Gras, das tut seiner Nase gut. Beim Zurückgehen sieht er einen Fasan, nochmal große Aufregung. Ich kann ihn kaum halten. Valerie fährt mittags nach Skye mit ihrer Freundin, dann bin ich weitgehend alleine hier. Sie hat für mich den Kontakt zu Johanna hergestellt, einer Deutschen, die mit ihrem amerikanischen Mann ein paar Häuser weiter wohnt. Johanna fliegt am 16.10. nach Deutschland. Sie hat in Inverness eine Praxis für Akupunktur. Aufgrund der Brexitpanik kann sie nirgendwo mehr Akupunkturnadeln bekommen! Alles ausverkauft. Von Heike - meiner Hundefreundin aus dem Dorf daheim - kommt eine WhatsApp, dass die Arbeitsagentur zwei Schreiben geschickt hat. Ich bitte sie um Fotos davon. Muss dann feststellen, dass die PD U2, jenes Dokument, welches ich hier beim Jobcenter in Inverness vorlegen muss, an meine Adresse in Deutschland statt nach Schottland geschickt wurde! Wie soll das jetzt gehen? Ich muss mich ja diese Woche noch beim Jobcenter hier vorstellen. Ein Handyfoto werden die vermutlich nicht akzeptieren.
Als ich am Abend nochmal mit Monte am Fluss entlang laufe, der am E-Werk vorbei zum See führt, lasse ich ihn von der Leine. Prompt macht er Sekunden später einen Fasan hoch, der laut zeternd davon fliegt. Er bellend hinterher, 100 Meter, 200 Meter - ich pfeife, aber Jagen ist schöner. Als er zurückkommt, strahlt er über das ganze Hundegesicht. Was für ein Heidenspaß war das doch.
Donnerstag, 9.10. Heute ist das Jobcenter in Inverness angesagt. Gegen Mittag fahre ich los, ich bin sozusagen allein auf der Straße. Fast. Irgendwann bemerke ich im Rückspiegel ein Auto. Die Einheimischen fahren diese Singletrackroads ziemlich flott. Aber ich weiß das ja von Berchtesgaden, wo ich jede Kurve des Obersalzbergs kannte und entsprechend fuhr. Jetzt kommt auch noch einer mit hohem Tempo entgegen! Bei der nächsten Ausweichstelle fahre ich links ran. Bremse relativ scharf ab, weil es arg knapp ist. Als ich wieder anfahren will, sehe ich gerade noch, wie mich mein Hintermann überholt. Mit Boot hintendran. Da hat nicht viel gefehlt und es hätte gescheppert. Ich schicke ihm ein “Idiot!” hinterher. Nach ca. 2 km steht er links an einer größeren Ausweichstelle und schaut unter seinen Trailer. Ich halte neben ihm an und frage, ob alles okay ist. Er nickt. Dann entschuldigt er sich für sein Überholmanöver von vorhin. Er dachte, ich wollte auf den See schauen. Und fragt, ob ich hier Urlaub mache. Daraus entspinnt sich sofort ein Gespräch über den Brexit, der bei mir darüber entscheidet, ob es ein Urlaub ist. Wir reden übers Angeln, über die Jagd. Ich deute nach hinten und sage, ich hätte meinen Hund mit. Er will ihn sehen! Als ich hinten aufmache, wirft Monte sich sofort an ihn ran. Er liebt ja Männer! Der Mann streichelt und bewundert ihn ausgiebig. Ich muss weiter. Wir machen noch aus, dass er besser wieder vorne fährt. Er lacht. Nach ca. 3 kam fährt er erneut links ran und steigt aus, ich fahre jetzt vorbei. Es dauert nicht lange, da sehe ich ihn wieder im Rückspiegel. Er blinkt mich an! Ich fahre an einer weiteren Ausweichbucht raus. Er kommt von hinten angelaufen, kommt dann ans Fenster. “Excuse me please, could I give you my telephonnumber? I would like to meet you again. But only if you want!” Ich muss lachen. Wir tauschen unsere Nummern. Er schreibt mir dann noch seinen Namen auf - W. MacKenzie. Ein richtiger Schotte also. Sehr erfreut. Da fühle ich mich ja fast schon wie in “Outlander”. Er sagt mir seinen Namen noch auf Gälisch und spreche es nach. Es sind viele “ch” drin. Wir verabschieden uns erneut und er fährt wieder voraus. Drei Tage hier und schon ein Date mit einem waschechten Schotten! Bestens gelaunt marschiere ich ins Jobcenter und muss dann erfahren, dass es genauso ist - ohne PD U2 keine Anmeldung dort. Immerhin tippt mir die Sachbearbeiterin ein Schreiben, dass ich einen geplanten Termin am Dienstag, den 15.10. habe. Wozu ich aber das Dokument mitbringen soll.
Auf einem Supermarktparkplatz schicke ich Pete eine Nachricht. Ob er Zeit hat heute. Er wartet auf einen Deutschen, der zu ihm nachher kommt. Aber morgen wäre er im Pub mit Freunden. Ich soll doch kommen. Sehr gut.
Am Abend schicke ich entsprechende Mails an die Arbeitsagentur nach Deutschland. In einem Forum habe ich nämlich vor ein paar Tagen einen ähnlichen Fall entdeckt, bei dem diese PD U2 “angeblich” auf dem Postweg verloren gegangen war. So ein verlorenes Dokument bedeutet verlorenes Geld, das man dann nicht bekommt. Jeden Tag. Dazwischen ein Anruf. Mein Schotte! Er will mich für Samstag zum Essen in Foyers einladen. Wow.
Freitag, 11.10. Um 10 kommt Johanna, mit der ich gestern zwischendurch einen Massagetermin ausgemacht habe. Ich habe gestern die Heizung abgeschaltet, weil es sehr warm ist im Haus. In meinem Zimmer zeigt das Thermometer 16° C an, das reicht mir voll und ganz. Johanna hat aber eiskalte Füße und ich bekomme sie selbst durch meine Massage kaum warm. Ich frage mich dann immer: Sind andere Menschen einfach nur verfroren oder bin ich ständig überhitzt? Später koche ich Bolognese und die Kocherei macht mir Spaß wie schon lange nicht mehr. Mist - habe keinen Rotwein mehr. Und Lorbeerblätter kann ich nicht finden. Aber ein paar Büschel getrockneter Rosmarin hängen in Valeries Küche, das geht auch. Gegen halbvier ruft George an; es könnte sein, dass ich zu einer Nachsuche auf einen Hirsch gebraucht werde. Er weiß aber noch keine Einzelheiten. Ich bitte ihn, mir das zu schreiben. Der Empfang ist schlecht und ich verstehe nur die Hälfte. Vorsichtshalber lege ich die Nachsuchenhose und das Messer an die Haustür. Eine halbe Stunde später die Nachricht, die Leute suchen jetzt mit einem Retriever nach. Okay. Die Tatsache, dass es jetzt Viertel nach vier war; dazu mindestens eine Stunde Fahrzeit. Um sieben wird es dunkel. Eine Nachsuche, bei der garantiert schon zwei andere Hunde drauf waren. Das kann man sich an einer Hand abzählen. Ich laufe noch eine kleine Runde mit Monte, dann fahre ich los zu Pete & Company. Mein Gott, diese Wege! Ich muss quasi fast um den ganzen See rumfahren! In Deutschland hätte man schon in den 60ern eine kleine Autofähre installiert. Eigentlich keine schlechte Idee! Das wäre doch ein nettes Business. Und ganz im Sinne der Umwelt. Man spart Sprit und Zeit.
Als ich endlich da bin, werde ich sehr herzlich begrüßt. Pete ist sehr groß, ich schätze ihn auf gute 1,95. Sein Rübezahlbart lässt ihn noch größer wirken. Eine nette Truppe, diese Jungs. Wir stehen an der Bar, lachen viel. Mir ist es nach 10 Minuten zu warm und ich stehe im T-Shirt da. Sie tragen langärmlige Flanellhemden und Jacken und ziehen die auch nicht aus! Als ich sie darauf anspreche, sagen sie, sie würden zu jeder Jahreszeit so rumlaufen. Auch im Sommer. Also sind doch die anderen verrückt. Nicht ich. Nach einer gewissen Kennenlernzeit bietet mir Pete’s Freund an, ich könnte einen Hirsch bei ihm schießen. Er müsste noch vier oder fünf erwischen, hatte bisher kaum Zeit. Da sage ich nicht Nein! Das mit der Waffe wird noch ein bissl schwierig. Bin ja Linksschütze. Aber zur Not schieße ich auch mit einer Rechtswaffe. Für das nächste Wochenende ist eine Jagd in der Gruppe angesagt, auch das mache ich gerne. Sie bräuchten mich da als Hundeführer. Monte ist noch im Auto, ich hole ihn, er wird ausgiebig bewundert. Lerne wieder was dazu. Bei Hanoverian wird die Betonung auf das “e” gelegt und nicht auf das “o” wie im Deutschen. Als ich mein Bier zahlen will, ist es längst bezahlt. Ich bedanke mich und mache mich auf den Weg nach draußen. Pete kommt mit. Er holt was aus seinem Auto - eine Flasche Rotwein und eine Flasche Sekt, beides aus meiner deutschen Heimat. Ich habe auch was für ihn. Eine Flasche Jagatee. Ich erkläre ihm das mit der Zubereitung noch, dann Abschied. Cheers.
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pontati · 11 years
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Drei Tage in Rhandirmwyn
Hätte ich damals schon Dylan Thomas gekannt, wäre dies immerhin für mich ein plausibler Grund gewesen, nach Wales zu fahren und vermutlich hätte ich aus den drei Tagen dort so etwas wie einen Rettungsanker schmieden können. Mit unzähligen Buchstaben hätte ich einen Rettungsanker aus Wortkaskaden geformt und aus dem Zelt geworfen. Damit es nicht wegschwimmen kann. Nur mein Mann hatte einen triftigen Grund: Gold. Walisisches Gold. Ein Naturgold mit einer wunderbar roten Farbnuance. Selten. Kostbar. Die Eheringe von Lady Di und Prinz Charles waren aus walisischem Waschgold. Und eines der Vorkommen liegt irgendwo in einem Bach nahe Rhandirmwyn, einem Kaff irgendwo in Wales. Ein Ort, wo sonst keiner hinfährt.
Eigentlich hätte ich schon in Barmouth stutzig werden sollen. Dort waren wir Glücksvorrat am Strand tanken, bevor es in die ungeahnten Tiefen des walisischen Landesinneren ging. „Oh, isn’t it a lovely day?“ – „Yes, it's a lovely day, I can’t believe it!“ – so ungefähr schallte es mir beim Einkaufen vor einem Laden entgegen, wo sich zwei Damen lautstark über das Wetter unterhielten. Ich stand da und dachte bei mir – die spinnen, die Engländer. Aber da kannte ich Rhandirmwyn noch nicht.
Als wir am Spätnachmittag nach langer Linksfahrt ankommen, regnet es. Es regnet schon seit Stunden. Eigentlich regnet es ständig und überall. Nach drei Tagen kaufe ich mir eine Barbour-Jacke. Regen kann verdammt schick sein! Mein Mann baut das Zelt auf während ich im Auto auf dem kleinen Gaskocher Wasser für 3 Portionen mitgebrachte Not-Tütensuppe koche. Die Kleine hat Hunger und quengelt in ihrem Kindersitz. „Will raus! Will raus!“ Es schüttet aus Kübeln. Als das Zelt steht, darf sie schon mal raus aus dem Auto und rein ins Zelt. „Ich muss Pipi!“ Wo ist der verdammte Topf? Ganz unten drin. Der Regen läuft über die Heckklappe ins Auto. In meine Schuhe. Zu spät. Das Wasser kocht, aber ich kann die Suppenschälchen nicht finden. Die Kleine ruft „hab Hunger!“ – okay, wir gehen jetzt einfach da vorne was essen. Es ist spät und es gibt nur noch alte Sandwiches. Anschließend bringe ich die Kleine ins Bett – immerhin ist das Zelt dicht. Mutter und Kind liegen zusammengekuschelt auf einer walisischen Wiese in einem kuppelförmigen Resonanzkörper und hören Wassermusik während der Vater mit einer Lampe auf dem Kopf im Auto sitzt und eine Landkarte studiert. Es regnet die ganze Nacht.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, regnet es. Das Geschirr ist noch im Auto. Alles ist im Auto. Jeder Versuch, etwas im Auto zu suchen, endet mit nasser Kleidung. Wir haben die nasse Kleidung im Auto über die Sitze gehängt. „Wir brauchen Kleiderbügel“, sage ich. „Was heißt Kleiderbügel auf Englisch?“ frage ich meinen Mann, während wir in dem kleinen Campingplatzladen an einem einsamen Tischchen Tee trinken und Sandwiches essen. „Keine Ahnung – ich möchte jetzt los. Da oben hab ich einen Laden gesehen vorhin. Vielleicht haben die Kleiderbügel.“ Wir winken dem Goldwäscherauto hinterher. Wir sind allein. Es gibt noch drei Parteien auf dem Campingplatz und das mittelalte Ehepaar hat heute morgen abgebaut und kauft gerade Reisevorräte ein. Also nur noch zwei Parteien. Immerhin hat die Kleine Gummistiefel. Ich nicht. Ich lese Bilderbücher vor. Ich stricke. Ich singe. Ich lese eine lange Geschichte aus Heidi vor. Ihr fallen die Augen zu. Ich schreibe Tagebuch. Eine Stunde für die Mutter. Sie wacht auf. Muss Pipi. Der Topf steht in dem kleinen Vorzelt und ich hole ihn rein. Es regnet grad nicht. „Schnell, mach Pipi und dann gehen wir spazieren.“ Gesagt, getan. Wir gehen die Straße hoch, wo der Laden sein soll. Ich habe vergessen, im Lexikon nach Kleiderbügeln zu suchen. Rechts steht eine Kirche, daneben erstreckt sich ein Friedhof mit Gräbern. Ich mag Friedhöfe. Ich bin großgeworden auf dem Friedhof, weil ich mit meiner Oma täglich das Grab des lange vor mir verstorbenene Opas besucht habe. Im Leichenschauhaus waren manchmal Tote aufgebahrt. Die schönen Toten lagen offen da in ihrem Sarg und man konnte sie anschauen. Bei den nichtschönen Toten hat man den Deckel auf dem Sarg gelassen und die nichtschönen Toten, die man nicht ansehen konnte, waren noch schauriger als die schönen Toten. Auf den walisischen Gräbern wachsen keine Blumen. Zumindest keine frischen Blumen wie auf unseren Gräbern, die man alle drei Tage gießt. Aber auf jedem Grab ist eine kleine Glaskuppel und in dieser Glaskuppel wächst eine wächserne weiße Blume wie ein Stern. Die blinkt hinauf in den Himmel zu den anderen Sternen. „Du bist mein Augenstern“, sage ich zu meiner Kleinen, nehme sie auf den Arm und trage sie die Straße hinauf. „Krieg ich was?", sagt sie.
„Open“. Das Schild baumelt noch leicht hin und her. Ich setze die Kleine ab und öffne die Tür. Eine Klingel ertönt und sie klingt fast so wie die gegenüber im Edeka damals, wohin ich als Kind immer zum Einkaufen geschickt wurde. Ein hagerer Mann erscheint in einer Tür wie in einem Gemälderahmen im Museum. Er sagt einen Gruß, irgendwas auf Walisisch. Verlegen lächle ich so eine Art „Hi“ hin. Die Kleine hat auf Augenhöhe ein Segelboot gesichtet, entert es und strahlt. Ahoi. Er steht hinter einer kuppelförmigen Glastheke. Ich kaufe verschiedene Sorten Wurst in unterschiedlichen Grausorten. Die graue Wurst schmeckt so gut wie die Selbstgemachte von meiner Oma. Er strahlt, als ich ihm von der Wurst meiner Oma erzähle. Neben der Wurstkuppel steht ein hoher Postkartenständer aus Draht. Er quietscht seine Melodie beim Drehen und ich nehme fünf Karten mit grünen Hügeln. Gebe ihm einen Schubs und er singt sein walisisches Hügellied. „Do you need stamps?“, fragt der Mann. „Yes“, sage ich. Er beugt sich ein wenig seitlich hinunter und betätigt einen Hebel und schwuppdiwupp, ist die Wurstschneidemaschine versenkt und ein Sekretär mit kleinen Fächern steht da. Er setzt sich eine Postmütze auf. Sein Gesicht, seine Bewegungen – alles wird starr und mechanisch wie bei einem Roboter. „One. Two. Three. Four. Five.“ Er zählt jede Marke mit Namen. Kassiert das Geld für 5 Marken. Setzt die Postmütze ab. Betätigt den Hebel und die Wurstschneidemaschine steht wieder da. Als ich das Geld für die Wurst und das kleine Segelboot zusammensuche, kommt eine ältere Frau mit einem Brief in der Hand und schon ertönt das Knarren des Hebels. Er setzt die Postmütze auf, wiegt den Brief, klebt eine Marke drauf und zählt ihre abgezählten Pences nochmal. „Yes“, sagt er. Setzt die Postmütze wieder ab und betätigt den Hebel. Über die Wurstkuppel reiche ich ihm mein Geld und er zählt mir ein paar Münzen zurück in die Hand, weil ich mich vertan hatte. Als wir klingelklingend den Laden verlassen, liegen drei Regenbögen über dem Tal. Meine Kleine hält das Schiff hoch, beschreibt wilde Wellen in der Luft und wir segeln zusammen die Straße hinunter. Kurz bevor wir am Campingplatz sind, schüttet es wieder aus Kübeln. „Ich muss Pipi!“, schreit sie in den Regen.
Am Abend sehe ich zum ersten Mal walisisches Rotgold im Licht der Taschenlampe funkeln. Vier kleine Nuggets. Am nächsten Morgen regnet es und auch den ganzen Tag regnet es. Am Abend sind es sechs kleine Nuggets, als wir im Regen im Auto sitzen. Und am nächsten Tag regnet es immer noch. Und am Nachmittag und Abend auch. Es ist mir egal, wieviel Nuggets es sind. Ich habe keine trockene Kleidung mehr und nur noch eine letzte trockene Garnitur für die Kleine. Als es am nächsten Morgen wieder regnet, sage ich, dass ich keine Minute länger hier bleiben werde. Ich stopfe die feuchten Schlafsäcke in die Hüllen und rolle die Isomatten zusammen. Unter meiner Matte liegen zwei große schwarze Käfer und ich ekle mich davor. Mit Hilfe einer Zeitung und einem Kinderbuch befördere ich sie nach draußen. Auch unter den anderen beiden Isomatten sind die schwarzen Käfer. Sie hatten sich wohl in ihrer Not zu uns ins halbwegs Trockene geflüchtet. Und jetzt werfe ich sie raus in den Regen. Alles ist feucht. Wir drehen das nasse Zelt zusammen und stopfen es hinten in den Kofferraum. Die Zufahrt des Campingplatzes liegt schon 200 Meter hinter uns, als ich mich noch einmal umdrehe. Da oben, wo der Laden liegt, leuchtet ein Regenbogen. Bye bye Rhandirmwyn. Ich werde dich nie vergessen.                tp
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pontati · 11 years
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Frau in Blau
He! Du Frau in Blau in Schönau, kannst Du mich lesen? Ich habe Dich letzte Woche am Samstagnachmittag auf der Straße gesehen. Du bist auf so einem komischen kleinen roten Traktor gefahren und hast eine blaue Radlerjacke mit rotem Blumenmuster getragen. Mit so einem Muster wie früher auf den Schürzen meiner Oma. Nur dass diese blaue Jacke hauteng war. Du hast blonde Haare und Dein Gesicht strahlte wie die Sonne vom Himmel auf mich herab und ich glaube, Deine Augen sind so blau wie diese blaue Jacke mit den roten Blumenkringeln. Dieses Bild verfolgt mich jetzt seit Tagen, dabei bin ich noch stundenlang am Samstag rumgefahren und habe Dich gesucht. Das einzige, was ich fand, war diese blaue Jacke in einem Sportgeschäft im Ort, es hieß irgendwas mit Robert oder so ähnlich. Ich wollte rein und nach Dir und der Jacke fragen, aber der Laden war längst zu. Es war ja Samstag und die Läden auf dem Land sind nicht so lange geöffnet wie in den Großstädten. Ich war übrigens der schlanke, mittelblonde 1,85-Typ mit Dreitagebart und Sonnenbrille in dem silbermetallic farbenen Ford Fiasko Baujahr 98 mit dem Kölner Kennzeichen K-FC-1111, dem bei Deinem Anblick die Kinnlade runterfiel und der dabei um ein Haar in einen Zaun gefahren wäre. Hinterher habe ich es bitter bereut, nicht in den Zaun gefahren zu sein. Oder würde ich doch nur ausnahmsweise heute mit der Karre liegenbleiben und Du kämst wieder mit Deinem Traktor vorbei! Der erotischste Abschleppdienst aller Zeiten! Morgen früh muss ich abreisen. Mein Urlaub ist vorbei. Das einzige, was mir bleibt, ist das Bild mit dem roten Traktor und darauf der Traum von einer Frau in Blau. Wenn Du das lesen solltest, schreib mir bitte.          tp
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pontati · 11 years
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Das Bachgütl
Wer in Maria Gern spazierengeht, kommt irgendwann an einer Wirtschaft vorbei, so einer kleinen, die sehr nah an der Straße liegt. Mit ein paar Tischen und Stühlen und Tafeln davor, worauf mit weißer Kreide Tafelspitz, Schweinsbraten und Kaiserschmarrn angeboten werden. Und da die unscheinbaren Blumen am Wegesrand sich meist als die interessanteren Gewächse entpuppen, kehre ich dort ein. Tschumm. Ein Auto rauscht vorbei. Der ältere Herr am Nebentisch fragt nach der Rasse meines Hundes. Wir kommen ins Gespräch. Tschumm. Das nächste Auto. Ich bestelle einen Schweinsbraten und ein kleines Bier dazu. Der ältere Herr stellt sich als Pater Coelestin vom Franziskanerkloster vor und entschuldigt sich gleichzeitig, dass er in Zivil ist. „Das macht nichts – ich bin ausgetreten“, sage ich. „Das macht nichts  - kommen Sie rüber“ sagt er. Ich setze mich zu ihm an den Tisch und wir unterhalten uns trotz der vorabeirauschenden Autos angeregt über Gott und die Welt. Dann kommt der Schweinsbraten. Allein schon, als ich die Sauce sehe, läuft mir das Wasser im Mund zusammen, denn das ist gewiss keine Packerlsauce. Und dann erst die Kruste! "Herz und Zunge aus dem Glauben“ fällt mir ein, als ich mit der Gabel daran klopfe. Sie klingt knusprig. Herrgott, wie ging nur die Melodie dazu? Mein Gegenüber wünscht mir „Guten Appetit“ und bestellt sich noch ein kleines Bier. „Ich habe Tafelspitz gegessen – auch hervorragend“, sagt er. Später kommt der Wirt und erkundigt sich, ob alles gepasst hat. Nicht nur die Sauce war vom Ansehen her vielversprechend, der ganze Schweinsbraten war so, wie er einfach sein muss: Eine göttliche Mahlzeit. Pater Coelestin war der erste Mensch in Berchtesgaden, der mich, die gerade neu Hinzugezogene, einfach so ansprach. Er starb am 2. Januar dieses Jahres, an meinem Geburtstag. Und jetzt hab ich Lust auf ein Essen beim Sigi im Bachgütl. Ich werde heute den Tafelspitz probieren. Danach zünde ich in der Franziskanerkirche eine Kerze für den Pater an. Dazu werde ich ganz leise die 2. Strophe aus „Lasst uns loben“ singen: „Dass wir allen Zeugnis geben, die da sind und doch nicht leben, sich betrügen mit dem Schein. Lasst den Blinden uns und Tauben Herz und Zunge aus dem Glauben, aus der Liebe Zeugen sein.“                                                                                                                          tp
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