zweierlei handzeichen
ich bekreuzige mich
vor jeder kirche
ich bezwetschkige mich
vor jedem obstgarten
wie ich ersteres tue
weiß jeder katholik
ich ich letzteres tue
ich allein
--Ernst Jandl
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Ich habe gerade eine Sammlung von Ernst Jandls Texten lesen, jetzt muss ich mir unbedingt "zertretener mann blues" und "zweierlei handzeichen" wünschen, was gefühlt so ein bisschen die entgegengesetzten Enden seines Spektrums sind 🙈😄
uezs bin ich mit Jandl nie richtig warm geworden, aber das zweite macht ihn mir gleich sehr sympathisch! Kriegst du :)
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Der Fischer
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
ein Fischer saß daran,
sah nach dem Angel ruhevoll,
kühl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
teilt sich die Flut empor;
aus dem bewegten Wasser rauscht
ein feuchtes Weib hervor.
Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut
mit Menschenwitz und Menschenlist
hinauf in Todesglut?
Ach wüßtest du, wie's Fischlein ist
so wohlig auf dem Grund,
du stiegst herunter, wie du bist,
und würdest erst gesund.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
nicht her in ew'gen Tau?
Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
netzt' ihm den nackten Fuß;
sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
wie bei der Liebsten Gruß.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
da war's um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
und ward nicht mehr gesehn
--Johann Wolfgang von Goethe
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Winternacht
Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.
Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix’ herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.
Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied:
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.
Mit ersticktem Jammer tastet’ sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergeß’ das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!
--Gottfried Keller
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Hallöchen!!! Darf ich mir von Goethe den Fischer wünschen? <3
Ist ja nicht zu fassen, dass wir das noch nicht hatten. Bekommst du natürlich.
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Winternacht von Gottfried Keller in Gedenken an mein Deutsch-Abi? (Das Nixchen hat mich dran erinnert)
Mit Freuden!
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Über das Älterwerden
Das große Glück, noch klein zu sein,
sieht mancher Mensch als Kind nicht ein
und möchte, dass er ungefähr
so 16 oder 17 wär‘.
Doch schon mit 18 denkt er: „Halt!
Wer über 20 ist, ist alt.“
Warum? Die 20 sind vergnüglich –
auch sind die 30 noch vorzüglich.
Zwar in den 40 – welche Wende –
da gilt die 50 fast als Ende.
Doch in den 50, peu à peu,
schraubt man das Ende in die Höh‘!
Die 60 scheinen noch passabel
und erst die 70 miserabel.
Mit 70 aber hofft man still:
„Ich schaff‘ die 80, so Gott will.“
Wer dann die 80 biblisch überlebt,
zielsicher auf die 90 strebt.
Dort angelangt, sucht er geschwind
nach Freunden, die noch älter sind.
Doch hat die Mitte 90 man erreicht
– die Jahre, wo einen nichts mehr wundert -,
denkt man mitunter: „Na – vielleicht
schaffst du mit Gottes Hilfe auch die 100.
--Wilhelm Busch
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Von Perlen baut sich eine Brücke
Hoch über einen grauen See,
Sie baut sich auf im Augenblicke,
Und schwindelnd steigt sie in die Höh.
Der höchsten Schiffe höchste Masten
Ziehn unter ihrem Bogen hin,
Sie selber trug noch keine Lasten
Und scheint, wenn du ihr nahst, zu fliehn.
Sie wird erst mit dem Strom, und schwindet,
Sowie des Wassers Flut versiegt.
So sprich, wo sich die Brücke findet,
Und wer sie künstlich hat gefügt.
--Friedrich Schiller
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Das Nixchen
Ein armes Nixchen taucht' empor,
Ihr war das Herz so wund,
Und ängstlich lauschte sie hervor,
Nichts Liebes that sich kund.
Sie sieht und seufzt und forscht und singt,
Es ward ihr gar zu weh;
So munter drein das Vöglein klingt,
Will sterben in dem See.
Und sieh, beim frohen Lerchensang,
Wie Morgenrosen schön,
Der Jüngling durch die Blüthen drang,
Gar wonnig anzusehn.
Das bleiche Nixchen wurde roth
Und bald dann wieder bleich,
Und weint' in ihrer Liebesnoth,
Und lächelte zugleich.
Doch bald erhob sie schön und hell
Den starken Zaubersang,
Die Wellen kamen leicht und schnell
Und tanzten nach dem Klang.
Es hatte sich der Sang so mild
An Alles angeschmiegt,
Und ruhig lag das schöne Bild
In Schlummer eingewiegt.
Und sachte aus der blauen Bahn
Wundherzchen pochte laut,
Schlich zum Geliebten sich heran,
Versunken ihn beschaut;
Und seltsam wunderlich ihr ward,
Als sei's ein schöner Traum,
Es lockt das Kinn, so weiß und zart,
Der Lippen Rosensaum.
Und auf des Jünglings Lippen zog
Ein lieblich Lächeln her,
Und lauter ward der Brust Gewog,
Wie wenn's ein Seufzer wär'.
Es lächelte so trüblich hold
Die Maid in seinen Traum,
Das Auge bald sie küssen wollt',
Und bald der Lippen Saum.
Doch wie sie hingebeugt noch zagt,
Des Träumers Odem trinkt,
Die Lippen nicht zu rühren wagt,
Im Blicke ganz versinkt,
Ein Mädchen durch die Blüthen dringt,
Die Zither lieblich stimmt,
Und munter zu dem Jüngling springt.
In'n schönen Arm ihn nimmt.
Das arme Nixchen sehen muß
In ihres Seees Grab,
Wie einen kühnen lauten Kuß
Die Braut dem Träumer gab,
Wie er sie dann so süß umschlang,
An ihren Blicken hing,
Und bei der Zither munterm Klang
Mit ihr von dannen ging.
Das Nixchen ward nun wieder bleich,
Ihr Weinen lange währt,
Ihr schönes stilles Freudenreich
War ihr so schnell zerstört.
Die Blumen standen noch am Strand
Und sahn so munter her,
Doch sie, die ganz verarmte, fand
Den Jüngling nimmer mehr.
Und in den Berg sie scheidend geht,
Verstopft des Seees Quell,
Und trüb begrünt das Wasser steht,
Voreinst so blau und hell.
Und See und Nixchen war nun todt,
Der Ort blieb leer und wüst,
Nur blühten Blumen rosenroth,
Wo Blumen sich geküßt.
--Helmina von Chézy
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Ballade vom Lindenschmied
Es ist nit lang, dass es geschah
Dass man den Lindenschmid reiten sah
Auf einem hohen Rosse
Er reit den Rheinstrom auf und ab
Hat sein gar wohl genossen, ja genossen
Frisch her, ihr lieben G’sellen mein
Es muß sich nur gewaget sein
Wagen das tut gewinnen
Wir wollen reiten Tag und Nacht,
Bis wir ein Beut gewinnen
Dem Markgrafen von Baden kam neue Mär
Wie man ihm ins G’leit gefallen wär
Das tät ihn sehr verdießen
Wie bald der Junker Casper schreib
Er sollt ihm ein Reislein dienen
Junker Casper zog dem Bäurlein ein Kappen an
Er schickt ihn allzeit vorne dran
Wohl auf die freie Straßen
Ob er den edeln Lindenschmid fand
Denselben sollt er verraten
Das Bäurlein schiffet über Rhein
Er kehret zu Frankenthal ins Wirtshaus ein
„Wirt! haben wir nichts zu essen?
Es kommen drei Wägen, seind wohl beladen
Von Frankfurt aus der Messen.“
Der Wirt der sprach dem Bäurlein zu
Ja Wein und Brot Hab ich genug.
Im Stall da stehn drei Rosse
Die seind des edlen Lindenschmid
Er nährt sich auf freier Straßen
Das Bäurlein dacht in seinem Mut
Die Sache wird noch werden gut
Den Feind Hab ich vernommen
Wie bald er Junker Casper schreib
Dass er soll eilends kommen!
Der Lindenschmid der Hätt einen Sohn
Der sollt den Rossen das Futter tun
Den Habern tät er schwingen
Steh auf. Herzliebster Vater mein
Ich hör die Harnisch‘ klingen
Der Lindenschmid lag hinterm Tisch und schlief
Sein Sohn der tät so manchen Rief
der Schlaf hatt‘ ihn bezwungen
Steh auf, herzliebster Vater mein
Dein Verräter ist schon kommen
Junker Casper zu der Stuben eintrat
Der Lindenschmid von Herzen sehr erschrak
Lindenschmid, gib dich gefangen
Zu Baden an dem Galgen hoch
Daran so sollt du hangen
Der Lindenschmid der war ein freier Reutersmann
Wie bald er zu der Klingen sprang:
Wir wollen erst ritterlich fechten!
Es waren der Bluthund also viel
Sie schlugen ihn zu der Erden.
Kann und mag es denn nit anders gesein
So bitt ich um, den liebsten Söhnen mein
Auch um meinen Reutersjungen
Und haben sie Jemand Leids getan
Darzu Hab ich sie gezwungen
Junker Casper sprach nein darzu
Das Kalb muß entgelten der Kuh
Es soll dir nicht gelingen
Zu Baden in der werten Stadt
Da ward der Lindenschmid gericht
Sie wurden alle drei gen Baden gebracht
Sie saßen nit langer denn eine Nacht
Wohl zu derselbigen Stunde
Muß ihm sein Haupt abspringen
Sein Sohn und der Reutersjunge
ja Junge.
--Unbekannt
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Surrealistischer Vierzeiler
Gestern trat ein Fräulein an mein Bette
und behauptete, die Märchenfee zu sein.
Und sie fragte mich, ob ich drei Wünsche hätte,
und ich sagte – um sie reinzulegen – nein.
--Werner Finck
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Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer -
O glückte mir die Welt! O bliebe
mein Tag nicht stets unselig leer!
So kann ich nichts, als matt verlegen
vertrösten oder wehe tun,
und von den wundersamsten Wegen
bleibt mir der Staub nur auf den Schuhn.
Und meine Träume sind wie Diebe,
und meine Freuden frieren sehr -
dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer.
--Max Herrmann-Neiße
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Die Illegalen
Die Welt erfährt kaum, wie sie heißen.
Sie schweben dahin, dunkel und licht.
Man will den Hut vom Kopfe reißen,
sie tausendmal grüßen - sie sehn es nicht.
Sie schreiten und gleiten; Stürme tosen,
manchen packt es, er lebt nicht mehr.
Doch lebt der Bund der Namenlosen
das unsichtbare Helferheer.
Die Folter droht, die Qual ist bitter,
der Kampf geht weiter unbeirrt.
Sie sind die Heiligen und die Ritter
des Menschenreichs, das kommen wird.
Uns ist die Heimat tief entehrt,
längst hat sich mancher abgekehrt.
Wir sind Verbannte, Leiderkorene
ein Land erstirbt, ein Traum zerstiebt.
Ihr aber seid das Unverlorene,
was wir an Deutschland einst geliebt.
--Alfred Kerr
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Ein Kampfhund lag am Meeresstrand,
in seiner Schnauze eine Hand.
Wem Purzel sie hat abgebissen
das tut nur ihr Besitzer wissen.
Der brave Wauwau sagt es nicht,
da man mit vollem Mund nicht spricht.
--Oliver Kalkofe
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Wenn alle Brünnlein fließen
Wenn alle Brünnlein fließen,
so muss man trinken.
Wenn ich mein'n Schatz nicht rufen darf,
tu' ich ihm winken.
Wenn ich mein'n Schatz nicht rufen darf,
ju ja, rufen darf,
tu' ich ihm winken.
Ja, winken mit den Äugelein
und treten auf den Fuß,
ist eine in der Stube drin,
die meine werden muss.
Ist eine in der Stube drin,
ju ja, Stube drin,
die meine werden muss.
Warum sollt' sie's nicht werden,
ich hab sie ja so gern?
Sie hat zwei blaue Äugelein,
die leuchten wie zwei Stern'.
Sie hat zwei blaue Äugelein
ju ja, Äugelein,
die leuchten wie zwei Stern'.
Sie hat zwei rote Wängelein,
viel röter als der Wein.
Ein solches Mädel find't man nicht
wohl unter'm Sonnenschein.
Ein solches Mädel find't man nicht,
ju ja, find't man nicht,
wohl unterm Sonnenschein.
--Unbekannt
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Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab' ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp' ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff' ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.
--Wilhelm Busch
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Stimmen aus dem Massengrab
Da liegen wir und gingen längst in Stücken.
Ihr kommt vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Wir aber liegen schlaflos auf dem Rücken,
weil uns die Angst um Euch nicht schlafen lässt.
Wir haben Dreck im Mund. Wir müssen schweigen.
Und möchten schreien, bis das Grab zerbricht!
Und möchten schreiend aus den Gräbern steigen!
Wir haben Dreck im Mund. Ihr hört uns nicht.
Ihr hört nur auf das Plaudern der Pastoren,
wenn sie mit ihrem Chef vertraulich tun.
Ihr lieber Gott hat einen Krieg verloren
und lässt euch sagen: Laßt die Toten ruhn!
Ihr dürft die Angestellten Gottes loben.
Sie sprachen schön am Massengrab von Pflicht.
Wir lagen unten, und sie standen oben.
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht.“
Da liegen wir, den toten Mund voll Dreck.
Und es kam anders, als wir sterbend dachten.
Wir starben. Doch wir starben ohne Zweck.
Ihr lasst Euch morgen, wie wir gestern, schlachten.
Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!
Ihr geht vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Vier Jahre Mord, und ein paar Kränze heute.
Verlasst Euch nie auf Gott und seine Leute!
Verdammt, wenn ihr das je vergeßt!
--Erich Kästner
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