tu lui manques
i feel like this doesn't make a lot of sense but the idea of marco wearing ginos oversized sweater just gave me something. also sorry for leaving out thomas in this but by the time i realised he and gino probably shared the flight to america after Lech, it was already way too late to change things.
Die meisten anderen Passagiere im Flugzeug schliefen. Der Himmel vor den Fenstern war pechschwarz, Gino konnte nichts erkennen, ausser dem stetigen Blicken der kleinen Lichter auf der Tragfläche. Eine eigentümliche Stille hing in der Luft. Obwohl Gino müde war, konnte er nicht schlafen. Seine Gedanken kreisten unaufhörlich, stetig, und liessen ihm keine Ruhe. Er hatte das letzte Rennen versaut. Hatte kaum relevante Punkte gemacht. War schlecht vorbereitet gewesen. Er musste es sich selber zuschreiben, er konnte niemanden anders dafür verantwortlich machen und das würde er auch nicht. Schliesslich wusste er genau, was der Grund für seine Ruhelosigkeit war. Oder besser gesagt, wer. Gino tippte zweimal auf sein Handy, das vor ihm auf dem Klapptisch lag. Das Display zeigte ein Gruppenfoto von ihrem Team, auf dem Gino und Marco die Köpfe zusammengesteckt hatten und über etwas lachten, das nur sie hatten hören können. Gino mochte dieses Foto sehr. Er sperrte das Gerät wieder und rutschte auf seinem Sitz herum, um vielleicht doch eine bequemere Position zu finden, in der er versuchen konnte, zu schlafen. Gerade, als er die Augen schliessen wollte, leuchtete der Bildschirm des Handys erneut auf, da er eine Nachricht erhalten hatte. Gino öffnete das Foto und sofort wurde ihm warm ums Herz und ein breites Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Loic hatte ihm ein Foto geschickt, auf dem Justin hinter dem Sofa stand und einen Zettel in der Hand hielt, auf dem «tu lui manques» zu lesen war. Auf der Couch lag Marco, zusammengerollt und offensichtlich schlafend. Ein überraschtes Lachen entwich Gino. Der Jüngste trug den Pullover, den Gino auf ihrer Reise durch Griechenland gekauft hatte. Darum hatte er den Pulli nicht finden können, als er für Amerika gepackt hatte. Marco musste ihn aus Ginos Tasche geklaubt haben, als sie sich das letzte Mal ein Zimmer geteilt hatten. Der Pullover war Gino mindestens drei Nummern zu gross aber rein der Erinnerung an den Urlaub wegen trug er ihn gerne abends, wenn nichts mehr anstand. Die dummen Sprüche, die er (meistens) von Marco deswegen zu hören bekam, waren ihm egal. Wenn er ihn trug, erinnerte Gino sich an den heissen Sand unter seinen Füssen, den kurzen Moment der Schwerelosigkeit beim Sprung von der Klippe- und an das Gefühl von Marcos Lippen auf seinen. Es war das erste und einzige Mal gewesen, dass sie sich geküsst hatten. Sie waren beide nicht mehr nüchtern gewesen, hatten in einer komplett überfüllten Bar zusammen getanzt, bis Gino es nicht mehr ausgehalten und den Abstand zwischen ihnen geschlossen hatte. Marco hatte den Kuss erst erwidert, doch als Gino ihn näher an sich gezogen hatte, war der Jüngere plötzlich zurückgewichen. Über das Dröhnen der Musik hatte er eine Entschuldigung geschrien, bevor er sich umgedreht hatte und durch die Menge Richtung Ausgang geeilt war. Gino hatte sich wie der allerletzte Vollidiot gefühlt. Als er Marco draussen vor dem Lokal gefunden hatte, war dieser ziemlich neben sich gestanden. Gino hatte den Stich in seinem Herzen ignoriert und ihn angesehen.
«Es tut mir leid. Ich bin zu weit gegangen. Lass uns das vergessen, okay?»
Marco hatte genickt und Ginos Herz war noch ein wenig mehr gebrochen. Gino hatte inständig gehofft, dass der Alkohol seine Erinnerung an diesen Abend trüben würde, was natürlich vergebens gewesen war. Wie abgemacht hatten weder Marco noch Gino dieses Ereignis je wieder angesprochen, aber Gino erinnerte sich auch jetzt, fast zwei Jahre später, noch glasklar daran. Mittlerweile hatte er seine Gefühle für Marco besser unter Kontrolle. Er konnte aber nicht leugnen, dass dieses Bild von Marco in seinem Pullover sein Herz nicht aus dem Takt geraten liess. Und wie so oft spürte Gino ein Ziehen in seiner Brust, eine Sehnsucht nach diesem jungen Mann, den er nicht haben konnte und der ihn scheinbar auch nicht wollte.
Als die Maschine nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in Denver landete, fühlte Gino sich so ausgelaugt wie nach einem Tag im Kraftraum. Er schleppte sich durch die Einreisekontrolle und als er das Gepäckband erreichte, bewegten seine Füsse sich von alleine, ohne dass sein Kopf irgendetwas registrierte. Die Geräusche um ihn herum verschwammen zu einem monotonen Brummen. Zu seinem Glück dauerte es nicht lange, bis er alle seine Taschen und Koffer beisammenhatte und so bahnte er sich mit dem vollbepackten Gepäckwagen einen Weg durch die Massen zur Ankunftshalle. Er war so in Gedanken, dass er nicht hörte, wie jemand hinter ihm seinen Namen rief.
Draussen warf der eiskalte Wind Gino beinahe um. Man könnte meinen, er hätte sich durch seine Arbeit mit kalten Temperaturen angefreundet, aber in Wahrheit war Gino eine Frostbeule. Er war wohl der einzige des Teams, der sich der Wärme des Frühlings jedes Jahr wieder entgegensehnte und derjenige, den man am lautesten Fluchen hörte, wenn es im Tal das erste Mal Glatteis gab. Ein Widerspruch, mit dem Gino sich indes abgefunden hatte, seine Teammitglieder aber immer wieder dazu verleitete, sich über ihn lustig zu machen. Er stellte den Wagen an die Seite des Gebäudes und kramte in seiner Jacke nach seinem Handy. Er hatte mit Zoe vereinbart, dass er sich melden würde, sobald er gelandet war, damit sie ihm ein Taxi zur Unterkunft organisieren konnte. Das Zittern seiner Finger erleichterte das Wählen von Zoes Nummer nicht im Geringsten. Und warum zum Teufel ist es hier draussen so laut, dachte Gino sich, können diese Typen nicht endlich mal Ruhe geben? Und dann, wie aus dem Nichts, wurde Gino im wahrsten Sinne von drei Seiten gleichzeitig angesprungen. Für einen Augenblick befürchtete er, in einen Alptraum gefallen zu sein, er konnte sich nicht bewegen, konnte nichts sehen und nichts hören, ausser verzerrtem Gelächter. Dann liessen sie ihn los und Gino blinzelte Loïcs, Justins und Marcos grinsenden Gesichtern entgegen.
«Meine Güte, habt ihr vergessen, wie man sich unter normalen Menschen benimmt?», keuchte Gino. Justin und Loïc zeigten keine Reue, ihm einen Schrecken eingejagt zu haben, sondern umarmten ihn erneut.
«Wir haben dich vermisst!»
«Hast du uns auch vermisst?» Irgendwie schaffte Gino es, zwischen dem Haufen, den Justin und Loïc bildeten, Marcos Blick aufzufangen. «Hilfst du mir mal?» Er streckte ihm eine Hand hin und Marco erbarmte sich seiner, und zog ihn mit einem Ruck aus der Umklammerung der anderen und zu sich heran. Marco lächelte und sofort legte Ginos Herz noch einen Zahn zu.
«Hallo.»
«Hi.» Sie standen sich so nahe, Gino war sich absolut sicher, dass Marco seinen Herzschlag spüren konnte, selbst durch die dicken Winterjacken, die sie beide trugen. Marco hielt Ginos Hand immer noch fest. «Du hast mir gefehlt», sagte der Jüngere und beugte sich vor, um einen kleinen, unschuldigen Kuss auf Ginos Wange zu platzieren. Dessen Welt blieb für einen Augenblick stehen. Er war gefangen in dem Strahlen von Marcos Augen, in seinem ehrlichen, wundervollen Lächeln und er wünschte sich, nichts auf dieser Welt möge dieses Lächeln je wieder trüben.
«Regarde bien, ils vont s’embrasser.»
«Aucune chance. Il n’osera plus.» Gino hätte den Kommentar von Loïc auch ignoriert, wenn er ihn verstanden hätte. Sein Blick huschte für den Bruchteil einer Sekunde zu Marcos Lippen, bevor sein Bewusstsein sich wieder einschaltete und er einen Schritt zurücktrat. Er würde diesen Fehler nicht noch einmal machen. Er wandte sich Loïc zu und sie gingen voran zum Parkplatz, so dass Gino die Enttäuschung nicht sehen konnte, mit der Marco ihm nachsah. Justin trat neben ihn und legte ihm mitfühlend den Arm um die Schultern.
«Mach dir nichts draus. So wie ich das sehe, steht er total auf dich.» Marco schnaubte bloss und sie folgten den beiden anderen.
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Thank you so much for this!!! I looove the sweater-sharing trope and especially how you could incorporate it (because that's really not easy with their height difference 🤐😂). (and then I thought about how a shirt in Gino's size might look like a crop top for Marco and that's a thought I can't follow or else I lose my mind) Ahem...anyway...as I already said earlier the sequel almost writes itself considering their insta-posts. Though I realised too late that they're in Lake Louise now and not in Copper Mountain anymore but yeah...just imagine they're still in Colorado. 😅)
"Wir müssen etwas unternehmen."
Loïc sah von seinem Buch auf und blickte über die Rückenlehne des Sofas zum Tisch. Abgesehen vom Schweizer Team war der Aufenthaltsraum des Hotels leer und die meisten Stühle auf den Tischen. Loïc folgte Justins Blick zu Gino, der ausser Hörweite am verlassenen Buffet Kaffee-Nachschub holte.
"Was?", fragte Loïc auf Französisch zurück.
"Um die Deppen zusammenzubringen."
Marco blickte neugierig zwischen ihnen hin und her. Seine Französischkenntnisse waren trotz fünf Jahren Schule und fünf Jahren gemeinsamen Reisens immer noch unterirdisch, weshalb es ein Einfaches war, in seiner Gegenwart über ihn zu reden.
"Was ist?", fragte er.
"Ich habe gefragt, ob das Buch spannend ist", erklärte Justin und zu Loïc: "Wenn ich noch einen schmachtenden Blick aus traurigen Hundeaugen über das Spielbrett ertragen muss, kotze ich."
"Na dann viel Glück", sagte Loïc und öffnete sein Buch wieder.
"Du kannst nicht entkommen. Ich brauche deine Hilfe."
Genervt klappte Loïc das Buch wieder zu und rollte die Augen.
"Und?", fragte Marco bevor er etwas erwidern konnte.
"Und was?"
"Ist es spannend."
"Ach so," sagte Loïc. "Ja, sehr. Ein Foto hat gereicht. Ich halte mich da nun raus. Solltest du vielleicht auch."
"Dann nervt es dich nicht?", fragte Justin.
Am anderen Ende des Raums erstarb das Röhren der Kaffeemaschine.
Loïc zuckte mit den Schultern. "Es geht doch schon seit Jahren so. Warum willst du ausgerechnet jetzt etwas ändern?"
"Weil mittlerweile selbst ein Blinder sieht, dass sie beide einander mögen. Ich meine, wann haben wir uns das letzte Mal beim Begrüssen geküsst? Aber nein, diese andouilles hier starren nur auf ihre Zehenspitzen und rennen voreinander weg."
"Wer rennt?", fragte Gino und setzte sich zurück an seinen Platz vor dem Spielbrett. Sein Französisch war um einiges besser als Marcos, was aber nicht viel bedeutete.
"Der Mörder in Loïcs Buch", antwortete Justin.
"Ich dachte, du liest ein Sachbuch", warf Marco ein.
"Über einen Mörder", erklärte Loïc und drehte sein neues Buch über Landschaftsfotografie so, dass der Umschlag vom Sofa versteckt wurde.
Marco runzelte die Stirn, aber bevor er weiterbohren konnte, legte Justin die Würfel vor ihm hin.
"Du bist an der Reihe."
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"Heute machen wir's."
Loïc seufzte entnervt auf und folgte dem Vordermann zwei Schritte dem Frühstücksbuffet entlang. Die Morgensonne hatte den Weg ins Tal noch nicht gefunden und hinter den Fenstern lag Copper Mountain in dunklen Schatten. Er stellte sein Tablett vor der Müsli-Auswahl hin und griff nach einer Schale.
"Ich habe mit Marco abgemacht, dass wir am freien Nachmittag zu diesem Wald-Trail gehen", fuhr Justin fort. "Du lädst Gino ein, zu was auch immer, und redest ihm ins Gewissen."
"Ich wollte heute Nachmittag eigentlich ein Geschenk für Mutters Geburtstag kaufen gehen", gab Loïc zurück.
"Perfekt! Sag ihm du brauchst seine Hilfe."
Loïc funkelte ihn wütend an, aber Justin kannte keine Gnade und starrte ebenso eindringlich zurück. Hinter ihnen räusperte sich einer der anderen Hotelgäste. Eilig füllte Loïc seine Müslischale und machte sich auf dem Weg zu ihrem Tisch, wo bereits Gino an einem Stück Toast kaute. Sein strohblondes Haar stand in alle Richtungen ab und er sah kaum über den Rand seiner Tasse.
"Guten Morgen", wünschte Loïc, auch wenn er genau wusste, dass Gino es nie so sah.
"Hmph", brummte er.
Über Ginos Kopf hinweg sandte Justin durchdringende Blicke von der Getränkeauslage, wo er Marco abgelenkt hielt. Loïc tunkte seinen Löffel ins Müsli. Innerlich seufzte er resigniert auf.
"Hast du heute Nachmittag schon etwas vor?"
Gino sah von seinem Teller auf und schüttelte den Kopf.
"Ich wollte in die Läden im Dorf gehen. Meine Mutter hat bald Geburtstag und ich will ihr etwas schicken. Vielleicht könnt ihr mir dabei helfen?"
Gino überlegte kurz, dann nickte er. "Ist gut."
"Cool, danke", sagte Loïc und nickte Justin zu. Abrupt beendete dieser seine Ausführungen zu den verschiedenen Säften, stellte die Kanne zurück und schob Marco Richtung Tisch.
"Guten Morgen", zwitscherte er und grinste Gino an.
"Nein", knurrte Gino.
"Hallo", murmelte Marco und nur ein Morgenmuffel wie Gino sah das Sehnen in seinem Blick nicht.
"Gino und ich gehen heute Nachmittag ins Dorf einkaufen", erzählte Loïc beiläufig. "Vielleicht wollt ihr mitkommen?"
Scharf sog Justin Luft zwischen den Zähnen ein. "Ach nein, das ist aber schade! Marco und ich haben abgemacht, dass wir zu diesem Forest-Trail gehen der zu dem kleinen See führt."
Loïc lachte auf und versteckte sich hinter seiner Kaffeetasse, aber es wäre nicht nötig gewesen. Weder Gino noch Marco hatten Augen für ihre Umgebung, Gino weil er noch nicht wach war und Marco, weil er vor lauter Schmachten das Frühstück vergass.
"Dann eben ein anderes Mal", sagte Loïc. "So ein Pech aber auch."
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Die Läden von Copper Mountain waren entlang der Main Street aufgefädelt und einzig die fehlenden Geranien vor den Fenstern unterschieden sie von jeder anderen Einkaufsstrasse in jedem europäischen Skiort. Der spärliche Schnee war zur Seite geschaufelt worden und graue Pfützen hatten sich auf dem Boden gebildet. Nur wenige Leute liefen an den Schaufenstern vorbei und von denen schienen einzig Gino und Loïc kein Ziel zu kennen. Gino war mittlerweile wach und besah prüfend die Auslagen des ersten Ladens. Schon während der ersten Gondelfahrt zu ihrer Privatpiste am Morgen früh hatte er seinen Fehler bemerkt, aber Loïc hatte nur den Kopf schräg legen und ein wenig die Unterlippe vorschieben müssen und schon war Ginos Frage, ob Loïc vielleicht alleine einkaufen gehen könnte, erledigt gewesen.
"Wie alt wird sie und was mag sie?", fragte er und deutete auf einen Teekrug mit aufgemalten Bären.
"52 und Skifahren", antwortete Loïc. "Aber keinen Tee."
"Dann eben nicht", gab Gino zurück und lief weiter.
Sie besahen die Auswahl an Magneten im ersten Souvenir-Laden als Loïc zum Thema kam.
"So. Du und Marco…", begann er und klebte den Magneten in der Form von Colorado zurück an die Metallauslage. Gino sah ihn fragend an.
"Ihr nehmt die nächste Stufe in eurer…Beziehung?"
Gino lachte freudlos auf und lief weiter zu den Kugelschreibern. "Da gibt es keine Stufen", sagte er und drehte einen der Stifte auf den Kopf. Langsam flog ein winziger Adler vor einem Miniatur-Copper Mountain in der Hülle des Stifts vorbei. "Oder Beziehung", fügte er leise an.
"Wirklich nicht? Dann darf ich mich auch auf einen Kuss freuen wenn ich Marco das nächste Mal sehe?"
Gino sah ihn scharf an und Loïc musste sich auf die Zunge beissen, um nicht laut zu lachen.
"Ich meine, du hast gestern auch einen bekommen", trat er nach.
Für einen kurzen Moment musterte ihn Gino mit kalter Wut, doch schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle.
Loïc ging zurück zu den Magneten und nahm das kleine Colorado wieder weg.
"War nur ein Witz", sagte er im Vorbeigang zur Kasse. Gino schwieg während Loïc dem überfreundlichen Verkäufer das Geld reichte und den Magneten samt kleiner Tüte zurück erhielt. Erst als sie zurück auf der Strasse waren, fand er seine Stimme wieder.
"Du stehst auf Marco?"
"Nein", sagte Loïc mit Nachdruck und, als er den verletzten Ausdruck in Ginos Augen sah: "Ich schwöre. Das war nur ein blöder Witz. Marco gehört dir alleine."
Gino schüttelte den Kopf und steckte seine Hände in die Taschen. "Er gehört mir nicht", sagte er und Loïc stolperte vor lauter Augenrollen fast über einen Schneehaufen.
"Wenn du möchtest, könnte er", bemerkte er. "Schon alleine wie er dich ansieht, sagt alles." Bevor Gino eine weitere lahme Antwort geben konnte, verschwand Loïc im nächsten Laden. Diesmal war es eine Bücherei und Loïc stürzte sich auf das erste Regal. Eine Weile vergass er seine Mission und vertiefte sich in die Buchrücken der Neuheiten während er innerlich mit sich kämpfte. Seine Taschen waren eh schon immer an der Grenze des erlaubten Gewichts, ein weiteres Buch hatte eigentlich keinen Platz mehr.
"Wir hatten…es gab da mal was…", flüsterte Gino irgendwann und brachte Loïc damit zurück in die Realität. Mit einem letzten wehmütigen Blick legte er die Bücher zurück.
"Du und Marco?"
Gino nickte. "In den Ferien…in Griechenland damals."
Loïc runzelte die Stirn und liess Ginos Worte nachwirken. "Das ist drei Jahre her!", entfuhr es ihm schliesslich. Entgeistert starrte er Gino an. "So lange schon?"
Gino schnaubte und schüttelte ungeduldig den Kopf. "Lass mich erklären!" Er brach ab und starrte an Loïc vorbei in die Luft. Kurz rang er nach Worten, dann drehte er sich auf dem Absatz um und eilte aus dem Laden.
Frustriert stöhnte Loïc auf. Er wollte ihm schon nachrennen, als sein Blick zurück auf die Auslage fiel. Kurzentschlossen nahm er eines der Bücher und lief zur Kasse. Justin schuldete ihm eine Menge für diesen Nachmittag, er konnte ruhig für Loïc ein Buch durch Nordamerika schleppen.
Draussen vor dem Laden trat Gino so kraftvoll mit der Schuhspitze in einen der grauen, eisigen Schneehaufen als ob er persönlich für sein Unglück verantwortlich gewesen wäre. Loïc trat zu ihm und sah ihn abwartend an.
"Es ist eigentlich ganz einfach", erzählte Gino schliesslich. "Ich habe etwas versucht, Marco hat nein gesagt und wir haben das ganze vergessen."
Loïc blinzelte und sah Gino mit erhobenen Augenbrauen an.
"Deshalb weiss ich, dass er nichts von mir will", bekräftigte Gino. "Weil er es mir gesagt hat. So!" Damit wandte er sich von Loïc ab und ging weiter. Schweigend liefen sie der Strasse entlang, Gino zwei Schritte vor Loïc, beide tief in Gedanken versunken. Sie hatten schon fast das Ende der Läden erreicht, als Loïc vor einem weiteren Schaufenster stehen blieb.
"Ein Hut!", rief er aus.
Gino stoppte und kehrte um. Misstrauisch besah er die Auslage an breitkrempigen Westernhüten in allen Farben. "Für deine Mutter?"
"Nein, für uns!", antwortete Loïc und zog ihn am Jackenärmel in den Laden. Er zog ein knallrotes Exemplar von einem Regal und setzte es Gino auf. "Perfekt."
Gino lachte und legte ihn zurück. "Ich glaube nicht!"
"Doch!", beharrte Loïc und setzte sich das gleiche Modell in hellgrün auf. "Mit unserem Partnerlook machen wir Justin und Marco neidisch."
"Ganz klar", spottete Gino und hielt Loïc einen pinkfarbenen Hut hin. "Dann doch eher der."
Loïc hatte weder Platz noch Bedarf für einen Hut, aber Gino folgte seinen Spässen breitwillig und sein Lächeln kehrte zurück. Lachend probierten sie sich quer durch die Auslage des Ladens, knipsten Fotos voneinander und setzten sich gegenseitig in Szene. Sie vergassen die Zeit und als sie ihre Auswahl auf zwei Hüte in schwarz und braun zusammengestaucht hatten, leuchteten bereits die Strassenlampen. Sie standen beide vor einem wandhohen Spiegel und setzten abwechselnd einen der Hüte auf. Schliesslich wagte Loïc einen letzten Versuch.
"Er ist nicht mehr wie früher. Was immer damals war, heute ist es anders. Frag ihn noch einmal", sagte er leise und sah Gino durch den Spiegel an. "Er stiehlt deine Kleider, verdammt noch mal! Das sagt doch alles!"
Gino presste die Lippen zusammen. Sein Atem kam auf einmal flach und stossweise. "Ich kann nicht", sagte er und räusperte das Kratzen in seiner Kehle weg. "Nicht noch einmal. Nicht ihn."
Er blinzelte und drehte sich schwungvoll um. "Braun", sagte er entschlossen und setzte sich den anderen Hut wieder auf. "Definitiv. Den nehme ich."
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Der Schnee lag frisch und weich auf dieser Höhe und tauchte den Wald in eine fast geräuschlose Wunderwelt. Marco studierte die Karte mit den Informationen zum Trail und zum Nationalpark während Justin mit seinem Telefon ein erstes Bild schoss.
"Hier soll es Bären geben…glaube ich", sagte Marco und versuchte, einen der englischen Texte zu entziffern.
"Die schlafen eh alle", sagte Justin. "Welchen Weg nehmen wir?"
"Spielt keine Rolle, wir kommen wieder hierher." Marco schaute nach links und rechts und stapfte schliesslich vorab. "Hier entlang. Wenn wir einen finden, wecke ich ihn."
"Wehe", warnte Justin und folgte ihm. Nur wenige Spuren zogen sich durch den Pfad und abseits davon lag der Schnee, abgesehen von einigen Tierspuren, unberührt da. Weit über ihnen blitzte hie und da strahlendes Hellblau durch die Baumkronen, aber meist wanderten sie im Schatten der Bäume. Marco versuchte, eine handvoll Schnee zu einer Kugel zu formen doch er war zu weich und zerfiel zwischen seinen Fingern. Vergeblich versuchte er, den weissen Flaum in Justins Richtung zu werfen, bedeckte sich aber vor allem selber.
Justin lachte ihn aus und rannte an ihm vorbei. "Karma!"
Erst als der Weg langsam anstieg, verlangsamte er und wartete, bis Marco zu ihm aufgeschlossen hatte.
"Schon ausser Atem?", spottete Marco.
"Ich doch nicht", keuchte Justin und folgte in seinen Spuren den Pfad hinauf. Nach wenigen Minuten wurde er wieder flacher und durch die Baumstämme konnte man einen ersten Blick auf eine weite Fläche erhaschen. Irgendwo dort musste der See sein.
"Du hast vor ein paar Tagen Ginos Pullover getragen", begann Justin unvermittelt.
Kurz stockten Marcos Schritte, aber schnell hatte er sich gefangen und marschierte weiter. "Und?", fragte er.
"Und gestern hast du ihn auf die Wange geküsst."
Es dauerte eine Weile, bis Marco wieder etwas sagte. "Neidisch?"
"Klar, ganz fürchterlich", gab Justin zurück. "Aber darum geht es mir nicht. Ich meine nur, dass du in den zweiten Gang geschaltet hast was Gino angeht."
Wieder liess sich Marco Zeit bevor er sprach. "Bin ich zu aufdringlich?"
Justin lachte auf. "Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Du musst in den dritten Gang schalten. Gino ist offensichtlich zu blind und braucht eine klare Ansage. Sonst wird das nie was."
"Es war eine blöde Idee", sagte Marco, mehr zu sich selber, als ob er Justin nicht gehört hätte. "Ich hätte es nicht tun sollen."
"Unsinn!"
Marco schüttelte den Kopf. "Doch." Der Pfad schlängelte um eine Reihe von Bäumen und er fuhr mit den Fingern der Rinde entlang.
"Er hat schon einmal nein gesagt", sagte er schliesslich, so leise, dass Justin ihn kaum verstand.
"Echt?", fragte Justin verblüfft.
Marco nickte. "In den Ferien in Griechenland."
"Ich wusste nicht, dass du ihn damals gefragt hast."
Langsam lichteten sich die Bäume und der See kam näher. Der Pfad wurde breiter, trotzdem liefen sie weiter hintereinander her.
"Ich habe nicht gefragt", sagte Marco.
"Aber er hat trotzdem nein gesagt?"
Marco schnaufte entnervt aus. "Es ist kompliziert."
"Dann erklär es mir!"
Entlang des Sees wurde der Pfad von einem Holzzaun begrenzt. Marco blieb daran stehen und stellte einen Fuss auf die unterste Planke.
"Wir waren in dieser Bar in der Hotelanlage, eine totale Touristenfalle in der nur Schlager und Country lief. Wir waren am Tanzen und auf einmal hat er mich geküsst."
Justin wartete, aber Marco starrte nur auf die verschneite Oberfläche des gefrorenen Sees. "Und?"
Marco zuckte mit den Schultern. "Es war so…so wie ich es mir immer vorgestellt habe. Aber ich war halt voll von diesem endless Ouzo für zehn Euro und auf einmal dachte ich, ich müsste ihm gleich ins Gesicht kotzen."
Justin lachte auf. "Kenne ich."
Marco rollte die Augen. "Und da bin ich an die frische Luft gegangen", fuhr er fort. "Ich konnte kaum atmen vor Aufregung und all dem, was ich ihm schon immer sagen wollte und nie getraut hatte. Aber als er hinauskam…" Seine Stimme brach ab. Justin biss sich auf die Lippen und starrte auf das Geländer vor ihnen.
"Er war ja auch besoffen", sagte Marco schliesslich mit fester Stimme. "Man hat genau gesehen, dass er es bereut hat. Er hat gesagt wir sollen es vergessen…was hätte ich da tun sollen? Ich wollte nicht das wenige ruinieren, das wir haben."
Unvermittelt liess er das Geländer los und lief weiter. Justin folgte einige Schritte hinter ihm. Sie hatten den See schon fast passiert, als er wieder etwas sagte.
"In einer Bar mit Flatrate-Alkohol wurden noch nie gute Entscheidungen getroffen", begann Justin.
Marco lachte auf. "Danke für deine Weisheit."
"Gern geschehen. Deshalb frag ihn noch einmal. Mit Worten diesmal."
Marco schüttelte den Kopf und lief ein wenig schneller.
"Ich meine es ernst", beharrte Justin. "Merkst du denn nicht, wie er dich ansieht? Er will es auch, ganz sicher."
Der Schnee wurde tiefer als sie wieder in den Wald bogen und den kleinen Hügel hinunter zurück zum Parkplatz liefen. Schweigend liefen sie den Weg zurück bis sie wieder bei der grossen Tafel und ihrem Mietauto waren.
Justin fischte in seiner Tasche nach dem Schlüssel als Marco zu ihm trat und ihm einen Kuss auf die Wange drückte.
"Was war das?", rief Justin aus und rieb seinen Handschuh über den feuchten Fleck.
"Jetzt musst du nicht mehr neidisch sein", grinste Marco auf ihn herab.
Justin schnaubte und zog ihm die Mütze über die Augen.
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Kurzes, energisches Klopfen drang durch die Tür. Seufzend legte Gino das Tablet mit dem Film auf den Nachttisch und rollte vom Bett.
"Hast du schon wieder den Schlüssel vergessen?", rief er und riss die Tür auf. "Ich habe doch gesa…"
Verlegen lächelte ihn Marco an. "Nicht Justin", sagte er.
Gino brauchte einige Sekunden um seine Stimme wieder zu finden. "Äh…ja", sagte er schliesslich. "Ja. Er…er ist unten."
"Ich weiss."
Einen Moment sahen sie sich schweigend an.
"Kann ich reinkommen?", fragte Marco schliesslich.
Hastig trat Gino zur Seite und liess ihn eintreten, danach eilte er an ihm vorbei und brachte das Tablet zum Verstummen. Als er sich umdrehte, stand Marco in der Mitte des kleinen Raums, die Hände vor der Brust verschränkt.
"Das habe ich gesucht", sagte Gino schliesslich mit einem schiefen Grinsen und zeigte auf den Pulli, den Marco trug.
Marco lächelte und lief rot an. "Ja, das…ist versehentlich in meiner Tasche gelandet."
Gino hob die Augenbrauen. "So?"
Marco öffnete den Mund, stockte, und schüttelte schliesslich den Kopf. "Nein."
Ginos Lächeln erstarb. Wieder dehnte sich unbequeme Stille zwischen ihnen aus.
"Glaubst du, das haben sie heute mit Absicht gemacht?", sprudelte es schliesslich aus Gino.
Marco blinzelte und überlegte. "Loïc und Justin?"
Gino nickte.
Marco zog die Unterlippe zwischen die Zähne. "Kann schon sein…sieht danach aus…" Sein Blick glitt zur Seite als er den vergangenen Nachmittag im Kopf durchging. "Idioten!", entfuhr es ihm schliesslich.
Gino lachte auf. "Und was hat Justin erzählt?"
Marco sog tief Luft ein und sah Gino an. Seine Knöchel stachen weiss aus den geballten Fäusten vor seiner Brust. Schliesslich gab er sich einen Ruck und trat an Gino, so nah, dass er seinen Atem spüren konnte und er selbst im schummrigen Licht der schwachen Lampe das strahlende Blau seiner Augen erkannte.
"Traue keinen Entscheidungen, die du mit Ouzo fällst."
"Sehr vernünftig", stimmte Gino zu. "Klingt so gar nicht nach ihm."
Sie lächelten sich an. Schliesslich lehnte Marco vor und küsste ihn auf die Lippen und als sich Ginos Arme um ihn legten, wich er nicht zurück.
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"Glaubst du es wäre blöd wenn ich anklopfe und frage, ob ich kurz mein Pyjama holen kann?"
Loïc blätterte eine Seite seines neuen Buchs um. "Sehr blöd sogar", stimmte er zu.
Justin seufzte und klopfte das Kissen auf Marcos Bett zurecht um einen besseren Blick auf den Fernseher zu haben.
"Es war deine Idee", sagte Loïc ohne Mitleid.
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